Das Aduatuca der Eburonen
Ein Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte unserer Heimat besonders der Nord-Osteifel
von Pfarrer Pohl, Lommersum





(3. Fortsetzung)

Nach einer „strategischen“ Pause von sechs Monaten beantworte ich den letzten Satz meiner Abhandlung vom 26. Juni 1937 (Volksblatt Euskirchen, Nr. 145): „Was geschah inzwischen draußen auf den Getreidefeldern hinter der Hügelkette?“

Die zum Fouragieren vom Lagerkommandanten Cicero von Aduatuca ausgesandten fünft Kohorten hatten gerade ihre Arbeit auf den Getreidefeldern in der Linie Muldenau-Embken-Juntersdorf-Bürvenich beendet (Cäs. Buch 6, Kap. 39). Da hörten sie den Lärm vom Ansturm der 2000 sygambrischen Reiter auf die Tore ihres Standlagers. Sehen konnten sie nichts, denn der „unus omnino collis“, d. h. die „Hügelkette“, versperrte den Blick auf das Lager. Die auf das Hintertor des Standlagers losstürmende Reitermasse der Sygambrer hatten sie auch nicht sehen können, wie sie durch den dort befindlichen Wald gedeckt war (S. Karte 1). Um Klarheit zu bekommen, sprengt die zum Schutze der fouragierenden Kohorten mit ausgezogener Reiterei auf die Hügelkette und sieht, daß der Rückzug ins Lager versperrt ist. Die Troßknechte laufen auf den nächsten Hügel; „in proximum tumulum“ sagt Cäsar. Dieses tumulus ist der auf Karte I eingezeichnete 52 Meter hohe Kreuzberg. Cäsar unterscheidet hier ausdrücklich zwischen einem tumulus und dem iugum, d. h. dem Kamm der Hügelkette, auf dem die altgedienten kriegserfahrenen Soldaten Stellung nehmen. Der Kamm der Hügelkette (s. Karte I) vom Eichelsberg bis zum Piesberg ist durchschnittlich 290 Meter hoch. Die kleine Anhöhe des Kreuzberges - mitten in der Hügelkette, da, wo das Neffeltal direkt zur Porta decumana von Aduatuca führt - dagegen nur 52 Meter. Daher Cäsars genaue Unterscheidung zwischen iugum und tumulus. Das Drama, das sich nun abspielt, ist kurz: Die altgedienten Legionäre, mit allen Wechselfällen des Krieges vertraut, stürmen mitten durch die Feinde zum Lager vor und erreichen es auch ohne einen Mann Verlust. - Troßknechte und Reiter bekommen dadurch Mut und erreichen ebenfalls das schützende Lager. Die fünf Kohorten aber - also ca. 3000 Mann - die auf der Höhe geblieben waren, „gerieten bei ihrem Versuche, das Lager zu erreichen, auf ungünstiges Gelände“ (Cäs. Buch 6, Kap. 40). Dieses „ungünstige Gelände“ ist das Gebiet der Neffelquellen, das vor ca. 150 Jahren noch ein regelrechtes Sumpfgebiet war. Zwei von diesen fünf Kohorten wurden dort von den sygambrischen Reitern bis auf den letzten Mann niedergemacht.


Karte I

Die Römer hatten inzwischen das Lager von Aduatuca wieder regelrecht besetzt. Als die Germanen sahen, daß die Verschanzungen in Verteidigungszustand waren, kehrten sie zu ihrer Beute, die sie in den Wäldern des Vorgebirges versteckt hatten, zurück und setzten damit über den Rhein. In der folgenden Nacht erschien an der Spitze der Vorhut der Reiteroberst Cajus Volusenus mit der Reiterei vor Aduatuca. Kein Mann der noch immer bestürzten Besatzung wollte ihm glauben, daß Cäsar im Anmarsch sei. Man glaubte, alle Legionen seien vernichtet. Erst als Cäsar selbst ankam, hatte alle Furcht ein Ende. Das war das zweite Mal, daß Cäsar persönlich in Aduatuca war. Das erklärt seine lebendige, bis ins Detail gehende Schilderung des Geländes und aller Begebenheiten zum Aduatuca! Hier verschweigt er nichts, hier beschönigt er auch nichts. Darum haben wir die Pflicht, frei von allen Rekonstruktionen uns an den Cäsartext zu halten und ihn stehen zu lassen. -


Karte II - [X] Neu eingezeichnet ist die neuentdeckte westliche Längsseite des Lagers

Von Aduatuca brach Cäsar dann von neuem auf, den Eburonenkönig Ambiorix endgültig zu vernichten und sein Land zur Wüste zu machen. Daß er zum zweiten Male von Aduatuca aufbricht, ist ein Beweis für die zentrale Lage des Platzes. Lager und Kastell von Aduatuca, Landesfestung und Sitz des Ambiorix waren Zentralpunkt seiner Operationen. Die Befestigungsanlagen dieses so wichtigen Platzes erstrecken sich deshalb auch nicht allein über den Wald „in Badua“, sondern gehen vom Düttling (=Heim des Dudilo), wo römische Straßenbefestigungen und ein Stationslager sichtbar sind, über die Eisenstraße zum Zentralpunkt „Badua“ und dann herunter zum Muscheling (= Heim des Mutzel, d. h. des Mutigen nach Prof. Mürkens) wo (s. Kt. III) wiederum eine fast runde mit Wall und Graben umgebene Befestigung liegt (ca. 4 ha Flächeninhalt). Wall und Graben sind bei Rodungsarbeiten vor 3 Jahren verschwunden. In diesem Zusammenhang sei mitgeteilt, daß auch die zweite Längsseite des römischen Lagers, die an die keltisch-germanische Walburg stößt, einwandfrei festgestellt wurde. Der murus, d. h. die steinerne Brustwehr des Lagerwalles ist auch hier deutlich zu erkennen. (Vergl. Karte II.) Es ist nun Aufgabe der vom Staate berufenen Archäologen in Badua und Niteca den Spaten anzusetzen.

Zum literarischen Befund. Der erste Schriftsteller, der über das Gelände von Niteca und Badua berichtet, ist Cäsarus von Heisterbach (von 1180-1240). Er spricht (D 6. c. 10) von einer ganz „erschrecklichen Wildnis um Maubach herum“ - iuxta catrum Molbach in solitudinem satis horrendam. - Das wäre ein Hinweis auf den furchtbaren Vernichtungskrieg gegen das Gebiet der Eburonen, den Cäsar in Buch 6. Kap. 43 schildert. Derselbe Cäsarius von Heisterbach berichtet uns, daß im Kampfe zwischen dem Papste Gregor IX. und den Hohenstaufen, auf deren Seite die Jülicher Grafen standen, es zu einer Schlacht „in Badua“ kam in welcher der Erzbischof Konrad von Hochstaden von Köln, der auf Seiten des Papstes stand, gefangen wurde. Der Ausdruck „in Badua“ beweist, daß damals noch immer Tradition vorhanden war, ein Wissen um die keltisch-germanische Zeit und die damaligen Kämpfe (badu, keltisch = Kampf).

Ein direkter Hinweis auf den Untergang der Legaten Cotta und Sabinus bei Aduatuca, in der Nähe von Düren, findet sich bei dem alten Dürener Chronisten Jacobus Polius, in dessen um 1634 verfaßten, im Dürener Stadtarchiv befindlichen Handschrift, der „Vindiciae antiquitatum Marcoduri.“ Die Kenntnis dieser Stelle verdanke ich Herrn Professor Dr. Lennartz - Düren, dem langjährigen Dürener Stadtarchivar und besten Kenner der Geschichte Nideggens, der das Nideggener Archiv endgültig ordnete und in einer großen Reihe von Vorträgen und Aufsätzen die Geschichte Nideggens behandelte. Der handschriftliche Text auf Seite 259 der Handschrift bezieht sich auf die Belagerung Dürens durch Karl V. im Jahre 1543. Er lautet „Neque enim deerant (auf Seiten der Belagerten) veteres hystoriae regionisque periti, qui haud logne a Dura sub Titurio Sabino et Lucio Cotta Julii. Caesarius cohortes olim conscissas fuise memorarent, ipsis simul cum L. Petrosidio aquilifiero misere peremptis, quorum libro 5. de bello Gallico meminit Julius Caesar,“ d. h. „Es fehlte auch nicht an solchen, (nämlich auf Seiten der belagerten Dürener), die Kenntnis hatten von der alten Geschichte und der Umgegend. Diese sprachen davon, daß einst nicht weit von Düren unter Titurius Sabinus und Luzius Cotta die Kohorten Julius Cäsars zusammen gehauen wurden. Mit ihnen ging damals elendiglich zugrunde der Adlerträger L. Petrosidius. Dies berichtet im 5. Buche seines, Gallischen Krieges' Julius Cäsar.“

Haudlonge, d. h. „nicht weit“, kann natürlich eine Entfernung von mehreren Stunden sein. Eine zweite Stelle über die Eburonenschlacht von Aduatuca findet sich in den „Vindiciae“ des Jacobus Palius auch auf Seite 245 „Tempore Julii Caesaris sub Titurio Sabino et Caio Cotta eius exercitus Marcoduri fusus fuit, d. h.: „Zur Zeit des Julius Cäsar wurde dessen Heer unter T. Sabinus und C. Cotta in Düren vernichtet“. Am Rande der Handschrift steht als Quelle angegeben: „Paul Jovii p. 3 lb. 44 et Panthaleon“.

Herr Prof. Dr. Lennartz sah darauf die im Stadtarchiv von Düren befindliche lateinische Ausgabe des italienischen Geschichtsschreibers Jovius († 1552) ein und stellte in dieser Ausgabe vom Jahre 1560, 2. Band, 2. Teil, S. 510 folgende Stelle fest: „Neque enim deerant veteris historiae regionisque periti, qui non longe a Dura, sub Titurio Sabino et Caio Cotta, Julii Caesaris cohortes ollim concisas fuisse memonrarent, nec eius genitis milites, tamquam astutos maximeque pugnaces, Caesariani contemnebant“. „Auch verachteten die Kaiserlichen die Kämpfer dieses Volkes als verschlagene und höchst tapfere Leute nicht.“

In der italienischen Ausgabe steht bezüglich des Ortes dasselbe: „oppesso a Dura“, also „nahe bei Düren“. Herr Prof. Dr. Lennartz folgert mit Recht daraus, daß Polius die oben angeführte ausführlichere Stelle (Seite 259) fast wörtlich aus Jovius übernommen hat. In dieser Stelle fährt Polius fort: „Accedebat alio ratio, quod nec Menapiorum milites lamquam astutos maxemeque pugnaces Caesariani contemnebant“, d. h. „es kam noch eine andere Überlegung dazu, daß auch die Kaiserlichen die Kämpfe der Menagier (= Jülicher) als verschlagene und höchst tapfere Leute nicht verachteten“.

Daß Palius auf Seite 245 „Marcoduri“ d. h. „in Düren“ statt wie auf Seite 259 „haud longe a Dura“, d. h., „nicht weit von Düren“ schreibt, hält Professor Lennartz für „Lokalpatriotismus“. Ich stimme ihm zu. Vielleicht nennt man es noch besser „Heimatliebe“, denn die Vorfahren des Jakob Pohl stammen aus dem Rurtal und sind aus diesem nach Düren zugewandert. Des Jacobus Poilus Vater Johann war bekanntlich Schultheiß in Drove. Die Kenntnis des benachbarten „Badua“ war sicher da. Denn wie ich nachher im folkloristischen Befund nachweisen werden, hat die Bevölkerung des oberen und mittleren Rurtales sich immer erzählt von der großen, untergegangenen Stadt „Badua“, ihren Kellern (vergl. Kimbrisches Wohngrubensystem Karte I) und der großen „Heidenschlacht“.






Karte III - 3 Zeichnungen: Volksblatt-Archiv

Was besagen und beweisen nun die angeführten, lateinischen Stellen aus Jacobus Polius? Polius schildert - wie oben bemerkt - die Belagerung und Eroberung Dürens durch Kaiser Karl V. im Jahre 1543, im jülich'schen Erbfolgekriege, der sogen. „jülichschen Fehde“. Er schreibt ganz im Stile der damaligen Zeit: Der Herzog von Jülich ist der „dux Meanapiorum“. Die „urbis in Menapiis“ ist Düren. Die tapferen Dürener unter ihrem tapferen Stadtkommandanten Reinhard von Vlatten und dem Ritter Paulus von Bourscheidt sind die „decus Menapiorum“, d. h. die Zierde der Menapier. Dieser Volksstamm wohnte ja zu Cäsars Zeit ebenso wie die Jülicher an Niederrhein und Maas. Das Stammschloß des Reinhard von Vlatten lag übrigens nur eine Viertelstunde vom Lager des Sabinus und Cotta entfernt. In ihrer Not suchen die Belagerten nach jedem Hoffnungsanker. Der Cäsar, der Kaiser - so hieß es damals im Westen des Reiches - sei gar nicht beim Heer. Er sei auf seinem Kriegszuge nach Algier im Meere ertrunken. Da leuchtet ihnen ein neuer Hoffnungsstrahl: War es nicht auch so gewesen, oben bei Nideggen, dem stolzen Schloß ihres Herzogs?

In der Schlacht von Aduatuca, als die Legaten Sabinus und Cotta mit den Legionen des Cäsar, des Kaisers, untergingen, war der Cäsar der oberste Führer, auch abwesend. Das hatte damals den Eburonen, ihren Vorfahren, den Mut zum Angriff gegeben. Was diesen gelungen, das würden auch sie erreichen. „Non haud longe a Dura“ - „nicht weit von Düren“ hatten jene gesiegt. Warum sollen wir es nicht können!

Polius muß um eine gewisse Tradition gewußt haben. Da Karl V. von Bonn her kam, also vom Rheine und sich der Feldzug über Nideggen, Düren, Jülich, Bergheim, Heinsberg, also die Rur herunter zur Maas hin abspielte, kommen bedeutend westlicher gelegene Orte, z. B. Limburg oder Emborg, oder Vetschau (bei Aachen) oder andere Orte im Aachener Land, die man auch für das Aduatuca der Eburonen gehalten hat, für Polius und die damalige Überlieferung nicht in Betracht. - Für das Rurtal ist der Traditionsbeweis gegeben.

Im Zusammenhang mit dem literarischen Befund möchte ich es nicht unterlassen, auf die köstliche Szene hinzuweisen, die „in Badua“ am sogen. Clemensstock sich abspielte, als Generalfeldmarschall von Hindenburg gelegentlich der damaligen großen Manöver seinen jungen Offizieren erklärte, was es mit dem Badewalde auf sich habe. Wenn man das liest, weiß man nicht, ob man mehr über die Sprachenkenntnis des großen Marschalls staunen soll oder über seine Kenntnis der Kriegsgeschichte längst vergangener frühhistorischer Zeiten.

(Fortsetzung folgt)





Quelle: Euskirchener Volksblatt Nr. 24 vom 29. Januar 1938
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de, H. Klein
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