Der Aufstand der Eburonen
Muß ihr Atuatuca in Nideggen gesucht werden?
Von Prof. Dr. Ludwig Drees, Aachen





In einem Leserbrief an die AVZ, veröffentlicht in Nr. 14 unter der Überschrift „Die Eburonen“, hat Herr Oberstudienrat i. R. Heribert van der Broeck, Zülpich, erklärt, eine Lokalisierung des Atuatuca der Eburonen auf dem Hohenstein bei Eschweiler sei s. E. ein großer Irrtum, und mich aufgefordert, ich solle mir seine Arbeit „Nideggens Burggelände war ein Eckfort des Atuatuka der Eburonen“ im Eifeljahrbuch 1969 einmal ansehen. So bestechend die dort S. 74-80 vertretene These auch sein mag, sie hält einer näheren Untersuchung nicht stand.

1. Der Verfasser setzt das Oppidum der Atuatuker mit dem Castellum Atuatuca im Land der Eburonen gleich, und zwar auf Grund der Namensähnlichkeit Atuatuker-Atuatuca. Das bedeutet, daß die Atuatuker, welche die westlichen Nachbarn der Eburonen an der mittleren Maas waren, ihre Hauptstadt (S. 76) in einem anderen Stammesgebiet hatten, nämlich Atuatuca, d. h. Nideggen. Atuatuker und Eburonen sind nicht identisch.

2. Beim Aufstand der belgischen Stämme gegen Cäsar im Jahre 57 v. Chr. wollten die Atuatuker den Nerviern, ihren westlichen Nachbarn im mittleren Belgien, zur Hilfe kommen. Als sie aber von deren Niederlage hörten, kehrten sie mitten auf dem Wege wieder um und zogen sich in ihr Land zurück. „Sie verließen ihre sämtlichen Städte und befestigten Plätze (cunctis oppidis castellisque desertis II 29, 2) und brachten ihre ganze Habe in eine einzige von natur vortrefflich gesicherte Stadt (oppidum II 29, 2). Der Ort hatte auf allen Seiten ringsum sehr hohe Felsen und schroffe Abhänge; nur auf einer Seite verblieb ein sanft ansteigender Zugang in einer Breite von nicht mehr als 200 Fuß (60 m). Diese Stelle hatten sie mit einer hohen Doppelmauer befestigt.“ (II 29, 1-3). Cäsar belagerte die Stadt und machte bei der Einnahme 53000 Gefangene, die er in die Sklaverei verkaufte, nachdem die Belagerten bei Ausfällen vorher schon 4000 Mann verloren hatten. Diese Zahlen erfahren wir in dem besagten Aufsatz nicht. Nach Oberstudienrat van der Broeck wäre diese Menge von 57000 Menschen mit Hab und Gut, vermutlich auch Frauen, Kindern und Vieh, mitten im Kriege, den angriffen der römischen Legionen ausgesetzt, von der mittleren Maas, Namur oder Huy etwa nach Nideggen gezogen!

3. Die Beschreibung Cäsars paßt allenfalls auf den Bergsporn, auf dem die Burg Nideggen liegt. Da dieses kleine Gelände aber nicht Raum für 57000 Menschen bieten konnte, wird es zu einem Eckfort einer Festung Atuatuka gemacht, die ihrerseits die gesamte „Bade“ mit dem „Badewald“ umfaßte. „Bad wird das Gelände genannt, das zwischen Nideggen, Berg, Wollersheim, Vlatten, Rurtal, Hausen, Blens und Abenden liegt.“ (S. 74). Die Bade hat nur zur Rurseite hin steile Felsenhänge, sonst ist sie von allen Seiten gut zugänglich. Ein Gelände, wie Cäsar es beschreibt, mit nur einem einzigen schmalen Zugang, das 57000 Menschen aufnehmen konnte, gibt es in und bei Nideggen nicht.

4. Cäsar unterscheidet zwischen Oppidum und Castellum. Ein „oppidum“ ist in Gallien ein fester bzw. befestigter Platz, der als Wohnort dient, eine Stadt im Sinne einer Volksburg, im Gegensatz zu den offenen Dörfern auf dem Lande. Das Wort „castellum“ ist eine Verkleinerungsform von „castra“, „Lager“, und bedeutet also „kleines Lager“, d. h. eine kleinere militärische Festung, eine Zitadellen, eine Schanze. Das Atuatuca im Lande der Eburonen war ein „castellum“ (VI 32, 4), kein „oppidum“.

5. Das Winterlager des Sabinus und Cotta lag nach Oberstudienrat van der Broeck innerhalb des Dreiecks Nideggen, Breitberg bei Berg - gemeint ist wohl Breidel bei Berg - und Hausen-Blens. „Das Lager nahm einen Raum von 4,5 km (gemeint qkm)“ (S. 78). Das wäre ein Lager von 450 Hektar! Das feste Lager für eine Legion in Bonn umfaßte 25 Hektar! Selbst wenn wir die Zahl 4,5 kam als Umfang gelten lassen, wäre ein solches Lager noch viel zu groß für 1 ½ Legionen. Cäsar macht keine Zahlenangaben über Fläche oder Umfang des Lagers in Atuatuca.

6. Bei Ausgrabungen und Rodungen im Badewald ist eine römische Niederlassung aus späterer Zeit entdeckt worden (S. 78-80), doch kein Römerlager. Dieses wurde im Badewald auf der Höhe von Blens in der Nähe eines dort befindlichen Ringwalles „gesucht“ (S. 80).

7. Der 1963 verstorbene Pfarrer von Blens bei Nideggen, Andreas Pohl, hatte im Badewald eine keltische und vier römische Münzen gefunden, darunter eine Cäsarmünze (S. 80). In Verbindung mit einem sicher nachgewiesenen Lager wäre diese ohne Zweifel beweiskräftig für ein cäsarisches Lager. Doch Münzen blieben lange im Umlauf. Die hier genannte dürfte aus der römischen Siedlung im Badewald stammen. Keinesfalls erlaubt sie, für sich allein, den Rückschluß auf ein Römerlager.

8. Ein Argument zugunsten Nideggens könnte die Nähe zum Rhein sein. Die rechtsrheinischen Sugambrer hatten 53 v. Chr. in der Zahl von 2000 Reitern den Rhein überschritten. Nach dem Verfasser geschah dies bei Dormagen, etwa 50 km von Nideggen (S. 77). „Sie drangen in die Grenzgebiete der Eburonen ein, griffen viele der Flüchtigen auf, bemächtigten sich einer großen Menge Viehs ... Die Beute reizte sie, weiter vorzudringen. Es hielt sie ... kein Sumpf, kein Wald auf ... Da ruft einer von den Gefangenen: Was jagt ihr dieser elenden und armseligen Beute nach, wo ihr schon die reichsten Leute sein könntet? In drei Stunden könnt ihr in Atuatuca sein; dort hat das Römische Heer seine gesamte Habe hingeschafft...“ VI 35, 6-9). Aus dem Text geht eindeutig hervor, daß der Ritt nach Atuatuca nicht schon am Rhein begann, sondern erst, nachdem die Sugambrer tiefer in das Eburonenland eingedrungen waren. Es ist müßig, über den Punkt zu diskutieren, von wo aus der Ritt anzusetzen ist. Aus dieser Textstelle können wir keine sicheren Schlüsse über die Nähe Atuatucas zum Rhein ziehen.

Die Aussage des Sabinus im Kriegsrat der Römer vor dem Abzug aus dem Lager: „Der Rhein sei nicht weit“ (subesse Rhenum V 29,3), ist andererseits nicht so eindeutig zwingend, als daß sie nicht auch auf Eschweiler anwendbar wäre, denn auf der Breite von Eschweiler gemessen liegt Nideggen nur 15 km näher am Rhein als jenes. Will man die Lokalisierung von Atuatuca in Nideggen glaubwürdig vertreten, dann muß man die These von der Verlegung des Oppidum Atuatucorum von der Maas nach Nideggen fallenlassen, den Nachweis erbringen, daß sich auf dem Gelände der heutigen Burg ein prähistorisches Kastell befand und schließlich im Gebiete der Bade gewisse annehmbare Indizien eines Römerlagers in angemessener Größe - etwa 40 Hektar - aufzeigen. Solange dies nicht geschieht, sind die Argumente zugunsten des Hohensteins bei Eschweiler die besseren. Aber auch sie bedürfen der Bestätigung durch Ausgrabungen.


Quelle: JVZ (AVZ?) - Leser-Forum vom 27. Januar 1975
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