Eifel nicht mehr Sorgenkind der Archäologen
Neue Funde bei Berg klären Siedlungsgeschichte zur Römerzeit - Schmelzöfen und Tagebauschächte nachgewiesen - Kolonisation zur Zeit des Kaiserfriedens - Zehn Gutshöfe auf engem Raum - Antwort auf Jahrzehnte alte Fragen





Berg bei Nideggen. - Unter einem Glücksstern standen, wie Dr. von Petrikovits vom Landesmuseum Bonn feststellt, zwei Nachuntersuchungen, die in diesem Herbst im Grabungsgebiet von Berg durchgeführt wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden Anlaß sein, in einem neun Quadratkilometer großen Gelände zwischen Berg, Vlatten, Wollersheim und dem Hochrand des Rurtales weitere Stichuntersuchungen zu führen, deren Gesamtergebnis als Musterbeispiel die Siedlungsgeschichte der Nordeifel zu keltisch-römischen Zeit aufhellen wird.

Dr. von Petrikovits und seine beiden Helfer Jaensch und Cüppers, die als örtliche Grabungsleiter fungieren, konnten einmal in der Flur „Im Odenwinkel“ des Merzentales zwei römische Schmelzöfen freilegen, in denen Brauneisenstein zu Roheisen geschmolzen wurde; zum anderen aber durch einen Grabungsschnitt nachweisen, daß die sogenannten „Maare“ - kraterförmige Mulden, von denen es in dem neun Quadratkilometer großen Untersuchungsgelände allein 60 gibt - römische Brauneisensteinschürfstellen waren.

Bei den Ueberlegungen und Untersuchungen, die Dr. von Petrikovits gemeinsam mit dem Dürener Bergbau-Geologen Dr. Voigt, dem Erforscher und Entdecker der Erzprovinz des Hohen Venn anstellte, wurde das Rätsel der dichten Besiedlung der „kargen Eifel“ zur Römerzeit - in den neun Quadratkilometern wurden zehn römische Gutshöfe nachgewiesen - gelöst: die Erzgewinnung ergänzte hier die gewiß nicht sehr ertragreiche Landwirtschaft! Dieses Ergebnis ist für die gesamte Frühgeschichte des Ardennen-Eifel-Venn-Gebietes von weitreichender Bedeutung und hat auch bereits die belgischen Wissenschaftler aufhorchen lassen.


„Nur 50 Meter entfernt liegt der nächste römische Gutshof“, sagt Dr. von Petrikovits (rechts) inmitten des Grabungsgeländes stehend, auf dem man zwei römische Schmelzöfen fand.
(Foto: v. Radzibor)

Bereits im vorigen Jahr leitete Dr. von Petrikovits mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Kreises Düren eine Ausgrabung in der Flur „Im Hostert“, die zu dem Land des archäologisch überaus interessierten Landwirtes Fischer gehört. Bei diesen Ausgrabungen wurde ein römischer Gutshof freigelegt. Man entdeckte Teile des Herrenhauses mit Keller und Hypercaustheizung, ein Gesindewohnhaus, einen Getreidespeicher und mehrere Schuppen.

Genaue Datierung

Die Untersuchungen des gesicherten Materials - vor allem der Karamikfunde - während der Wintermonate gestatteten auch eine genaue Datierung des Gutshofes. Er dürfte um 150 n. Chr. angelegt worden sein und bis gegen 400 n. Chr. bestanden haben. Schon bei den Ausgrabungen im Hostert keimte der Gedanke auf, daß die Gutsbesitzer - Römer oder Kelten - neben der Landwirtschaft wahrscheinlich auch die Erzgewinnung betrieben haben, denn der karge Eifelboden dürfte wohl kaum eine nur landwirtschaftliche Basis für ein so großes Gut geboten haben. Dieser Gedanke wurde bestärkt, als man zwischen zwei der freigelegten Schuppen Haufen von Brauneisenstein fand, einem Mineral, das in den Buntsandsteinböden der Eifel häufig in Stücken bis zur Wagenradgröße vorkommt.

Neu für die Lagerstättenkunde

Dr. von Petrikovits entschloß sich daher, zwei Nachuntersuchungen in diesem Jahre zu führen. Er wählte für die eine Untersuchung einen Platz im Merzental in der Flur „Im Odenwinkel“, da man in dieser Gegend bereits glasierte Steine fand, die auf einen Schmelzvorgang hindeuteten. Außerdem lag nur etwa 50 Meter entfernt von der neuen Grabungsstelle, ein römischer Gutshof, wie man aus Ziegelfunden schließen konnte. Bei Schnitten, die man im Hand führte, wurden dann tatsächlich zwei römische Schmelzöfen entdeckt. Gleichzeitig machte man aber auch einen für die Lagerstättenkunde und Geologie wichtigen Fund: man stieß im Muschelsandstein, der hier als jüngere geologische Formation an die Stelle des Buntsandsteins tritt, auf ein etwa zehn Zentimeter dickes Flöz von Brauneisenstein.

Es ist das erste Mal, daß Brauneisenstein in einer Muschelsandsteinformation gefunden wurde. Die Lagerstättenkunde nahm bisher an, daß Brauneisenstein nur in Buntsandsteinböden vorkommt. Der Brauneisenstein aus dem Muschelsandsteinboden ergibt sogar, wie Dr. Voigt feststellte, ein besseres, eisenhaltigeres Erz, als der Brauneisenstein, den man im Buntsandstein findet.

Zu dem Problem des Erzabbaues, das man untersuchte, gehört auch die Gewinnung erzhaltigen Materiales. Bereits Pfarrer Pohl und der Landwirt Fischer, die verdienstvollen Heimatforscher, ließen einen Geodeten die sogenannten „Maare“ kartographieren, die im Badewald häufig anzutreffen sind. Der Verdacht lag nahe, daß diese Maare Rundschächte des Eisenerzabbaues sind. Es mußte nur der Nachweis geführt werden, daß man dieses Eisenerz zu Römerzeit schürfte. Ein Grabungsschnitt durch ein „Maar“ nahe dem Hostert erbrachte den eindeutigen Beweis.

Dr. Voigt ließ einige der grünglasierten Muschelsandsteine, die man im Odenwinkel fand, im Maubacher Labor der Stolberger Zink AG untersuchen. Man diagnostizierte „Beträchtliche Hitzeeinwirkung“, also keinesfalls nur durch ein kleines wärmendes Feuer für die Landarbeiter. Man suchte und fand zwei Oefen. Diese römischen Schmelzöfen sehen aus wie eine umgekehrte Glocke. Ihr größter Durchmesser liegt bei 3,5 Meter. Sie wurden in den gewachsenen Boden eingeschnitten, unten mit einem Abzug- und Windkanal versehen und dann mit dem Brauneisenstein und der Feuerung gefüllt. Die große Hitze hat den sandigen Ton, einen sogenannten Letten, bis zu 30 cm Dicke gebrannt, so daß sich die Glockenform des Ofens deutlich abzeichnet.

In den alten Oefen, die man nach einem Schmelzvorgang wohl einfallen ließ, fand man Steine verschiedener Größe. Die Form des Ofenaufbaues ist noch unklar. Dr. von Petrikovits dachte an einen zylindrischen Mantel mit einer birnenförmigen Kuppel, wie sie aus der Römerzeit in der Steiermark gefunden wurden. Dr. Voigt wies darauf hin, daß man auch die Schmelzöfen überdecken und die Fugen mit Letten verschmieren konnte, wie es hier zu sein scheint.

Nach den Schmelzöfen galt das Interesse der Archäologen den Tagabbaustellen, den Mulden, in denen man linsenförmige Brauneisensteinvorkommen zur Römerzeit schürfte. Man fand bereits an einer Mulde eine römische Säulentrommel, an anderen Römerziegel, un im Volksmund erzählte man sich, daß an einer Mulde sogar ein Keller gelegen haben soll, in dem man bei Unwetter Schutz suchen konnte. Dr. von Petrikovits ließ eine solche Mulde ungefähr im Radius durch einen Grabungsschnitt angehen.

Keine nachrömische Scherbe

Ueber dem gewachsenen Boden - wieder einem Letten - lag die Verfüllung, die im Laufe der Jahrhunderte die Tageabbaustelle verflachte. Unmittelbar auf dem gewachsenen Boden fand man römische Keramik: ein Speisegeschirr, einen Weinkrug und ein Vorratsgefäß. Auch römische Dachziegel sind immer wieder zu finden. Trümmer von Brauneisenstein weisen auf den Abbau hin. Er ist übrigens hier kiesiger, weniger feinkörnig als im Flöz, das man im Muschelsandstein entdeckte. Nie fand man eine nachrömische Scherbe. Damit ist der Nachweis gelungen, daß diese „Maare“ nichts anderes sind als römische Tagebauschächte.

Ein Knüppeldamm

Der junge Archäologie-Student Cüppers fand in einem flachen Schnitt, den er nahe der Mulde anlegte, noch etwas Bedeutsames. Für den Laien kaum wahrnehmbar zeichnet sich dicht unter der Erdoberfläche eine etwa 20 Zentimeter breite Verfärbungsspur ab, in der nochmals eine sieben bis acht Zentimeter breite Verfärbung liegt. Cüppers verfolgte die Spur und steckte sie sorgsam ab. Sie machte sogar eine Kurve und folgte im Bogen dem Rand der Mulde, also des Tagabbauschachtes. Man entdeckte noch eine zweit parallel verlaufende Spur in Wagenachsenabstand von der ersten. Damit lag der Schluß nahe, daß hier die Römer oder Kelten einen Knüppeldamm anlegten, um im Winterschlamm der Eifel besser an ihren Schacht heranzukommen. Bald darauf entdeckte man sogar noch eine zweite Wagenspur. Auch hier haben wohl im Radabstand Balken gelegen, über die man dann noch Knüppel zur Befestigung fügte. Die Abfahrt von dem Tagebauschacht führte aber in Richtung auf den römischen Gutshof am Hostert, den man im vorigen Jahr freilegte!

Siedlungsfeindlich?

Immer mehr verdichteten sich die Untersuchungen im Badewald zu einem Modellfall für die gesamte Nordeifel. 60 „Maare“ und zehn Gutshöfe kennt man in dem neun Quadratkilometer großen Modellgelände. Nur etwa einen Kilometer voneinander entfernt liegen die großen Gutsanlagen, viel zu nahe voneinander, wollten sich die Bewohner von Ackerbau und Viehzucht ernähren auf einem Boden, der im Vergleich zur Magdeburger Börde nur die Güteklasse 45 bis 50 hat, mitten im „siedlungsfeindlichen Buntsandsteingelände“ - wie die alten Historiker noch lehrten.

In den „Finsteren Ardennen“

Die Eifel - das Sorgenkind der Archäologen - rückt schlagartig wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Jahrzehnte grübelte man, warum hier die Römer so dicht siedelten. Man glaubte an einen Klimawechsel, zog andere Theorien heran.

Jetzt wissen auch die belgischen Forscher, warum in den „finstersten Ardennen“ römische Gutshöfe zu finden sind. Man muß schon das Denken in nationalstaatlichen Grenzen aufgeben, diesen Raum als ein ganzes Siedlungsgelände sehen, um die Zusammenhänge zu begreifen. Dr. von Petrikovits wies darauf hin, man habe den Eindruck, als sei dieses Gebiet schlagartig von den Römern besiedelt worden, denn alle Funde lassen sich frühestens auf das Jahr 150 nach Christus zurückführen. Zur Zeit des römischen Kaiserfriedens - in den fruchtbaren Kolonisationsjahrzehnten unter den Kaisern Trajan, Hadrian, Antonius Pius und Marc Aurel - erfaßte die Kolonisationswelle wohl auch diese Erzprovinz. Vielleicht bauten nachrückende Gallier hier die Erze ab, vielleicht war aber auch das ganze Gebiet kaiserliche Großdomäne, saßen nur Pächter in der „silva arduina“ colonae, die auf kaiserlichen Befehl den Erzabbau betrieben.

Herzstück des gallischen Landes

Heute ist dieses Kernland römischer Siedlung nur noch Randgebiet, zerschnitten durch Sprachen- und Nationalitäten-Grenzen. In römischer Zeit muß es ein Herzstück des gallischen Landes gewesen sein, betonte Dr. von Petrikovits. Hier trieb man Handel mit dem unförmigen Roheisen, das in den Schmelzöfen gewonnen wurde und erst von den Schmieden von der Schlacke befreit und zu richtigem Eisen verarbeitet werden mußte. Zu dem Eisen, aus dem wahrscheinlich auch die Hufeisen für Esel, Mulis und Pferde geschmiedet wurden, die man in großer Zahl - zusammen mit Knochen und Zähnen der Tiere - bei der Kanalisation von Berg fand. Das Institut für Gießereiwesen und Eisenhüttenkunde der Bergakadamie Clausthal wird sie untersuchen und mit den Braunseisenstein- und Roheisenfunde aus dem Badewald vergleichen.

Noch harren manche Probleme in dem neun Quadratkilometer großen Modellgelände der „Detektive mit dem Spaten“: das ist der Ringwall auf dem Rödelsberg, eine große Trockenmauer inmitten römischer Fundstellen, ein großer Viehpferch vielleicht, wie der Archäologe von Uslar sie in Lothringen fand. Auch am Hostert entdeckte Cüppers einen zwei Meter hohen und sechs Meter langen Abschnittswall, der eine Landzunge gegen das Rurtal sicherte - von der Mosel her sind derartige Bauten bekannt.

Im nächsten Jahr will man auch die Frage der Ackerterrassen untersuchen, der stufenförmigen Bodenbearbeitung an den Hängen. Diese Stufen verhinderten die Erosion. Wie rächte es sich, als man später die Stufen „schleifte“ und sie heute mühsam durch Windschutzhecken ersetzen muß.

Diese Stufen als mittelalterlich anzusehen, kann nach Ansicht von Dr. Petrikovits auch nicht mehr richtig sein. Im Badewald können sie nur von den Römern und Kelten geschaffen worden sein.

Mächtiger Hof am Clemensstock

Den Gutshof im Hostert will man ebenfalls noch vollständig freilegen. Langt das Geld, kommt noch ein zweiter der zehn Gutshöfe dran, der mächtige Römerhof am Clemensstock. Schritt für Schritt wird man so zu einer umfassenden Siedlungsgeschichte der Eifel gelangen, wobei Archäologie und Lagerstättenkunde, Geschichtswissenschaft und Naturwissenschaft sich in einmaliger Weise ergänzen. Eine zufällige Rodung am Hostert stand am Beginn dieser fast abenteuerlichen Entdeckungen, die das Eifelgebiet einordnen helfen in den großen echten Lebensraum „Lotharingien“, der noch im Mittelalter die Menschen von Hochsavoyen bis zu den Niederlanden vereinte.
-cvr-





Quelle: Dürener Nachrichten Nr. 219 vom 22. September 1955
Sammlung wingarden.de
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