Verschwindet der Bade-Wald?
Ein interessantes Waldgebiet im Südwesten des Kreises Düren - Weit über 1000 Morgen neues Ackerland können hier gewonnen werden - Auseinandergehende Interessen





Wollersheim, 31. Dezember 1934

Man schreibt uns:

Das ist ein eigenartiges Waldgebiet im Südwesten des Kreises Düren, das aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren verschwinden wird: Die Bade, jener große Wald, der sich wie ein weites Oval von den Rurbergen bei Blens und Hausen auf Berg vor Nideggen und Wollersheim zu erstreckt. In der Nordrichtung ist der Badewald etwa vier Kilometer lang; in der Breite umfaßt er zwei bis drei Kilometer.

Die Bade stößt bis unmittelbar an das Dorf Berg vor, schneidet von Süden her seine Ackerflur ab und greift dann nordwärts mit einem dreieckigen Zipfel über die Straße Wollersheim - Berg hinüber bis in die Nähe der langsam, aber sicher verfallenden Wasserburg Gödersheim. An der östlichen Langseite begleitet der Wald die sog. Neffeln, das Quellgebiet des Neffelbaches, der auf seinem langen Lauf zur Erft bei Mödrath eine große Anzahl von Mühlen - es heißt über 30 - treibt. Im Süden stößt der Badewald über die Kreisgrenze in die Gemeinde Hausen vor und seine Ausläufer umschließen die charakteristischen Felssäulen im Rurtal zwischen Blens und Hausen, in den die Alpinisten herumklettern und die Käuzchen horsten. Dieses

über 2000 Morgen große geschlossene Waldrevier

ist trotz seiner verträumten Reize als Wandergebiet kaum bekannt geworden, weil es etwas abseits der großen Verkehrsstraßen liegt, vor allem aber weil es infolge des völligen Fehlens aller und jeder Wegebezeichnungen von fremden Wanderern nur schwer begangen werden kann. Dazu fehlen auch - wenn man von der sogenannten „Straße“ absieht - Durchgangswege durch den Wald. Die Holzabfuhrwege, die vom Rande der in dieses Waldgebiet hineinführen, laufen sich in seinem Innern meist aus, so daß der Verkehr zwischen den Nachbarorten gewöhnlich die Bade umgeht.

Der Waldbestand der Bade

umfaßt zum größten Teil Lohschläge, die erst in den letzten Jahren zum Teil in eine planmäßige Hochwaldwirtschaft übergeführt worden sind, in der Hauptsache der zur Vlattener Burg der Freiherren von Gagern angehörende Bestand. Infolgedessen ist dieses Waldrevier auch heute noch von einer starken Unberührtheit; außer den Holzfällern und Fuhrleuten begegnet man nur noch dem Jäger und im Mai den Scharen von Maiglöckchensammlern aus den Nachbardörfern, die hier reiche Beute finden. Gelegentlich stößt man auch auf waldbeerenüberwucherte Kahlstellen, sehr häufig auf Walderdbeeren und fast überall auf reiche Haselnußbestände.

Dieser verschwiegene Wald, den die Städter noch nicht entdeckt und beunruhigt haben, wird im nächsten Jahrzehnt von der heimatlichen Landkarte verschwinden, wenn die Umlegungs- und Rodungspläne durchgeführt werden, die sich bereits stark verdichtet haben.

Die Bade ist auch in kommunaler Beziehung

ein besonderer Fall:

Trotzdem sie fast vor den Haustüren von Berg liegt, gehört auch nicht ein Ar von ihr zum Berger Gemeindegebiet. Auf den Meßtischblättern kann man genau verfolgen, wie die Berger Gemeindegrenze scharf mit dem Waldrand abschließt, und wie die entfernt liegende Gemeinde Embken hier mit einem stellenweise kaum 200 Meter breiten „Blinddarm“ etwa ein Viertel der Bade herausschneidet, während der größere Teil zum Wollersheimer Gemeindegebiet gehört, das bis ins Rurtal zwischen Blens und Hausen vorstößt, also eine ganz eigenartige Form hat. Man hat sich über die Entstehung derartiger seltsamer Grenzverhältnisse oft den Kopf zerbrochen; aber so ganz wird man wohl nie mehr hinter die Gründe kommen, die vor langen Zeiten eine hohe Obrigkeit zu dieser merkwürdigen Grenzziehung veranlaßt haben, die für Berg die nachteilige Wirkung hat, daß seine Grenze einen guten Steinwurf von seinen Hausgärten entfernt liegt.

Vielleicht bietet die Tatsache zur Erklärung dieses Zustandes einen Fingerzeig, daß der größte Teil des Badewaldes sich auch heute noch im Besitz von Wollersheimer und Embkener Einwohnern befindet, wenn man von dem zur Vlattener Burg gehörenden Teil absieht, während die Einwohner von Berg nur rund 300 Morgen, also etwa ein Sechstel bis ein Siebtel der Gesamtfläche, besitzen.

Die Geschichte dieses Waldgebietes

ist in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Nur einmal blitzt der Name in der mittelalterlichen Geschichte auf, als der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden, der den Grundstein zum Kölner Dom gelegt hat, im Jahre 1241 in der Schlacht in der Badua silva (im Badewald) von dem wilden Grafen Wilhelm IV. von Jülich gefangen genommen und auf die Nideggener Burg für neun lange Monate eingekerkert wurde.

Aber die Geschichtsdenkmäler, die der Wald selbst verbirgt, führen noch ein Jahrtausend weiter zurück: Ihn durchzieht von Norden nach Süden eine alte Römerstraße, im Volksmund „die Straße“ genannt, die vom Kermeter her, wo sie die „Eisenstraße“ heißt, über Walbig zwischen Heimbach und Vlatten die Landstraße kreuzend, auf der Höhe in ziemlich gerader Richtung die Bade durchschneidet und später an dem weithin sichtbaren Klemensstock, der bekannten Berger Riesenlinde, vorbeiführt. Heute ist diese alte Römerstraße ein breiter Waldweg, stellenweise von Gebüsch eingezwängt, an anderen Stellen wieder von außerordentlicher Breite.

Auch Spuren römischer Besiedlung finden sich in der Bade, deren Erforschung noch nicht abgeschlossen ist. Die Rodung dieses Waldes wird zweifellos Licht in die römischen Bauten bringen, die heute der Wald bedeckt. Diese Reste alter Baulichkeiten haben wohl auch zur Bildung der

Sagen von der untergegangenen Stadt Badua

geführt, die auch Hoffmann in seinen Sagen des Rurtals verzeichnet. Die Sage, die sich dieses geheimnisumwobenen Waldes mit besonderer Liebe bemächtigt hat, läßt die Stadt in die Erde versinken. Die großen Vertiefungen im Wald, die früher mit Wasser gefüllt waren, sollen darauf hinweisen. In Wirklichkeit dürfte es sich dabei um alte Mergelgruben handeln, aus denen man vor der Zeit des Kunstdüngers den fruchtbaren Mergel auf die Aecker fuhr.

Andere Sagen wissen wieder von der Vernichtung der Stadt Badua während der Völkerwanderung zu erzählen. In gewissen terrassenartigen Bodenformen will man auch die Spuren ehemaliger Weinberge in die Bade erkennen können. Auch von seltsamen Funden weiß die Sage zu erzählen: Da ist einmal eine eisenbeschlagene Kiste mit einem großen Schatz gefunden worden, die der Teufel höchstpersönlich in Gestalt eines Hundes bewachte. In der ganzen Gegend ist die Sage bekannt von den Glocken, die von Schweinen in der Bade aus der Erde gewühlt worden sind. Eine solche Glocke soll die Hausener Kirche, ferner die Vlattener und die Wollersheimer bekommen haben. Die Hausener Glocke legte der Volksmund die Worte „Bad, Bad“ unter. Und auch heute noch erzählt man sich diese Sagen, die den Badewald umranken, aber auch manches Erlebnis von der Jagd in diesem interessanten und abwechslungsreichen Revier, das oft genug Wildschweine und Hirsche aufweist.

Im letzten Jahrzehnt sind die Waldränder an der Berger Seite

durch Rodungen stark angefressen

worden. Von Berg gehen auch in der Hauptsache die Bestrebungen zur Rodung des größten Teils der Bade aus. Die Durchführung dieses Planes setzt aber eine Umlegung des Waldes voraus, weil sich die vielfach mitten im Wald verstreuten Parzellen der einzelnen Besitzer naturgemäß nicht roden und auch nicht bewirtschaften lassen; vor allem aber auch, weil eine landwirtschaftliche Nutzung des Gebiets der Bade deren Erschließung durch ein Wegenetz notwendig macht, daß heute nicht vorhanden ist. Von der Zusammenlegung erhoffen die Berger Einwohner die Umlegung ihrer Grundstücke an den Waldrand in die Nähe ihres Dorfes, um so die Rodung und Bewirtschaftung zu erleichtern. Nach den Erklärungen der beteiligten Behörden ist mit der Durchführung dieses Planes zu rechnen, da dessen Zweckmäßigkeit vom Standpunkt der allgemeinen Landeskultur aus bejaht wird. Ueber die Einzelheiten der Rodung ist noch keine Entscheidung gefallen, ob er einzelne Besitzer selbst seine Parzellen roden oder die Rodung gemeinschaftlich - etwa durch den Freiwilligen Arbeitsdienst - erfolgen soll.

Das alles sind noch schwierige Fragen, deren Entscheidung nicht einfach ist. Auch die

Durchführung der Zusammenlegung

wird zweifellos noch große Schwierigkeiten mit sich bringen, weil Waldzusammenlegungen wegen der Auseinandersetzung und Abfindung über den Holzbestand besonders kompliziert sind und daher nur selten durchgeführt werden. Die Verhältnisse bringen es mit sich, daß die Eigentümer wohl des größten Teils des Waldes, nämlich Einwohner von Wollersheim und Embken, an dieser Umlegung kein Interesse haben, weil für sie eine Rodung und Bewirtschaftung der Parzellen wegen der weiten Entfernungen kaum in Frage kommen kann, während sie dagegen die Zusammenlegungs- und Wegebaukosten anteilig mit aufbringen müssen, die bei Waldzusammenlegungen nicht gerade in einem günstigen Verhältnis zum Wert des Waldes stehen.

Ob aber diese verständlichen Widerstände gegen die Umlegung, die von diesen Orten ausgehen, das Zustandekommen des großen Projekts verhindern können, erscheint fraglich, weil nach der heutigen Gesetzgebung für die Durchführung von Umlegungen nicht mehr die Zustimmung der beteiligten Grundbesitzer, sondern das überwiegende Interesse der Landeskultur ausschlaggebend ist. Die beteiligten Behörden haben das Vorliegen dieses Interesses der allgemeinen Landeskultur dem Vernehmen nach bereits grundsätzlich bejaht.

Der Plan der Umlegung des Badewaldes und der Rodung seines größeren Teiles, der auf weit über tausend Morgen veranschlagt wird, stellt

eines der größten landwirtschaftlichen Kultuvierungsobjekte des Rheinlandes

dar. Seine Durchführung wird das Bild der Landschaft in diesem Uebergangsgebiet von den Eifelbergen zur Ebene stark verändern und die Wirtschaftsgrundlage der beteiligten Ortschaften, vor allem von Berg, wesentlich verbreitern. Zugleich wird damit ein Waldgebiet unserer Heimat verschwinden, das in Geschichte und Sage seine Spuren hinterlassen hat. Und vielleicht wird unser Volk in fernen Zeiten sich an den Winterabenden erzählen von dem alten Wald, der hier untergegangen ist, wie es sich heute die Sagen von der untergegangenen Stadt zuraunt, die vordem hier gestanden haben soll.

B.





Quelle: Dürener Zeitung Nr. 302 vom 31. Dezember 1934
Sammlung wingarden.de
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