Der Butterpastor Peter Cremer
Von Pfarrer Pohl; früher Amel, jetzt zu Lommersum





Das Volksblatt brachte in den letzten Monaten mehrere Artikel über Männer aus dem Kreise Schleiden, die sich um ihre Eifelheimat große Verdienste erwarben. Nachstehende Ausführungen wollen das Andenken eines Mannes ehren, der im Kreise Monschau, an der Grenze des Kreises Schleiden, geboren wurde und in Wahrheit ein „Sohn und Wohltäter der Eifel“ war.

Der Eifelwanderer, der, vom Bahnhof Montenau im Kreise Malmedy kommend, das Ameltal aufwärtsgeht, steht rechts in das Tal der Emmels hinein; vor sich schaut er, über der Römerkuppe aufragend, den mächtigen Kirchturm von Amel aus dem Jahr 1541, neben welchem wie eine Idylle der alte Pfarrhof aus dem Jahre 1677 liegt. Hier, mitten im „Hof von Amel“, wirkte ein Mann, dessen Grabstein auf dem nahen Friedhof die Inschrift trägt: „Ein Sohn und Wohltäter der Eifel“: Pfarrer und Dechant Peter Cremer.

Auf altem Kulturboden stehen wir hier. Denn alte Amblava wird als merowingischer Königshof schon in einer Urkunde Childerichs II. aus dem Jahre 670 erwähnt, also ein bis zwei Jahrhunderte vor den andern Königshöfen des Eifeler Landes. Ein reges Wirtschaftsleben muß schon früh im alten Amelgau geblüht haben. Darauf deuten die zwei bei Montenau freigelegten Römervillen hin. - Im Laufe der Jahrhunderte bekam aber auch die Westeifel ihre „soziale Frage“. Notjahre kamen und lähmten trotz der Eifelbahn Aachen - St. Vith das Wirtschaftsleben des kleinen Eifelbauers immer mehr, bis im Jahre 1882/83 ein allgemeiner Notstand infolge langer Mißernten besonders auch in der Westeifel eintrat.

Das war der Augenblick, wo Pfarrer Cremer - damals noch Rektor in Nieder-Emmels - mit der ganzen Zähigkeit des geborenen Eiflers auftrat und, die Bestrebungen der Staatsregierung unterstützend, zum erstenmal den Organisationsgedanken in die Köpfe der Kleinbauern der Westeifel warf und den „Verein kleiner Landwirte zu Nieder-Emmels im Kreis Malmedy“ gründete. Wie kein zweiter kannte er die Seele des Eifelbauers. Selbst Bauernsohn aus der Eifel - geboren am 18. August 1841 zu Woffelsbach am Ufer der Rur -, hatte er bis zum zwanzigsten Lebensjahr den kärglichen Acker seiner Väter gepflügt und alle Arbeiten eines Bauern verrichtet. In einem alten Liede, das bei der Feier seines 25jährigen Priesterjubiläums gesungen wurde, steht es:

Jung Cremer stammt aus Woffelsbach,
und pflügte dort den Acker.
Und war das auch kein dauernd Fach,
So schaffte er doch wacker,
Bis daß der Herrgott ihn berief:
Laß ab von deinem Pfluge,
Heil' mir die Welt vom Truge!

Als Primaner des Dürener Gymnasiums fühlte er das frische Bauernblut noch in seinen Adern. Vor Jahren brachte die „Dürener Zeitung“ eine Episode aus seiner damaligen Zeit und schilderte, wie der Primaner Cremer auf der alten Rurbrücke zu Düren einen mit vier Pferden bespannten Lastwagen, der sich festgefahren hatte, mit Kennerblick unter dem brausenden Hurra der zahlreichen Zuschauer in einem Augenblick wieder flottmachte. Nach den theologischen Studien zu Bonn und Köln wurde er im Kriegsjahr 1870 zum Priester geweiht und als Rektor in das weltentrückte Nieder-Emmels gesandt. Sofort stellte Cremer sein Wirken unter den Wahlspruch: „Bete und arbeite!“ Kirchlein und Rektoratshaus wurden wieder hergestellt, die St. Vither Pfarrkirche mitbedient, die Nieder-Emmelser Chronik verfaßt, die verwaiste Pfarre Wallerode 22 Jahre lang mitversorgt. Niemals schreckte ihn der Eifelwinter, noch schwere Krankheit im Jahre 1876. Alle Erkältungen heilte er nach Eifelart mit Heißbier. Er war die Seele des Klosterbaues in St. Vith. Unermüdlich sammelte er die Mittel für das St. Josephskloster, das ihm bis heute ein treues Andenken bewahrt.

Als treuer Sohn der Eifel hatte Rektor Cremer vor allem ein offenes Auge und ein warmes Herz für die wirtschaftlichen Nöte seiner Heimat. Er war der soziale Seelsorger, der nach dem Satz handelte: „Im Anfang steht die Tat!“, der sich nie nur mit Worten begnügte. Damals war die Zeit der gemeinnützigen Notarbeit. Die Viehzucht lag im argen, im Butterabsatz bestand nur ein Tauschhandel mit den Geschäftshäusern; Wiesen und Weiden waren meist in trostlosem Zustande. Das war das richtige Arbeitsfeld für einen zähen Eifeler wie Rektor Cremer. - Sein Eifer für das geistige wie materielle Wohl der Heimat ließ ihn mit scharfem Auge die Krebsschäden erkennen. Nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen wurden aufgeboten als „Landsturm der Kleinlandwirtschaft“, wie er selber schrieb, und als „Mobilmachung der Frauen und Mädchen für die Landwirtschaft“. So gründete er den Butterverein, führte ein neues Aufnahmeverfahren ein - die „Grüllchen“ verschwanden -, umging den Zwischenhandel, besiegte das starre Festhalten der Eifeler am Althergebrachtem und gewann auch den Letzten durch seine volkstümliche Broschüre „Reform des Molkereiwesens für die Kleinlandwirtschaft.“

„Was will er mit dem Butterkram,
Der liebe Herr Confrater?
Er nehme sich der Gläubigen an
Und werd' nicht Butterpater!“

So hatten manche gesagt. Und der Erfolg des „Butterpaters“? Die Gesamteinnahmen des Vereins beliefen sich 1m 1. Januar 1890 - also zwölf Jahre nach seiner Gründung - auf rund 1 400 000 Mark. 1885 versandte der Verein etwa 100 000 kg Butter. „Es wächst der Mensch mit seinen höhern Zielen“ - der Erfolg gab dem „Butterpater“ immer neuen Mut: Trockenlegung und Wiesenverbesserung, Holz- und Korbflechterei, Holzschusterei und Strohhülfenfabrikation, Pfennigsparkasse und Pfennigvorschußverein, Viehversicherungsverein und vor allem landwirtschaftliche Haushaltungsschule waren seine neuen Gründungen und erfolgreichen Arbeitsgebiete.

Im November 1886 eröffnete Rektor Cremer in Gemeinschaft mit den barmherzigen Schwestern von der Regel des hl. Augustinus aus Köln eine Haushaltungsschule in St. Vith für Bauerntöchter. Er kannte die Wahrheit der Sprichwörter: „Eine gute Küche spart viel an der Apotheke! Eine Mark ist 100 Pfennige wert! Worte belehren; Beispiele reißen hin!“ Nach diesen Grundsätzen und Gesichtspunkten arbeitete die neue Schule in Küche, Näh- und Bügelzimmer zum Segen der Westeifel mit einem derartigen Erfolg, daß im Jahre 1888 bereits ein hoher Beamter des Landwirtschaftsministeriums berichtet, daß unter den vielen ihm bekannten Schulen dieser Art die St. Vither Anstalt ganz besondere Vorzüge habe und im Jahre 1889 der Landwirtschaftliche Verein für die Rheinprovinz die Schutzherrschaft über die Gründung Pfarrer Cremers übernahm.

Als im Jahre 1896 die erzbischöfliche Behörde Rektor Cremer an die Spitze der uralten Ameler Pfarre stellte und ihn bald darauf zum Dechanten des Dekanats St. Vith ernannte, da wußte sie, daß die in zehn Dörfern zerstreute weite Pfarre mit ihrer altehrwürdigen Pfarrkirche und neun Filialkirchen das rechte Arbeitsfeld für Pfarrer Cremer sei. Zwölf Jahre hat er hier gewirkt wie ein wirklicher Missionar seiner Gedanken. Es war ein geistiges Führertum, das er ausübte in der ganzen Westeifel.

Als er im September 1908 starb, da war der Name des „Butterpastors von Amel“ in aller Munde, und heute noch gedenkt besonders die ältere Bevölkerung in der Westeifel dieses Pioniers der Kultur und hält sein Andenken in Ehren. Und gerade heute, wo sein Wirkungsfeld getrennt ist vom deutschen Heimatboden, erinnert sich mancher im Malmedyer und St. Vither Land des Mannes, der so viel getan für den deutschen Heimatboden. Er erinnert sie ja an das Vaterland, wo gerade für sie, die heute Getrennten, immer noch „liegen die starken Wurzeln ihrer Kraft“.





Quelle: Euskirchener Volksblatt Nr. 54 vom 5. März 1938
Sammlung wingarden.de, H. Klein
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