Wo lag Atuatuka? 1)
Von Studienrat Dr. Spessart, Elberfeld





Die hier behandelte Frage ist in letzter Zeit wieder lebhaft erörtert und unter Hinweis auf verschiedene Örtlichkeiten des Eifelgebietes beantwortet worden. Es wird daher die Leser der „Eifel interessieren, eine dieser Ansichten zusammengefaßt kennenzulernen.

Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande/Bonn.

Im Gallischen Krieg Julius Cäsars spielte eine Festung bzw. ein fester Platz eine große Rolle, den man schon lange und oft vergeblich gesucht hat. Es ist Atuatuka. Man hat eine Festung der Atuatuker auf dem Mont Falhize gegenüber Huy (II, 29 ff.), den festen Platz Atuatuka VI, 35 ff., und das oppidum Atuaka, das auf den Peutingerschen Tafeln westlich der Maas angesetzt ist, einfach einander gleichgestellt.

Vorweg gesagt: Die Festung, welcher die Atuatuker, Buch II, 29, 2, auf Verlassen „aller städtischen Siedlungen und Fluchtburgen“, in Belgien, nicht weit vom Gebiet der Nervier gegen Cäsar errichtet hatten, ist nicht mit Atuatuka im Buch VI, 35 ff., zu verwechseln! Denn Cäsar sagt II 29, daß die Atuatuker alle Wohnplätze verlassen hatten, um (Satz 1) den Nerviern zu Hilfe zu kommen. Demnach hätten die Atuatuker alle Wohnplätze, also auch ihren Hauptort Atuatuka verlassen und waren gegen Cäsar nach Belgien gezogen. Atuatuka darf auch nicht mit dem spätern Atuaka bei Tongern westlich der Maas verwechselt werden. Denn: Die Peutingerschen Tafeln, die auf den Entwurf der Erdkarte des Kastorius zurückgehen (Zirka 360 nach Chr.), geben für die Strecke Köln - Jülich - Heerlen - Atuaka 18 + 12 + 21 keltische Leugen = 113,475 Kilometer an (eine keltische Leuga = 2,225 km). Diese Angabe stimmt für Tongern genau, während das gesuchte Atuatuka nach Cäsar VI 32, 3, 4; V 24,4 „fast in der Mitte zwischen Rhein und Maas“ liegen muß und ferner nach VI 35,9 von einer Stelle, die nicht zu weit von der Siegmündung entfernt sein darf (VI 35,6), in drei Reiterstunden, d. h. nach zirka 45 km Weg erreichbar sein muß. Außerdem müßten nach der Angabe der Peutingerschen Tafeln zwischen Atuaka-Tongern und Xanten die Parisier wohnen! Ein Zeichen dafür, daß man den völkerkundlichen Angaben der Peutingerschen Tafeln nur beschränktes Vertrauen schenken kann.

II 29,4 gibt Cäsar den ersten uns bekannten Wohnsitz der germanischen Atuatuker eindeutig „diesseits des Rheinflusses“, d. h. westlich des Rheines an. Diese Angabe Cäsars gibt keine Berechtigung dafür, Atuatuka westlich der Maas zu suchen. Hätte Atuatuka westlich der Maas und so nahe bei ihr gelegen, wie Napoleon III, es in Tongern angesetzt hat, so würde Cäsar das unmißverständlich ausgedrückt haben.

Trotzdem hat keiner von den alten Gelehrten Atuatuka positiv richtig zwischen Maas und Rhein festgesetzt. Der einzige, der es, und zwar von Düsseldorf aus richtig gesucht, es aber auch nur halbwegs gefunden hat, war der verstorbene Professor Ganter aus Düsseldorf.

Von den Gelehrten haben Atuatuka angesetzt; Napoleon III. und Theodor Mommsen, diesem folgend, westlich der Maas in Tongern unter Verwechslung von Atuaka der Tungrer mit Atuaka im Gebiet der Eburoner.

Westlich der Maas bei Tongern ist Atuatuka eingetragen: in Putzgers Geschichtsatlas; in Rotherts Karten und Skizzen zur Geschichte des Altertums; in Kieperts Atlas antiquus; im Jahrtausendatlas der Rheinprovinz 1925; in Meyers Konversationslexikon, Karte Römisches Reich; im Großen Brockhaus, Karte Germanien; im Großen Herder, Karte Germanien.

Östlich der Maas haben Atuatuka angesetzt: der General Karl von Veith in Geilenkirchen; der General von Göler in Limburg zwischen Eupen und Lüttich; H. J. Groß, u. a. Gelehrte ihm folgend, in Vetschau nördlich Aachen; Prof. aus'm Werth setzt es in oder bei Billig (bei Euskirchen) an, während Prof. Schötteler es sogar noch weiter nach Osten und noch weiter von der „Mitte zwischen Maas und Rhein“ entfernt, in die Gegend von Rheinbach verlegt.

Die Wiener Gelehrten Ignaz Prammer und Karl Kappelmacher setzen Atuatuka ebenfalls „fast in der Mitte zwischen Maas und Rhein“ an, wobei sie ausdrücklich darauf hinweisen, daß Atuatuka Buch VI, mit der Festung der Atuatuker, Buch II, nicht identisch ist. Prinz Max von Löwenstein tritt ebenfalls für die Ansetzung östlich der Maas ein, während der österreichische Generalstäbler Georg von Veith sogar für festere Lokalisierung an der oberen Rur beachtliche Gründe beibringt.

Der Atlas antiquus von Albert van Kampen setzt Atuatuka südlich Lüttich an der Ourthe an. Nach Lübkers Reallexikon des klassischen Altertums liegt es „zwischen Maas und Rhein“, „in nicht näher feststellbarer Lage“. Der berühmte Engländer Holmes in dem Werk: Holmes-Schott-Rosenberg: Cäsars Feldzüge in Gallien und Britannien 1913, Seite 140, kommt der Wahrheit näher: Er sagt, der Ort sei zwar „nie genau bestimmt worden; denn wenn man ihn auch allgemein mit Tongern gleichstellt, so scheint doch aus Cäsars Darstellung hervorzugehen, daß er östlich der Maas und nicht sehr weit von Lüttich lag“.

Geographisch und lautlich richtig Atuatuka = Atsch bei Stolberg hat Professor Ganter-Düsseldorf, Atuatuka festgelegt, es aber an der falschen Stelle, nicht im heutigen Atsch bei Stolberg sondern am Stolberger Hauptbahnhof und nördlich davon auf dem Gebiet der römischen Villa und am übrigen Probsteier Berg gesucht. Er ist bis 1914 der Mann gewesen, der trotz seines falschen Ergebnisses dem alten, langgesuchten Atuatuka am nächsten gekommen war. Es sei mir der Hinweis gestattet, daß ich Ganters Arbeit erst durch Herrn Professor Sadée-Bonn kennengelernt habe, Jahre lang, nachdem ich, ohne von Ganter zu wissen, auch meinerseits Atuatuka = Atsch gesetzt hatte.

Erstens: nach Cäsar VI, 32, 4 liegt Atuatuka „fast in der Mitte des Eburonengebietes“; nach V 24, 4 wohnen die Eburonen aber größtenteils zwischen Maas und Rhein“. Also muß Atuatuka „fast inder Mitte“ einer Linie liegen, die, von Ost nach West, durch die Mitte des Eburonengebietes verlaufend, Rhein und Maas miteinander verbindet.

Zweitens: Im Jahre 53 vor Chr. überschrittten 2000 sugambrische Kavalleristen etwa an der Siegmündung den Rhein und plünderten in Cäsars Operationsgebiet, VI 35, 6. Nicht lange nach dem Rheinübergang, also nicht weit von der Siegmündung, in Wäldern und Sümpfen, macht ein Eburone sie darauf aufmerksam, daß sie in drei Stunden in Atuatuka sein und daselbst Cäsars Lager ausrauben könnten, VI 35, 8. Die Wälder sind die des Vorgebirges, die Sümpfe sind die der ältesten Swist und Erft etwa bei Weilerswist - Bliesheim - Lechenich. Demnach müßte Atuatuka etwa von hier aus zu Pferde in drei Stunden erreichbar gewesen sein. Nun legt ein Pferd im Mittel- oder Reisetag stündlich etwa 15 km zurück. Nehme ich dreimal 15 gleich 45 km, und messe auf der Generalstabskarte auf der von Josef Hagen vermuteten, vom Gestüt bei Lechenich ausgehenden, nach Westen laufenden alten Straße diese 45 km ab, so komme ich kurz östlich Aachen aus.

Cäsar gibt uns noch eine dritte Möglichkeit Atuatuka mit fast mathematischer Genauigkeit festzulegen. V 24 berichtet er von der Verteilung der Legionen auf die Winterlager für den Herbst des Jahres 54 v. Chr. Er legte 8 Winterlager an und verteilte die Truppen so, daß eines in der Mitte Belgiens lag, während 6 andere sich fast wie im Kreise um das eine herumgruppierten. Die dritte Legion lag ausnahmsweise westlich der Seine, also außerhalb Belgiens. Das am weitesten nach Westen gelegene Winterlager in Belgien aber, das des Trebonius, stand zuerst bei Beauvais, genau südlich von Amiens, dann endgültig bei Samarobriva = Amiens, V 24, 3; 53, 3. Das am weitesten nach Osten gelegte Winterlager befand sich im Lande der Eburoner, V 24, 4. Der feste Platz hieß „Atuatuka“, „wo Titurius und Aurunkuleius sich (im vergangenen Herbst 54 v. Chr.) gelagert gehabt hatten, um zu überwintern“, VI 32, 3, 4.

Nach Cäsars weiteren Angaben können wir die Entfernung zwischen dem Lager am weitesten nach Westen und dem östlichsten Lager berechnen. Die drei westlichsten Winterquartiere in Belgien befanden sich Herbst 54 vor Chr. nach V 24, 3, anfangs im Gebiete der Bellovaker, bei den heutigen Orten Breteuil, Beauvais, Compiègne. Das waren die Lager des Crassus, des Trebonius und des Plankus. Nach dem glücklichen Handstreich auf Atuatuka zog der Eburonerfürst Ambiorix spornstreichs gegen das Lager Ciceros bei Charleroi (V 38, 4; 39, ). Nach dieser zweiten bösen Überraschung des Herbstes 54 vor Chr. vereinigte Cäsar die drei Lager des Cicero, des Trebonius und des Crassus direkt bei Samarobriva = Amiens (V 53, 3). Die Entfernung von Amiens - Breteuil - Beauvais bis zur „Mitte zwischen Maas und Rhein“ beträgt rund 300 km. Also kann Cäsars Ausdruck „so, daß sie durch 100 000 Doppelschritte (gleich 150 km) zusammengehalten wurden“ (V 24, 7) nicht den Sinn haben, die Lager hätten auf einem Kreis von 100 000 Doppelschritten = 150 km Umfang gelegen. Und doch muß der Ausdruck „durch 100 000 Doppelschritte zusammengehalten“ irgendeinen Sinn ergeben.

100 000 Doppelschritte sind 150 km. Die Strecke von Amiens bis zur „Mitte zwischen Maas und Rhein“ sind aber rund 300 km, d. h. zweimal 150 km oder zweimal 100 000 Doppelschritte. Zweimal ein Radius ist einmal der Durchmesser. Demnach muß Atuatuka auf einem Kreise liegen, der Amiens als Mittelpunkt und einen Radius von rund 300 km hat; und zwar muß es auf diesem Kreis da liegen, wo er die Mitte zwischen Maas und Rhein schneidet. Ferner muß Atuatuka auf einem Kreis liegen, der sein Zentrum ungefähr bei Charleroi und einen Radius von rund 150 km hat. Auch auf diesem Kreis muß Atuatuka liegen, da er die Mitte zwischen Maas und Rhein schneidet. Die Tatsache, daß von Amiens bis zur Mitte zwischen Maas und Rhein, d. h. bis zu dem am weitesten nach Osten, in Atuatuka, gelegenen Lager 300 km sind, läßt folgende Deutung zu, die außerdem den Angaben Cäsars am weitesten entspricht: „durch 100 000 Doppelschritte zusammengehalten“ heißt soviel wie: die sechs Winterlager lagen im Kreise so, daß sie durch einen Radius von rund 100 000 Doppelschritten zusammengehalten wurden, d. h. daß sie von dem in der Mitte bei Charleroi gelegenen Winterlager des Cicero je 100 000 Doppelschritte gleich 150 km entfernt waren.

Ziehe ich eine Grade vom Amiens-Lager über das Charleroilager ostwärts hinaus, dann muß ich unbedingt irgendwo den weitesten Lager-Ostpunkt bei Atuatuka treffen. Er muß außerdem rund 300 km von Amiens und rund 150 km von Charleroi entfernt sein, denn ein Kreis von 300 km Durchmesser hat 150 km Radius. Endlich muß es da liegen, wo ein Kreis mit 45 km Radius um Lechenich als Zentrum den weitesten Punkt erreicht.

Ich habe nun folgende Messungen vorgenommen: Ich habe 45 km vom Gestüt Lechenich nach Westen gemessen und fand den Endpunkt östlich Aachen. Ferner habe ich die Linie Amiens - Charleroi gezogen und sie nach Osten in der Geraden verlängert. Sie traf bei rund Kilometer 300 fast genau auf den Endpunkt der 45-km-Linie, die ich von Lechenich nach Westen gezogen hatte. Dazu habe ich folgende Kreise geschlagen: Im großen Handatlas von Andree (1899) Blatt 77/78 Nordostfrankreich führte ein mit Radius 300 km um Amiens gelegter Kreis im Osten kurz östlich Aachen zwischen Alsdorf - Würselen - Stolberg - Büsbach durch. Ein zweiter Kreis, der mit Radius 45 km nach Westen um Gestüt Lechenich gezogen wurde, berührte den Amienskreis in genau diesem Gebiet. Da aber ein Ort auf zwei verschiedenen Kreisen nur in deren Schnittpunkt oder in ihrem Gemeinsamen Berührungspunkt liegen kann, so muß Atuatuka da liegen, wo diese beiden Kreise sich einander berühren. Diesen Punkt nenne ich den Atuatukapunkt. Ziehen wir nun noch um Atlbelgiens Mitte mit dem Zentrum bei Charleroi mit dem Radius 150 kam den Charleroikreis, so berührt auch dieser Kreis die beiden anderen in deren gemeinschaftlichen Berührungspunkt östlich Aachen.

Nun liegt Atuatuka VI 32,4 „fast in der Mitte des Gebietes der Eburoner“. Deren Ostgrenze war der Rhein. Setzt man den Zirkel im Atuatukapunkt so an, daß die Kreislinie im Osten den Rhein zwischen Köln und Bonn berührt, so geht dieser Kreis im Westen etwas über die Maas hinaus. Daraus ersieht man, daß Cäsars Angabe, Atuatuka liege „fast in der Mitte des Gebietes der Eburonen“ vollauf richtig ist; ebenso richtig wie seine Mitteilung V 24,4 über die Eburonen, „deren größter Teil zwischen Maas und Rhein wohnt“.

Demnach stellen wir fest: Atuatuka liegt erstens etwa 45 westlich von Gestüt Lechenich; zweitens da, wo die Linie Amiens - Charleroi - Osten die Linie Gestüt Lechenich - Westen schneidet: rund 300 km von Amiens, rund 45 km von Gestüt Lechenich; drittens: dieser Punkt ist genau derselbe, in dem sich die drei nach Cäsars Angaben gezogenen Kreis berühren: a) der Amienskreis mit 300 km, b) der Lechenichkreis mit 45 kam, c) der Charleroikreis mit 150 km Radius. Der einzige Ort, der nach seinen sprachlichen Bestandteilen in der Gegend östlich von Aachen und zugleich „in der Mitte zwischen Maas und Rhein“ für den Atuatukapunkt in Frage kommt, ist Atsch bei Stolberg.

Ich habe, um mich zu vergewissern, ober der sprachlichen Entwicklung von Atuatuka zu Atsch nichts im Wege steht, die Untersuchung der Wortgeschichte von Atuatuka zu Atsch einem tiefgründigen fundierten Romanisten übertragen. Es ergab sich, daß die Entwicklung von Atuatuka zu Atsch den Lautgesetzen und dem germanischen Akzentgesetz, das die Betonung auf die erste Silbe legt, nicht zuwiderläuft.

Für Atsch gegen Tongern spricht auch noch eine Äußerung des Eburonenfürsten Ambiorix V 27, 9. Nach ihr ist das Lager des Labienus (in Mouzon, südöstlich Sedan) von Atuatuka „ein wenig weiter entfernt“ als das des Cicero (bei Charleroi). Die Abmessung auf der Landkarte ergab, daß das Lager des Labienus tatsächlich nur rund 20 km, also nur einen kleinen Tagesmarsch, weiter von Atsch entfernt ist als das Lager des Cicero. Setzen wir jedoch Atuatuka, entgegen den Angaben Cäsars, gleich Tongern westlich der Maas, so ist der Weg Tongern - Mouzon rund 55 km länger als der Weg Tongern - Charleroi. Diesen Mehrweg von 55 km kann man schwerlich mit den Worten „ein wenig weiter entfernt“ fassen, wenn zugleich der kürzere Mehrweg von nur 20 km zu den Worten des Ambiorix: „ein wenig weiter entfernt“ paßt. V 27, 9 steht zwar die Entfernungsangabe Atuatuka - Cicero =rund 50 000 Doppelschritte = rund 75 km, also die Hälfte des Weges Atsch - Charleroi. Doch dies ist keine Entfernungsangabe Cäsars, sondern eine solche des Ambiorix! Diese falsche Angabe ist Ambiorix in den Mund gelegt, um die Römer um so eher zum Abzug zu bewegen. Diese Angabe (75 km) paßt auch ihrerseits wieder zur Meinung des auf dem Abzug drängenden Sabinus, „übermorgen“ könne man „mit dem nächsten Winterlager“ (des Cicero) „vereinigt sein“ V 30, 3. Das sind Aussagen anderer, aber keine Entfernungsangaben Cäsars!

Die hochaufsteigende Lage von Atsch in der Nähe des Zusammenflusses von Münsterbach(-Inde) und Vichtbach, dazu im Mündungswinkel zwischen Münsterbach und Saubach lassen die Lage des Atscher Hochplateaus für eine vorzeitliche Siedlung sowie für eine Festung oder militärische Sicherung sehr geeignet erscheinen. In seiner allernächsten Nähe eröffnen sich dem Beobachter von herrlichen Höhen aus weite Fernblicke nach den verschiedensten Richtungen, so daß Atuatuka-Atsch auch auf weite Sicht gegen Überfälle geschützt werden konnten. Abgesehen davon, daß Atuatuka-Atsch sehr sicher lag, hatte es den großen Vorteil, von bedeutenden Straßen nicht weit entfernt zu sein: erstens nicht weit von der Straße Köln - Gressenich - Kornelimünster - Limburg - Dinant - Bavay - Cambrai; zweitens nicht weit von der Linie Aachener Randgebiet - Trier, die ihrerseits wieder die Möglichkeit bot, bei Amel auf die Straße Köln - Zülpich - Venn - Ardennen - Reims zu kommen. Eine andere wichtige Straße führte direkt über Atuatuka - Atsch. Das ist in der Hauptsache die alte Ostwestrichtung der Würselener Straße westlich Atsch. Sie ist vermutlich viel älter als die großen „Römerstraßen“; sie kommt aus dem uralten Eschweiler Bergbaugebiet, nimmt zu Füßen von Atsch in dessen Osten die Verbindung aus dem Stolberger Bergwerksgebiet auf und führt auf die Höhe von Atuatuka = Atsch. Hier wandte sie sich früher halbrechts vorwärts ab in Richtung auf Gut Steinbachshochwald - Weiden und führte im Bogen nach Nordwesten ganz folgerichtig um den in der Vorzeit feuchten, versumpften und infolgedessen damals noch nicht besiedelten Talkessel von Aachen herum. Vermutet hatte ich diese alte Straße schon Hebst 1934; gefunden habe ich sie in den Osterferien 1936 im Walde zwischen Atsch und der Eisenbahn Stolberg - Aachen. Ihre Bahn ist in 7,5 m Breite erkennbar; sie ist schnurgrade auf Steinbachshochwald zu gerichtet. Auf dem Meßtischblatt 2967, Eschweiler, ist ihre Fortsetzung von südlich Steinbachshochwald nach Weiden tatsächlich eingetragen. In ihrer ganzen Richtung mündet sie in Weiden da, wo die Straße Eschweiler - Aachen den Knick nach Südwesten auf Aachen zu macht.

Auch die von Cäsar angegebenen Örtlichkeiten: Berge, Hügel, Täler, die geschilderten Kampfhandlungen stimmen vorzüglich zu der Gleichung Atuatuka = Atsch. Ebenso stimmen die örtlichen Entfernungsangaben, wie fast immer bei Cäsar, haargenau. Der Überfall auf die aus Atuatuka abziehenden Römer im Herbst 54 vor Chr., „in magnam convallem“ V 32, 2, geschah zwei römische Meilen = 3 km von Atuatuka entfernt, Das war im Münstertal zwischen Buschmühle und Bockmühle. Mommsen übersetzt „convallis“ mit „schmales Tal“, und Holmes gibt es mit „Schlucht“ wieder. Die Absuchung der Gegend ergab dagegen, daß Cäsars Ausdruck „großer Talkessel“ absout zu Recht besteht. Bei der Buschmühle erweitert sich das Münstertal nach Süden zu einem gewaltigen Talkessel, der sich erst bei der Bockmühle wieder zu dem engen Tal der Gedau schließt. Der Boden des Talkessels ist flach, sein Umfang nach Westen reichlich halbrund, seine Wände für den Kriegsfall z. T. Bösartig hoch und steil ansteigend. Der Atem stockt, die Sprache fehlt, wenn man feststellt, wie genau Cäsar, der damals 300 km weit entfernt war, unterrichtet wurde, und wie genau Ort und Entfernung vom Lager Cäsars Angaben stimmen.

Im Jahre 53 v. Chr. war Atuatuka wiederum der Schauplatz eines Überfalls durch die Germanen, diesmal durch die Sugambrer. Die Römer wurden auf Feldern überfallen, die von Atuatuka dreitausend römische Doppelschritte = 4 ½ km entfernt sind: Das sind die Fluren zwischen Haarener Hof - Verlautenheide - Weiden - Röhe. Deren Entfernung von Atsch paßt genau zu Cäsars Angaben VI 36, 2.

Der einzige Hügelzug, der zwischen ihnen und dem Lager sein darf, ist die Hügelkette, die sich nördlich der Bahn Stolberg - Aachen, z. T. vom Probsteierwald und vom Reichswald bewachsen, nach Westen bis zur Höhe Gottes Segen hinzieht, und sich nördlich vom Stolberger Hauptbahnhof und der Linie Stolberg - Eilendorf z. T. recht steil erhebt.

Der „nächste Hügel, auf den die Trainsoldaten vorstürmen“ VI 40, 1 ist der Hügel, der heute von einer dunklen Fichtengruppe bewachsen und der rundum von einer Sandgrube umgeben ist, durch die er heute viel kleiner geworden ist, als er früher einmal war. Er liegt unmittelbar nördlich vom Bahngleise, genau nördlich von der großen Halle des Atscher Emaillierwerkes.

Der Bergrücken, auf dem die ängstlichen Rekruten Stellung nahmen (VI 40, 3), ist die Höhe 213 zwischen Glücksburg und Bahnhof Stolberg. Von hier heruntergetrieben, „gerieten“ sie auf „ungünstiges Terrain“ VI 40, 6. So wurden sie „bei dem Versuch, sich in das Lager zurückzuziehen,“ in den tiefen Siefen hinuntergejagt, der vor dem Wasserturm am Westausgang des Stolberger Hauptbahnhofes mündet, und auch in das frühere Sumpfgebiet des heutigen Bahnhofes über vierzig Meter tief hinabgetrieben. Dort fielen alle Offiziere und die meisten Rekruten. Jetzt verstehen wir Cäsars Worte VI 40, 6: „Doch diejenigen (Rekruten) die auf dem Bergrücken Stellung genommen hatten, ... gerieten bei dem Versuch, sich in das Lager zurückzuziehen, auf ungünstiges Terrain.“

Auch die Bodenfunde von Atuatuka-Atsch erweisen die Atscher Höhe als v. Chr. Geburt und mit germanischem Einschlag besiedelt. Diese Funde sind viel reichhaltiger, als die Wissenschaft weiß. Daß die Fundstücke nicht gewürdigt und nicht bearbeitet wurden, liegt zum Teil daran, daß die Geschichte von Atuatuka-Atsch in der Römerzeit oder eher an deren Ende für lange Zeit abriß. Für Jahrhunderte überwucherte der Wald die Stätte des ehemaligen Atuatuka. Nur der Name „die Atsch“, mit dem man den Atscher Berg, zum Teil auch fälschlich den Saubach bezeichnete, überlieferte den Namen seiner Patensiedlung, mit dem man lange, lange Zeiten nichts anzufangen wußte.

Für mich ergibt die Geschichte von Atuatuka-Atsch folgende Perioden:

  1. Atuatuka eine keltische Siedlung. Die Kelten werden von Germanen vertrieben.

  2. Atuatuka als Siedlung von Germanen und von 1932 bis 57 v. Chr. der kimbrischen und teutonischen, neuen Atuatuker. Letztere ziehen 57 v. Chr. gegen Cäsar nach Belgien.

  3. Atuatuka, im Zentrum der germanischen Eburoner, wahrscheinlich der Zankapfel zwischen Eburonern und Römern.

  4. Atuatuka ein römisches Winterlager Herbst 54 und 53 v. Chr. Zwei Katastrophen der Römer daselbst, Herbst 54 und 53. Vernichtungsfeldzüge Cäsars gegen die Eburoner.

  5. Atuatuka eine römisch-germanische Siedlung.

  6. Atuatuka (zerstört und?) verlassen und bis in die Neuzeit von Wald überwuchert.

  7. Atuatuka im Zeitalter der Industrie im 19. Jahrhundert als Atsch wiederbelebt.

Nach Überprüfung der Angaben Cäsars, nach Abwandern der Gegend und Studium der Karten dürfen wir bis zur Erbringung des Gegenbeweises annehmen, daß Atsch jene berühmte Stätte des lange gesuchten Atuatuka ist, an der unsere Vorfahren, wie so oft anderwärts, nachdrücklich bewiesen haben, daß Land besetzen und Völker besiegen sehr verschiedene Begriffe sein können.


Anmerkungen

  1. Betone nach germanischer Art die erste Silbe und sprich u wie v; also A'tvatuka!

Quelle: Geschichtliche Mitteilungen vom Verein für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn, in: „Die Eifel“, 37. Jahrgang, Nr. 8, August 1936, Zeitschrift des Eifelvereins, Bonn (Frakturschrift)
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