Der älteste Turm der Voreifel
Von Pfarrer Andreas Pohl, Abenden





Die alten Wahrzeichen des Zülpicher und Dürener Landes: St. Peter in Zülpich, St. Anna in Düren und St. Johannes in Nideggen sind der Kriegsfurie zum Opfer gefallen.

Wuchtig und ganz bodenverwachsen steht er noch da, der Turm der Kirche von Wollersheim, wie ein Wacht- und Leuchtturm - und das war er wirklich - auf einem der letzten Ausläufer der Nord-Osteifel, zum Zülpicher Lande hin. Ebenso ehrwürdig als Träger vorgeschichtlicher Steinurkunden wie als frühchristliche Kultstätte. Nach Westen ist er orientiert zur Signal- und Feuerwacht des Burg„berges“ und zur „Odwacht“, zum Aduatuca, d. h. der „Gutswache“ der Kimbern „in Badua“ mit dem Wohnsitz des Eburonenkönigs Ambiorix. Nach Osten zum alten Tolbiacum sowohl der Kelten- und Römer- wie der Frankenzeit.


Geschichte des Turmes in Wollersheim.

Clemen (Kunstdenkmäler. Kreis Düren, S. 350) berichtet, die Legende erzähle, daß St. Willibrord sein Beichtkind Plectrudis veranlaßt habe, in Wollersheim eine Kirche zu errichten. Das wäre meines Erachtens vor dem Jahr 713 gewesen. Wir werden sehen, daß es sich hier auf Grund der neuentdeckten Steinurkunden, der Ortsnamenkunde und einer Aufzeichnung im Extractus ex libro statutorum capituli Tolplacensis um mehr als eine Legende handelt und daß die alte Ortstradition die Wollersheimer Kirche sei ursprünglich ein alter Heidentempel gewesen, die schweren Konsolen in den Ecken der Turmhalle hätten heidnische Steinbilder getragen und kein Kreuzgewölbe und Klotilde hätte während der Schlacht bei Zülpich 496 vor einem Kreuze, das an der Stelle des alten Turmes gestanden habe, um den Sieg des Klodwig gebetet, einen geschichtlichen Kern enthält.

Urkundlich steht jedenfalls fest, daß schon im Jahre 1184 das Stift St. Martin im „Capitol“ in Köln (also in der festungsartig gebauten „Burg“ der obengenannten Plectrudis) in Wollersheim einen Stiftshof gleich neben dem Turme besaß und vor dem Jahre 1241 die Kirche dem genannten Stift inkorporiert war, das in Wollersheim auch einen Zehnthof besaß. (Vergl. Annalen des Hist. Vereins für den Niederrhein LXXXIII, S. 4, 7.) Der Turm als Ganzes wird wohl der Mitte des 12. Jahrhunderts angehören, die Turmhalle aber scheint viel älter zu sein. Das Steinmaterial derselben wenigstens mit den Steinkult- und Sonnenzeichen und Schleifrillen (Wetzmarken), auf den mächtigen ungleichmäßigen mit anderem Mauerwerk zusammengestellten Sandsteinblöcken, durchsetzt mit römischen Ziegelstücken wie an den romanischen Kirchen von Arnoldsweiler, Merzenich, Pier und Hochkirchen (vergl. Schoop. Die römische Besiedlung des Kreises Düren S. 15) ist bestimmt älter als das Mauerwerk der vier anderen Geschosse dieses romanischen Westturmes.

Clemen äußerte sich deshalb bei der Aufnahme des Turmes für sein großes Werk über die „Kunstdenkmäler der Rheinprovinz“ mündlich, der Turm sei nach seiner Meinung der älteste des Dürener und Euskirchener Landes und der ganzen Voreifel. Kanonikus Bock - Aachen widerspricht dieser Ansicht nicht, meint aber, der Turm der alten Kirche zu Arnoldsweiler sei ebenso alt oder reiche wenigstens bis an die Karolingerzeit. Über dem zweiten Geschoß ist der Turm stark eingerückt, hier scheint eine zweite jüngere Bauperiode zu beginnen. Das erste Obergeschoß hat an jeder Seite zwei Rundbogenfenster, teilweise sind dieselben vermauert. Das dritte Geschoß hat eine reichere Gliederung mit schlanken Lisenen, wie sie charakteristisch sind für die Stauferzeit, mit Rundbogenfries. Der Glockenstuhl hat an jeder Seite zwei Doppelfenster, die durch Säulchen mit glattem Würfelkapitell und Kämpfer aufgeteilt sind (s. Clemen Kunstdenkmäler). Das niedrige vierseitige Pyramidendach ruht auf einem schweren Gesims aus Haustein; es wirkt wie eine gefällige Haube für den breiten romanischen Turm und paßt zu ihm besser, als der spitze Turmhelm, der am 22. Januar 1819 durch Blitzschlag getroffen wurde. Der Turm brannte dabei bis zum untersten Teile aus; die drei Glocken wurden vernichtet.


Abb. 1: Der aus dem 12. Jahrhundert stammende Kirchturm der alten Wollersheimer Pfarrkirche

Neuentdeckungen am Turm.

1. Der Signalturm! Das war er Jahrhunderte lang und zwar in seiner jetzigen Gestalt etwa seit dem 12. Jahrhundert. Beweis: Über den Schallfenstern des Turmes befinden sich zwei karrenradgroße Öffnungen (s. Abb. 1) die ursprünglich Signalzwecken gedient haben. Das erhellt schon daraus, daß sie nur auf der Ost- und Westseite angebracht sind. Sie sind sorgfältig zugemauert und deshalb von den Fachgelehrten ganz unbeachtet geblieben. Sie hätten bei der Restauration des Turmes im Jahr 1912 wieder geöffnet werden sollen. Ich sagte in der Einleitung, daß diese Signalöffnungen (in Kriegszeiten) nach Westen über die „Odwacht“ die „Gutswacht“ der Kimbern (Cäs. bell. gall.), die Signaltürme am Eingang der Bade (bei dem steinzeitlichen Fundplatz) und auf dem Rädelsberg, den Sitz des Ambiorix und das Streiteck Niteca hinweg zur Hochwacht des Burgberges leuchteten. Freilich nicht im jetzigen Turm. Und von da über die vielen „Burg“berge der Eifel bis an die Maaslinie. Nach Osten gab der Turm von Wollersheim die Feuerzeichen weiter über Tolbiacum ins eburonische und ubische Unterland und später ins Ripuarische und Kurkölnische bis über die Rheingrenze hinweg in Sigambrische. In geschichtlich nachweisbarer Zeit fanden auf dieser Linie immer wieder Schlachten und Treffen statt, angefangen von der Niederlage des Cotta und Sabinus, der Divisionäre Cäsars, (Cäs. bell. gall. Buch 5, Kap. 37), am „Streiteck Niteca“, der Alemannenschlacht Klodwigs; den Kämpfen zwischen den deutschen Gegenkönigen zur Stauferzeit, und den vielen Treffen zwischen Kurköln und Jülich, bis herab zum Heereszug Karls V. von Bonn her nach Nideggen.

In vorgeschichtlicher Zeit haben auf den vielen „Burg“bergen der Eifel niemals „Burgen“, d. h. feste Schlösser im mittelalterlichen Sinne gestanden. Es waren Hochwarten mit Feuersignalen, durchaus nicht immer „Fliehburgen“, weil „Abschnittswälle“ oft gar nicht anzubringen waren, so z. B. auf dem obengenannten „Burg“berg bei Nideggen. Er hat niemals eine mittelalterliche Burg getragen. Das in der ganzen Eifel noch bis vor 30 Jahren übliche „Burgbrennen“, - am ersten Fastensonntag wurde es in übertragenem Sinne gehalten, - weist eindeutig darauf hin, daß diese Kuppen bei einer Invasion den Bewohnern sofort Kunde gaben von dem Heranrücken des Feindes. Militärische Fachmänner haben berechnet, daß durch diese Feuersignale ein feindlicher Überfall in eineinhalb bis zwei Stunden jedem Eifel- und Ardennenbewohner vom Rhein bis nach Gallien und an den Ozean mitgeteilt werden konnte. Schon Cäsar waren diese Feuersignale als Kriegszeichen bekannt: Cäs. bell. gall. I, III, Kap. 33 celeriter ut ante imperaverat ignibus significatione facta, ex proxinis concursum est. Wir lesen das bei Cäsar (Bell. Gall. I, III, Kap. 33), daß er, als die Advatricier (Aduatucer) einen unerwarteten Ausfall aus ihren Verschanzungen gegen die Römer machten, sogleich seine lagernden Truppen durch Feuersignale wieder an sich zog und daß er, als er aus der Rheingegend her, ausgerechnet in Richtung Zülpich-Wollersheim etwa, zum Rachezug gegen Ambiorix zog, den strengen Befehl gab, keine Lagerfeuer anzuzünden, um von den Eburonen und ihren Feuerwarten unbemerkt zu bleiben. (Cäs. bell. gall. Buch 6, Kap. 29.)

Soll das in alten Schriften (zuletzt 1572 Chronist Brand von Prüm) häufig erwähnte Nodfir (Notfeuer) nicht damit gemeint sein? Auf der ganzen Linie Bonn - Zülpich - Nord-Eifel - Ardennen - Maas - Lüttich folgen - um im Blickfeld des Aduatuca zu bleiben - sich in ununterbrochener Reihe, den alten Kelten- und Römerwegen, die zugleich Handelswege waren, entlang, die Feuerwarten. Ein sprechendes Gegenstück zum Wollersheimer Wachturm ist der Büllinger Kirchturm, dessen Unterbau aus den Steinen eines römischen Wachturms an der Warche errichtet sein soll. (Vergl. Ortmanns „Der fränkische Königshof Büllingen“). Wie die Signaltürme der Römerzeit aussahen, zeigt uns die Abbildung des Wachhauses auf der Trajansäule in Rom mit Heufeimen und Holzstoß (ad significationes fumo et igne faciendas). Vergl. dazu Cäs. bell. gall. Buch II, 7, 4 und 33, 3. Wichtig ist noch, daß mehrere Ortschaften der Eifel, die den Namen „Rath“ haben oder auf „rath“ endigen, mit Rodungen nichts zu tun haben, wie Ed. von Weecus nachgewiesen hat, sondern auf rath = Burg zurückzuführen sind.


Abb. 2: Die Steinkultzeichen

2. Die Steinkultzeichen am Turme. (Abb. 2 und 3.) In meiner Abhandlung „Die Schalensteine beim Aduatuca der Eburonen“ beschrieb ich die Schalensteine vom Mausauel, vom „Weißen Stein“ und von der „Juffernley“, besprach dabei die Steinkultzeichen bei den „Kultstätten in Badua“ und die großen Entdeckungen, die Dr. Ernst Schneider - Luxemburg in seinem hervorragenden Werk „Material zu einer archäologischen Felskunde des Luxemburger Landes“ schildert. Im September 1943 entdeckten wir auf den obenerwähnten mächtigen Steinblöcken der Turmhalle von Wollersheim, die mit römischen Ziegeln durchsetzt sind, außer vielen Schleifrillen an drei Turmseiten und einem Sonnenzeichen die Schalensteine. Die Schalengruben oder Näpfe haben (nach Dr. Schneider) fast immer einen Durchmesser von 3 - 8 cm und eine Tiefe von 2 - 5 cm. Sie sind von Menschenhand an Felsen oder Steinblöcken eingeschliffen oder eingehauen. Unsere zwei Schalen haben 7 cm Durchmesser, 14 cm Höhe und 3 cm Tiefe. Eine dritte Schale ist nicht ausgehauen worden. Beide Schalen waren mit Zement vermauert, dessen Alter ein Fachmann, dem ich sie vorlegte, nicht bestimmen konnte. Durch das obere Ende der zwei Schalen geht die Fuge eines zweiten Steinblocks. Dieser hat wieder eine Höhlung, die mit romanischen Bogen versehen ist und gekrönt wird von merkwürdigen Kreuzen in frühromanischer Form mit scheinbar vertikalen Kreuzchen an den Eden, sogen. Krückenkreuzen. Die Bekrönung macht den Eindruck eines verschleierten Sonnenrades. Ein solches ist auch an der Westwand der Turmhaue deutlich zu sehen. Es gibt Schalen aus palaeolitischer Zeit, andere sind an Megalithbauten, meistens an Dolmen. Sie verschwinden in historischer Zeit, wie es scheint gegen Ausgang des Mittelalters, und da hätten wir das obengenannte Jahr 713 zu beachten! An den Pfeilern der Georgskirche in Hagenau im Elsaß, an den vor der Reformation erbauten Kirchen in Meißen und Dippoldiswalde, sowie an anderen Kirchen aus dem 13. (Wollersheim), 14. und 15. Jahrhundert finden sich diese Schalensteine (vergleiche Bonner Jahrbücher 78, S. 243 ff.). Dr. Schneider schildert, wie man dem Volke Gelegenheit gab, Schalen und Rillen einzulassen und zu diesem Zwecke Sandsteinquadern in die Granitmauern einließ.

Über die Bedeutung der Schalengruben ist unglaublich viel geschrieben und diskutiert worden. Sie ist bis heute nicht zu verfassen gewesen. Eine praktische Verwendung der Schalen ist nicht zu ersehen. Gegen eine Eignung zum Zerstampfen von Körnern oder anderen harten Früchten sprechen ihre kleinen Ausmaße, ihre geringe Zahl, ihr Auftreten an schiefen oder senkrechten Flächen sowie die meist unbedeutende oder fehlende Abrundungen der Räder. Beim Volke heißen sie oft Elfenmühlen. Vielfach hat man in ihnen kleine besonders für Totenopfer bestimmte Opfergruben sehen wollen. Tatsächlich soll in der Schweiz und in Schweden festgestellt worden sein, daß in früheren Zeiten vom Volke Fett, Butter oder Honig in die Schalen gebracht worden ist. Dazu wäre zu sagen, daß südlich vom Turme auf dem Pützberg zweimal ein großes Gräberfeld vom Bonner Landesmuseum freigelegt wurde mit fränkischen Gräbern, meist aus gespaltenen Votivsteinen der Matronae Veteranheae und nördlich vom Turme bei „Göders“heim zahlreiche Matronensteine, besonders der des Sunnuxal. Daß ferner unterirdische Wasseradern vom Pützberge zum uralten „Gemeindepütz“ führen, wo nach frühgeschichtlicher Sitte Totenwaschungen vorgenommen wurden und daß beim Turme die Begräbnisstätte für zeitweilig fünf Dörfer gewesen ist (vergl. die Flurnamen „Lichweg“ und „Gräpp“).

Wie kommen diese Schalensteine und Kultzeichen an die Turmhalle der frühchristlichen Kultstätten in Wollersheim? Wahrscheinlich stammen diese mächtigen Steinblöcke mit den genannten Zeichen aus den „Kultstätten von Badua“. Beim Bau der Turmhalle wurden sie aus der Bade herbeigeschafft und mit christlichen Zeichen versehen. Dafür spricht u. a. die alte Tradition der Wollersheimer, daß die alte Kirche erbaut worden sei aus Steinmaterial, das aus der Bade herbeigeholt wurde. Ebenso möglich aber ist es, daß St. Willibrord-Clemens, der eigentliche Missionar der Nord-Osteifel, der 713 als „Pastor in Wollersheim“ (gleich Wollberichsheim = Willibrordsheim) genannt wird, den Steinkult der Neubekehrten zuerst eine Zeitlang klug geduldet hat, indem er jede Generaloffenisve gegen den heidnischen Kult vermied. Wir wissen ja durch urkundliche Feststellungen aus dem 5., 6., 7. und 9. Jahrhundert, daß der alte Steinkult weiter bestanden hat, ja, daß er sich hartnäckig erhalten hat bis gegen das Ende des 1. christlichen Jahrtausends. Beweis dafür sind 12 Texte, 5 davon aus Konzilbeschlüssen, 4 aus Kapitularien der der fränkischen Könige. Ein Beschluß gegen den Steinkult steht in einem Kapitulare Karls des Großen vom Jahre 789, also kurz nach dem Tode Willibrords. (Vergl. meine Abhandlung über „Die Schalensteine beim Aduatuca der Eburonen.)


Abb. 3; Die romanische Kapellenanlage im ersten Stock des Turmes

3. Der Michelskult (s. Abb. 2). Als im Jahre 1902 der alte, sehr große Blasebalg der Orgel entfernt wurde, zeigte sich im ersten Stock des Turmes eine romanische Kapellenanlage. An der Stelle, die der Blasebalg eingenommen hatte, sah man nämlich eine in die Ostmauer des Turmes tief eingelassene Apsis, eine Altarnische, mit Abstellnische und Steinbank. Clemen erwähnt dieselbe nicht. Er sah nur das südlich der Nische befindliche Doppelfenster mit einfachem Würfelkapitell und zwar vermauert - jetzt ist es geöffnet - und nördlich der Nische eine rundbogige Tür. Diese Tür ist aber erst 1848 entstanden, als die Empore für die Orgel errichtet wurde. Auch nördlich der Apsis war nämlich ein Doppelfenster, das zu der genannten Tür 1848 erbreitert wurde. Die Anlage hat an jeder Seite zwei kleine Rundbogenfenster, die teilweise vermauert sind. Der Raum war verputzt, aber infolge des Brandes un der wenig glücklichen Restaurierung ist der Verputz fast ganz abgeschlagen. Pfarrer Friedrich Schulte von 1887 - 1933 in Wollersheim schreibt dazu in seiner Chronik: „Das war die Kapelle, wenn die Äbtissin von St. Maria im Kapitol in Köln mit ihrem Kaplan und Begleitung auf ihrem Stiftshof, der schon 1184 als Eigentum des Klosters erwähnt wird, der Messe beiwohnen wollte.

Zu dem Zweck war auch ein Gang aus dem Stiftshof nach dem Turm der nach dem Hof zu einer Tür hatte. Jetzt ist sie zugemauert, wie auch die noch sichtbare Tür aus dem „Hof“. Das letztere stimmt, das erstere ist ein Irrtum, daß nämlich die Kapelle für die Äbtissin bestimmt gewesen und für dieselbe hergerichtet worden sei. Diese Kapellenanlage diente von Anfang an dem Michelskult. Sie ist ein kleines Michaelsheiligtum, wie sie, um im Blickfelde von Wollersheim zu bleiben, in den romanischen Westtürmen von Wichterich, Kleinbüllesheim, Walberberg, Kierdorf sich finden und um im Lichtkreise der vorhin erwähnten Signalkuppen und Römerwege zu sehen, in Vlatten, Steinfeld, Malmedy, Köln (bei St. Severin), Michelsberg (Siegburg), Michelsberg (bei Münstereifel) und Godesberg sind. Es steht fest, daß alle diese Kapellen, die sich immer im ersten Geschoß der romanischen Westtürme befinden und immer die gleiche Gestalt haben - Apsis, Altar, Abstellnische, Öffnungen in der Ostwand - der Verehrung des Engels der Deutschen dienten. Das bestätigen für einige Kirchen noch vorhandene alte Kultbilder des Erzengels und frühmittelalterliche Urkunden.

Für Wollersheim ist das Vorkommen des Michaelskultes besonders bedeutungsvoll, weil hier und im benachbarten Berg-Floisdorf jahrelang der Sitz des ersten Missionars der Nordeifel, des hl. Willibrord, war. Er wußte, wie alle seine Mitarbeiter, wie zäh gerade die Germanen an ihren Göttern und Bergheiligtümern hingen, wie gerade im Bereiche der Bade Odin - Wodin - Wotan in Verehrung stand beim Nationalheiligtum des eburonischen Landes, wie er in der wilden Jagd vom „Odenwinkel“ bei der „Odwacht“ der Kimbern herunterbrauste in die magna convallis Cäsars und über den „Odengarten“ und die Doppelfurt im Tale von Abenden hinweg beim „Odenbach“ im „Odenbleuel“ verschwand (vergl. Hoffmann, die Volkssagen des mittleren Rurtales), inmitten seines „Dreibergheiligtums“. Wenn wir nun noch beachten, welche Rolle die Trinkwasserversorgung und die Grabstätten Wollersheims von den Tagen der Franken und des „Wasserheiligen“ - Willibrord - an bis vor 30 Jahren gespielt haben, dann verstehen wir, wie alles zusammenwirkte: Wilde Jagd und Wassernot, vorchristliche Kultstätten und Bergheiligtümer, um Willibrord und seine Nachfolger zu veranlassen, gerade hier an die Stelle Odins, des Sturmdämons, der seine fahlen Pferde beim „Krahenberg“ hatte, des Seelen- und Totengottes mit dem Totenheer, der wütenden Schar, dem Wod - daher sein Name Wodan - der den Feuer-, Wasser-, Heil- und Runenzauber ausübt, die lichte Gestalt St. Michaels zu setzen, der nun beim alten Leuchtturm der Vorzeit zum Licht- und Kampf- und Totenengel aber auch zum Heilengel, zum Arzt des Volkes wurde. Durch ihn entsprangen Heilquellen. Das mag schon um das mehrmals erwähnte Jahr 713 begonnen haben!

Genau hundert Jahre später, im Jahre 813 wurde durch das Konzil von Mainz der Tag des hl. Michael auf den 29. September gelegt. Dieses Datum fiel in die Zeit des altgermanischen Neujahrs: das altgermanische Jahr begann nämlich mit der Winterhälfte (s. Elis von Schmidt-Pauli „Erzengel Michael und die Germanen“). Wieder etwas mehr als hundert Jahre später, 933 siegte Heinrich I. unter Michaels Banner an der Unstrut über die Ungarn und 955 Otto der Große auf dem Lechfelde über dieselben Ungarn. Im 10. Jahrhundert scheint sein Bild auf der Reichsfahne dem Adler gewichen zu sein. Der Michaelskult aber stieg noch Jahrhunderte lang zu immer größerer Blüte, so daß es gegen Ende des Mittelalters kaum eine Stadt in Deutschland gab, die nicht eine Michaelskirche oder –Kapelle hatte. Kein Wunder, daß bei dieser Verehrung der größte deutsche Maler: Dürer in seinem großen Apokalypsebild „Michaels Kampf mit dem Drachen“, der größte deutsche Plastiker: Riemenschneider am Grabmal Heinrichs und Kunigundes im Bamberger Dom und der größte deutsche Dichter: Goethe im Prolog zum Faust ihm ein bleibendes Denkmal setzten.






Wollersheimer Kirche mit der Grabstätte von Friedrich Schulte, * 1842 - + 1933, Pfarrer zu Wollersheim von 1887-1922, Wingarden.de Ergänzungsfoto 18.1.2009


Rechts: Detailfoto: Rundbogen-Fries, Wingarden.de Ergänzungsfoto 18.1.2009


Alte Kirche Wollersheim
Wingarden.de Ergänzungsfoto 18.1.2009





Quelle: Unbekannt (Dürener Lokalanzeiger 1958/59?)
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de, H. Klein
©
Copyright