Das Aduatuca der Eburonen
Ein Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte unserer Heimat besonders der Nord-Osteifel
von Pfarrer Pohl, Lommersum





Der 1. Teil fehlt leider (Euskirchener Volksblatt, Nr. 72, 1937

1. Fortsetzung

Der erste Teil meiner Abhandlung hieß: Aduatuca zur Kelten- und Kimbernzeit. Ich sehe von weiteren Beweisen für meine Theorie über das Aduatuca zur Kelten- und Kimbernzeit für heute ab und beginne mit dem zweiten Teil: Das Winterlager der Legaten Cäsars beim Kastell Aduatuca. (Cäs. bell. gall. V, 24-37 und VI. 32 bis 41.) Der trockene Sommer des Jahres 54 v. Chr. hatte in ganz Gallien eine große Mißernte verursacht. Das erschwerte Cäsar die Verpflegung seiner Legionen so sehr, daß er sie einzeln über einen so großen Teil des Landes verteilen mußte, daß es, vom militärischen Standpunkte aus gesehen, gefährlich war. Die Legaten Cotta und Sabinus schickte er mit der 14. Legion und 5 Kohorten zu den Eburonen, „deren Gebiet größtenteils zwischen Maas und Rhein liegt“. Die Legaten schlugen ihr Lager auf bei Aduatuca. Das wissen wir aus Cäs. bell. gall. VI, 32 (s. Karte II meiner Veröffentlichung im Volksblatt Nr. 72, 1937). Schon Georg v. Veith errechnete in genauen Messungen, daß dieses eburonische Aduatuca am Oberlauf der Rur liegen müsse. In meinen zwei ersten Abhandlungen über Aduatuca (siehe Volksblatt Euskirchen) habe ich die Gründe dargelegt, die Cotta und Sabinus veranlassen mußten, gerade hier, vor der Barriere der Rur, in nächster Nähe der eburonischen Getreidefelder und der wichtigen Keltenwege, ihr Winterlager aufzuschlagen.

Ich schildere jetzt den archäologischen Bodenbefund. Im Baduawalde liegt am Südosthang des Rödelsberges = tr. P. 362,5 eine von Bürgermeister Fischer-Berg entdeckte römische Landsiedlung. Etwas westlich von dieser Siedlung liegt das römische Lager von Aduatuca. Es lehnt sich an das Kastell Aduatuca (Größe 30 zu 10 Meter) und die keltisch-germanische Fliehburg an. Das Kastell war für die römische Armee zu klein. Das folgt schon daraus, daß Cäsar später beim Rachekrieg gegen Ambiorix das gesamte Gepäck aller 9 Legionen nach Aduatuca legte, jedoch nicht in das Kastell. Die Fliehburg aber, die von allen Seiten von Steilhängen umgeben ist, war dafür geradezu prädestiniert. Das römische Lager, geschickt vor die Wallburg gelegt, versperrte jedem Angreifer (vergl. Cäs. bell. gall. 6, 35-37) den Weg zum Train der Legionen. Den Soldaten wurden die Verschanzungsarbeiten nicht nur beim zweiten Mal, als Cäsar selbst in Aduatuca weilte, sondern auch hier im Jahre 54 v. Chr. „bedeutend erleichtert“, und „die Örtlichkeit selbst und die Lagerbefestigung wehrten dem Feinde anderwärts den Zugang“. So schreibt Cäsar selbst (Buch 6, Kap. 37). Ein Blick auf Karte II, „Volksblatt“, Nr. 72 bestätigt das einwandfrei.

Die Maße des römischen Lagers „in Badua“ entsprechen ganz den Dimensionen, die Napoleon II. durch seine Ausgrabungen cäsarischer Lager festgestellt hat. So bezog Cäsar an der Arona mit acht Legionen und ziemlich viel Hilfstruppen und Reiterei ein beinahe quadratisches Lager, dessen Achsen 658 resp. 655 Meter maßen. Das Lager Cäsars vor Gergoria, anfänglich für 6 Legionen bestimmt, war 560 zu 630 Meter groß. Das Lager im Baduawalde ist 632x232 Meter groß. Der Zugang zur porta prätoria, dem Vordertor, das auf die Militärstraße Köln-Reims führt, ist deutlich zu erkennen. Ebenso die porte decumana, das Hintertor. Es führt zum Neffeltal, durch das die Masse der 2000 sygambrischen Reiter herangebraust kam. Die Zugänge zu beiden Toren gehen nicht im rechten Winkel zum Tor, sondern kommen - das ist für die römischen Lager charakteristisch - seitlich, und zwar von links, so daß der herankommende Feind, den Schild in der Linken tragend, ungeschützt war gegen die Wurfwaffen der Verteidiger des Lagers. Das ist besonders im Vorgelände bei dem Vordertor gut zu erkennen.

Das Gelände, auf dem das Stand- oder Winterlager von Aduatuca im Baduawald liegt, entspricht genau den Beschreibungen und Anordnungen, welche die beiden römischen Militärschriftsteller Polybius und Hyginus uns geben. (Vergl. Oberst Rüstow, Heerwesen u. Kriegsführung C. Jul. Cäsars, 1862.) Über die Gestaltung und Anordnung des römischen Lagers in der cäsarischen Zeit haben wir keine Nachricht. Aber die oben genannten römischen Schriftsteller geben uns detaillierte Beschreibungen. Polybius für die Zeit des zweiten punischen Krieges und Hyginus für die Zeit des Kaisers Trajan. Zudem haben die gallischen Ausgrabungen Napoleons III. (siehe oben) die genauen Maße von zwei cäsarischen Lagern festgestellt. Nach Polybius und Hyginus läuft um das Lager eine breite Wallstraße. Bei Polybius wird sie mit 200 Fuß Breite, bei Hyginus mit 60 Fuß Breite angegeben. Für ein Standlager wie Aduatuca ist das Maß von 60 Fuß zu gering. Dazu kommt, daß zur Zeit Cäsars auf die tatsächliche Verteidigungskraft der Lager großer Wert gelegt werden mußte, besonders in Feindesland. Wir müssen deshalb annehmen, daß das Lager von Aduatuca eine Wallstraße von ca. 120 Fuß Breite bekam. Das ist tatsächlich auf der Nord-, Ost- und Westseite der Fall und ganz klar zu erkennen.


Karte III: Aduatuca, Niteka und Talkessel

Die römischen Lager liegen fast immer auf erhöhtem Gelände und meistens an einem sanften Abhang. Und zwar so, daß man noch einen Teil des langsam abfallenden Geländes vor den Wällen des Lagers hatte. Die eigentliche Front des Lagers lag immer an der niedrigsten Stelle des Lagers. Und zwar aus dem Grunde, weil es die Gefechtstaktik der römischen Legionen verlangte, Ausfälle aus den Toren immer von oben herab (ex loco superiore) gegen den Feind zu machen. All das trifft in Badua vollständig zu: Das Gelände fällt ganz langsam vom Kastell und der Wallburg an bis zu den Toren auf 20 Meter und geht dann in einem sanften Abhang weiter bis zu den Quellen der Neffel. Es spricht für den Feldherrnblick Cäsars, und die strategische Zentrallage Aduatucas, daß man von Aduatuca trotz der geringen Höhe von ca. 250 Meter nach Nordwesten bis ins Hohe Venn schauen und nach Osten zu das ganze Euskirchener, Zülpicher, Kölner und Dürener Land bis zur Rheinlinie übersehen kann. Aduatuca ist tatsächlich denn auch im folgenden Jahre 53 v. Chr. beim Beginn des Rache- und Vernichtungsfeldzuges gegen Ambiorix der Zentralpunkt der ferneren Operationen gewesen (General v. Goler, S. 221). Vergl. Cäs. Buch 6, Kap. 32 „der Ort schien in jeder Beziehung geeignet“.

Die Wasserversorgung des Lagers war geradezu glänzend geregelt (siehe Karte II meiner Veröffentlichungen im „Volksblatt“, Nr. 72, 1937). Etwa 100 m von der porta praetoria entfernt liegt eine starke Quelle, welche die Gemeinde Berg schon einmal zum Ausgangspunkt ihrer Wasserleitung machen wollte. Etwa 15 Minuten von der porta decumana entfernt liegen die Quellen der Neffel. Zum Überfluß sprudeln gleich beim Steilhang der Wallburg im Rödelstal die Quellen so stark, daß die Gemeinden Hausen-Blens dort das große Wasserreservoir ihrer neuen Leitung angelegt haben. Ich stelle fest, daß man das Lager von Aduatuca auf steile Felsen und Hochplateaus gelegt hat, wo für die Lagerbesatzung kein Tropfen Wasser zu finden und kein Baumstamm zu fällen war für die Verschanzungen! Und das, trotzdem Cäsar ausdrücklich von den „Holzfällern von Aduatuca“ spricht. Der heute noch stehende Baduawald beweist, daß Holz für die Wachtfeuer, für die Befestigungsarbeiten und zum Abkochen reichlich vorhanden war.

Wir müssen Cäsars Feldherrnblick noch mehr bewundern, wenn wir sehen, wie er das große Standlager von Aduatuca zwischen die großen strategischen Straßen Köln-Reims; Köln-Trier und in die Nähe der Conzenerstraße legte. Letztere ist von den Fachgelehrten arg vernachlässigt worden, trotzdem sie in keltisch-germanischer Zeit der große Verbindungsweg zwischen Rur und Maas war. Auf ihr zog Cäsar nach Nordwesten zur Maas, auf ihr wollten Sabinus und Cotta durch den verhängnisvollen Talkessel von Abenden zum nächsten Lager. Sie war in Wahrheit die conjunctio, d. h. die Verbindung zur conjunctio, zum compendiacum (Conzen). Daß an ihr, nebenbei bemerkt, römische Siedlungen liegen, z. B. im Buhlertwalde, spielt für die Frage nach dem Aduatuca der Eburonen weiter keine Rolle. Die Bedeutung dieser Straße, die im Talkessel von Abenden bereits „Conzenerstraße“ heißt, wird in meinen weiteren Abhandlungen gewürdigt werden.

Betrachten wir nun die Lagerbefestigung im Baduawalde näher. Die Frage des Murus, d. h. der steinernen Brustwehr, habe ich in meiner zweiten Abhandlung schon ausführlich besprochen. Es handelt sich um eine Trockenmauer, die als solche anerkannt wurde. Mehrere Steinlagen derselben sind noch zu sehen. Der größte Teil der Steine des Murus und des Kastells ist nach Niteka, d. h. Nideggen geschafft worden. Und zwar spätestens - ich sage wohlgemerkt spätestens - als man den ältesten Teil der Burg Nideggen baute, den sog. „Jenseitsturm“, der aus ganz anderem Steinmaterial besteht als die übrigen Teile der Burg. Was ist nicht schon alles über das sonderbare Wort „Jenseitsturm“ - andere sagen Ginsterturm - phantasiert worden. Er soll so heißen, weil er aus den Steinen des „Jenseits“ erbaut wurde, d. h. aus den Steinen der „jenseits“ des Tales auf dem Burgberg liegenden Burg des „feindlichen neidischen Bruders“ - daher Neideck - von Nideggen. Dabei hat - das ist das Ergebnis meiner Forschungen - auf dem „Burgberg“ niemals eine Burg gestanden. Nicht einmal für eine keltische oder germanische Wall- oder Fliehburg war er geeignet. Keine Spur einer Mauer ist auf ihm zu entdecken. Prof. Aubin - Bonn hat einwandfrei nachgewiesen, daß der Berynstein (vergleiche Dorf Bergstein am Fuße des Burgberges), bekanntlich ein staufisches Reichslehen, im Aachener Stadtwalde liegt und nirgendwo anders. Der „feindliche Bruder“ für Nideggen ist niemals der Burgberg gewesen, sondern höchstens der Erzbischof von Köln, der in den Mauern der stärksten Landesfestung der Jülicher monatelang schmachten mußte, bis die Fürsprache des großen hl. Albert des Deutschen von Köln ihn befreite. „Nitecka“ heißt hier nun einmal nicht „Neideck“, sondern „Streiteck“. Vergl. dazu die Ausführungen meiner zweiten Abhandlung (Volksblatt, Euskirchen). - Der Jenseitsturm ist nichts anderes, als der aus dem Steinmaterial des Murus von Aduatuca - dem anderen Jenseits - erbaute Bergfried von Nideggen.

Ob Graf Wilhelm von Jülich zwischen 1177 bis 1191 der eigentliche Erbauer der Burg Nideggen war, ist bis jetzt nicht bewiesen worden. Ich bin überzeugt, daß vor ihm schon das Steinmaterial von Aduatuca herübergeholt worden ist. Auch die Pfarrkirche von Berg bei Nideggen weist zum Teil dasselbe Steinmaterial auf. Über der Frühgeschichte von Nideggen ruht trotz der fleißigen Arbeit von Aschenbroich tiefstes Dunkel. Man muß staunen, daß die Fachgelehrten bis heute Nideggen vergessen haben. Unbegreiflich beinahe ist es, daß man an die Wälle, auf dem Nideggens Mauern stehen, bis jetzt noch keinen Spaten angesetzt hat. Die Zeichnung auf Karte III verrät vieles! Niteka hängt mit Aduatuca nicht bloß durch ein wenig Steinmaterial zusammen! Ich stelle für heute abschließend fest, daß ich zuerst diese Feststellung vor der Öffentlichkeit gemacht habe. Auch in Nideggen gibt es archäologischen Bodenbefund von großer Wichtigkeit.

(Fortsetzung folgt)





Quelle: Euskirchener Volksblatt Nr. 139 vom 19. Juni 1937
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de, H. Klein
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