Pfarrer Andreas Pohl, Abenden
Das älteste sakrale Bauwerk des Kreises Düren
Der 1200 Jahre alte Turm der alten Pfarrkirche von Wollersheim - Forschungen zur Vor- und Frühgeschichte des Dürener Landes





Düren. Die Dürener Zeitungen brachten in den letzten Wochen mehrere Artikel über die Nicolauskapelle in Geich, Kreis Düren. Diese Kapelle wurde in diesen Artikeln als „ältestes sakrales Bauwerk des Kreises Düren“, als „800 Jahre alte Pestkapelle“, als „rätselhaftes altes Bauwerk“, als „älteste Kapelle des Kreises Düren“ und als „Gasthauskapelle“ bezeichnet.

Der Verfasser hat vor Jahren bewiesen, daß der Turm von Wollersheim das älteste „sakrale“ Bauwerk des Kreises Düren ist. Er gestattet sich, zu seiner These wieder Stellung zu nehmen und die seit zwei Jahren mit so großem Erfolge stattgefundenen Ausgrabungen der Bonner Archäologen in den „Blickpunkt Bade“ zu rücken u. zu zeigen, daß das Dürener Land auch kultgeschichtlich und kulturgeschichtlich „geschichtsträchtiges“ Land ist. Hier wird der Kult und die Kultur der Landschaft wieder der Führer und Wegweise sein für kommende Ausgrabungen. In einer Reihe von Abhandlungen wird der Verfasser behandeln:

- Die Aduatucafrage und das Dürener Land.
- Die Nabaliafrage und das Dürener Land.
- Auf Cäsars Spuren im Dürener Land.

Er wird sich besonders freuen, wenn nicht nur „lebhafte Debatten“, sondern auch „scharfe Kontroversen“ kommen - wie im Badewald! Denn „Das Rätsel des Badewaldes ist gelöst“ - so schreib eine Dürener Zeitung - ist irrig. - Das Erfreuliche dabei: Alle Fragen sind weit entfernt von jeder Art von Politik. Für alle Fälle: Wir leben in einer demokratischen Republik. Sollte als „Opposition“ und „Koalition“ kommen, dann könnten - sogar bis in „Weltanschauungsfragen“ hinein - beide Frieden machen.

Der literarische und archäologische Befund beim Turm von Wollersheim

Immer noch steht er da, der Wächter am Rande der Nord-Ost-Eifel, mit seiner ganzen Wucht und Bodenverbundenheit, umgeben vom „Kulturschutt“ der Jahrhunderte ein echtes Kind der sturmerprobten Nordeifel. St. Anna in Düren, St. Johannes in Nideggen, St. Peter in Zülpich fielen im Kriegssturm. Granaten rissen seine Turmhaube auf! Ein grünes Bäumchen wuchs aus dieser Wunde symbolhaft hervor, er aber hielt Stand und schaut mit dem Stolz des Urahnen auf seinen jungen Urenkel, den schmalbrüstigen Turm des jüngsten „Eifeldomes“.

Zum literarischen Befund des Turmes (Vergleiche dazu die neuen Forschungen von Heusgen und Wampach)

Clemen (Kunstdenkmäler, Kreis Düren, S. 350) berichtet, die Legende erzähle, daß St. Willibrord sein Beichtkind, Plectrudis, veranlaßt habe, in Wollersheim eine Kirche zu errichten. Das wäre meines Erachtens vor dem Jahre 713 gewesen. Wir werden sehen, daß es sich hier auf Grund der neuentdeckten Steinurkunden, der Ortsnamenskunde und einer Aufzeichnung im Extractus ex libro statutorum capituli Tolpiacensis um mehr als eine Legende handelt und daß die alte Ortstradition, die Wollersheimer Kirche sei ursprünglich ein alter Heidentempel gewesen, die schweren Konsolen in den Ecken der Turmhalle hätten heidnische Steinbilder getragen u. kein Kreuzgewölbe, und Klotilde hätte während der Schlacht um Zülpich 496 vor einem Kreuze, das an der Stelle des alten Turmes gestanden habe, um den Sieg des Klodwig gebetet, einen geschichtlichen Kern enthält.


Das älteste sakrale Bauwerk des Dürener Landes: der Turm in Wollersheim

Urkundlich steht jedenfalls fest, daß schon im Jahre 1184 das Stift St. Maria im „Capitol“ in Köln (also in der festungsartig gebauten „Burg“ der obengenannten Plectrudis) in Wollersheim einen Stiftshof gleich neben dem Turm besaß und vor dem Jahre 1241 die Kirche dem genannten Stift inkorporiert war, das in Wollersheim auch einen Zehnthof besaß. (Vergl. Annalen des Hist. Vereins für den Niederrhein LXXXIII, S. 4, 7). Der Turm als Ganzes wird wohl der Mitte des 12. Jahrhunderts angehören, die Turmhalle scheint nur viel älter zu sein. Das Steinmaterial derselben wenigstens mit den abgebildeten Steinkult- und Sonnenzeichen und Schleifrillen (Wetzmarken) auf den mächtigen, ungleichmäßigen mit anderem Mauerwerk zusammengestellten Sandsteinblöcken, durchsetzt mit römischen Ziegelstücken wie an den romanischen Kirchen von Arnoldsweiler, Merzenich, Pier und Hochkirchen (vergl. Schoop, die römische Besiedlung des Kreises Düren, S. 15) ist bestimmt älter als das Mauerwerk der vier anderen Geschosse dieses romanischen Westturmes.

Clemen äußerte sich dieshalb bei der Aufnahme des Turmes für sein großes Werk über die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz mündlich, der Turm sei nach seiner Meinung der älteste des Dürener Landes, Kanonikus Bock, Aachen widerspricht dieser Ansicht nicht, meint aber, der Turm der alten Kirche zu Arnoldsweiler sei ebenso alt oder er reiche wenigstens bis an die Karolingerzeit. Ueber dem zweiten Geschoß ist der Turm stark eingedrückt; hier scheint eine zweite, jüngere Bauperiode zu beginnen. Das erste Obergeschoß hat an jeder Seite zwei Rundbogenfenster, teilweise sind dieselben vermauert. Das dritte Geschoss hat eine reichere Gliederung mit schlanken Lisenen, wie sie charakteristisch sind für die Stauferzeit, mit Rundbogenfries.

Der Glockenstuhl hat an jeder Seite zwei Doppelfenster, die durch Säulchen mit glatten Würfelkapitellen und Kämpfer aufgeteilt sind (s. Clemen, Kunstdenkmäler). Das niedrige vierseitige Pyramidendach ruht auf einem schweren Gesims aus Haustein; es wirkt wie eine gefällige Haube für den breiten romanischen Turm und paßt zu ihm besser, als der spitze Turmhelm, der am 22. Januar 1819 durch Blitzschlag getroffen wurde. Der Turm brannte dabei bis zum untersten Teile aus. Die drei Glocken wurden vernichtet. Die schriftlichen Urkunden darüber liegen vor.

Der Signalturm!

Das war er Jahrhunderte lang und zwar in seiner jetzigen Gestalt etwa seit dem 12. Jahrhundert. Beweis: Ueber den Schallfenstern des Turmes befinden sich zwei karrenradgroße Oeffnungen, die ursprünglich Signalzwecken gedient haben. Das erhellt schon daraus, daß sie nur auf der Ost- und Westseite angebracht sind. Sie sind sorgfältig zugemauert und deshalb von den Fachgelehrten unbeachtet geblieben. Sie hätten bei der Restauration des Turmes im Jahre 1921 wieder geöffnet werden sollen. Ich sagte, daß diese Signalöffnungen (in Kriegszeiten) nach Westen über die „Odwacht“ die „Gutswacht“ der Kimbern (Cäs. bell. gall.) die Signaltürme am Eingang der Bade (bei dem Steinzeitlichen Fundplatz) und auf dem Rädelsberg, den Sitz des Ambiorix und das „Streiteck“ Niteca hinweg zur Hochwacht des Burgberges leuchteten. Freilich nicht im jetzigen Turm. Und von da über die vielen „Burg“-berge der Eifel bis an die Maaslinie. Nach Osten gab der Turm von Wollersheim die Feuerzeichen weiter über Tolbiacum ins eburonische und ubische Unterland und später ins Ripuarische und Kurkölnische bis über die Rheingrenze hinweg ins Sigambrische. In geschichtlich nachweisbarer Zeit fanden auf dieser Linie immer wieder Schlachten und Treffen statt, angefangen von der Niederlage des Cotta und Sabinus, der Divisionäre Cäsars, (Cäs. bell. gall. Buch 5. K. 37) am Streiteck Niteca der Alemannenschlacht Klodwigs, den Kämpfen zwischen den deutschen Gegenkönigen zur Stauferzeit, und den vielen Treffen zwischen Kurköln und Jülich, bis herab zum Heereszug Karls V. von Bonn nach Nideggen.

... (Den ersten Teil dieser historischen Abhandlung veröffentlichten wir zusammen mit einer Abbildung des ältesten sakralen Bauwerks des Kreises Düren, dem Turm zu Wollersheim, in der gestrigen Ausgaben. Die Red.)

In vorgeschichtlicher Zeit haben auf den vielen Burgbergen der Eifel niemals „Burgen“ gestanden, d. h. keine festen Schlösser im mittelalterlichen Sinne. Es waren Hochwarten mit Feuersignalen, durchaus nicht immer „Fliehburgen“. Das in der ganzen Eifel noch bis vor 30 Jahren übliche „Burgbrennen“, am ersten Fastensonntag wurde es im übertragenen Sinne gehalten - weist eindeutig darauf hin, daß diese Kuppen bei einer Invasion den Bewohnern sofort Kunde gaben von dem Heranrücken des Feindes. Militärische Fachmänner haben berechnet, daß durch die Feuersignale ein feindlicher Ueberfall 1 ½ bis 2 Stunden jedem Eifel- und Ardennenbewohner vom Rhein bis nach Gallien und an den Ozean mitgeteilt werden konnte. Schon Cäsar waren diese Feuersignale als Kriegszeichen bekannt: Cäs. bell. gall. I., III, K. 33 celeriter ut ante imperaverat ignibus significatione facta, ex proximis castellis eo consursum est. Wir lesen u. a. bei Cäsar (Bell. gall. I. III. Kap. 33), daß er, als die Advatricier (Aduatucer) einen unerwarteten Ausfall aus ihren Verschanzungen gegen die Römer machten, sogleich seine lagernden Truppen durch Feuersignale wieder an sich zog und daß er, als er aus der Rheingegend her ausgerechnet in Richtung Zülpich-Wollersheim etwa zum Rachezug gegen Ambiorix zog, den strengen Befehl gab, keine Lagerfeuer anzuzünden, um von den Eburonen und ihren Feuerwarten unbemerkt zu bleiben. (Cäs. bell. gall. Buch 6, Kap. 29).

Soll das in alten Schriften (zuletzt 1572 Chronist Brand von Prüm) häufig erwähnte Notfir (Notfeuer) nicht damit gemeint sein? Auf der ganzen Linie Bonn, Zülpich, Nordosteifel, Ardennen, Maas, Lüttich folgen - um im Blickfeld des Aduatuca zu bleiben - sich in ununterbrochener Reihe, den alten Kelten- und Römerwegen, die zugleich Handelswege waren, entlang die Feuerwarten. Ein sprechendes Gegenstück zum Wollersheimer Wachturm ist der Büllinger Kirchturm, dessen Unterbau aus den Steinen eines römischen Wachturmes an der Warche errichtet sein soll. Wie die Signaltürme der Römerzeit aussahen, zeigt uns das Wachthaus auf der Trajansäule in Rom mit Heufeimen und Holzstoß. Wichtig ist noch, daß mehrere Ortschaften der Eifel, die den Namen Rath haben oder auf rath endigen, mit Rodungen nichts zu tun haben, wie Eduard von Weecus nachzuweisen versuchte, sondern auf „Rath“ - Burg zurückzuführen sind. -


Die mächtigen Steinschalen am Turm zu Wollersheim

Der Steinkult

In meiner Abhandlung „Die 3 Schalensteine beim Aduatuca der Eburonen“ (1934) beschrieb ich die Schalensteine von Mausauel, vom „Weißen Stein“ und von der „Juffernley“, besprach dabei die Steinkultzeichen bei den „Kultstätten in Badua“ und die großen Entdeckungen, die Dr. Ernst Schneider-Luxemburg in seinem hervorragenden Werk „Material zu einer archäologischen Felskunde des Luxemburger Landes“ schilderte. Im September 1943 entdeckte ich auf den mächtigen Steinblöcken der Turmhalle in Wollersheim, die mit römischen Ziegeln durchsetzt seind, außer vielen Schleifrillen an drei Turmseiten und einem Sonnenzeichen die Schalensteine. Die Schalengrube oder Näpfe haben (nach Dr. Schneider) fast immer einen Durchmesser von 3 - 8 cm und eine Tiefe von 2 - 5 cm. Sie sind von Menschenhand in Felsen oder Steinblöcken eingeschliffen oder eingehauen. Unsere zwei Schalen haben 7 cm Durchmesser, 14 cm Höhe und 3 cm Tiefe. Eine dritte Schale ist, wie klar erkennbar, nicht eingehauen worden. Beide Schalen waren mit Zement vermauert, dessen Alter ein Fachmann, den ich hierum bat, nicht bestimmen konnte. Durch das obere Ende der zwei Schalen geht die Fuge eines zweiten Steinblocks. Dieser hat wieder eine Höhlung, die mit romanischen Bögen versehen ist und gekrönt wird von merkwürdigen Kreuzen an den Enden. Die Bekrönung macht den Eindruck eines verschleierten Sonnenrades. Ein solches ist auch an der Westwand der Turmhalle deutlich zu sehen. Es gibt Schalen aus paleolitischer Zeit, andere sind an Megalithbauten, meistens an Dolmen. Sie verschwinden in historischer Zeit, wie es scheint gegen Ausgang des Mittelalters, und da hätten wir das Jahr 713 zu beachten! An den Pfeilern der Georgskirche in Hagenau im Elsass, an den vor der Reformation erbauten Kirchen zu Meißen und Dippoldiswalde, sowie an anderen Kirchen aus dem 13. (Wollersheim), 14. und 15. Jahrhundert finden sich diese Schalensteine (vergl. Bonner Jahrbücher 78, S. 243 ff.). Dr. Schneider schilderte wie man dem Volk Gelegenheit gab, Schalen und Rillen einzulassen und zu diesem Zwecke Sandsteinquadern in die Granitmauern einließ.

Ueber die Bedeutung der Schalengruben ist unglaublich viel geschrieben und diskutiert worden. Sie ist bis heute nicht zu erfassen gewesen. Eine praktische Verwendung der Schalen ist nicht zu ersehen. Gegen eine Eignung zum Zerstampfen von Körnern oder anderen harten Früchten sprechen ihre kleinen Ausmaße, ihre geringe Zahl, ihr Auftreten an schiefen oder senkrechten Flächen sowie die meist unbedeutende oder fehlende Abrundung der Ränder. Beim Volke heißen sie oft Elfenmühlen. Vielfach hat man in ihnen kleine, besonders für Totenopfer bestimmte Opfergruben sehen wollen. Tatsächlich soll in der Schweiz und in Schweden festgestellt worden sein, daß in früheren Zeiten vom Volke Fett, Butter oder Honig in die Schalen gebracht worden ist. Dazu wäre zu sagen, daß südlich vom Turme auf dem Pützberg zweimal ein großes Gräberfeld vom Bonner Landesmuseum freigelegt wurde mit fränkischen Gräbern, meist aus gespaltenen Votivsteinen der Matronae Veteranheae, und nördlich vom Turme bei „Göders“heim zahlreiche Matronensteine, besonders der dea Sunnuxal, daß ferner unterirdische Wasseradern vom Pützberg zum uralten „Gemeindepütz“ führen, wo nach frühgeschichtlicher Sitte Totenwaschungen vorgenommen wurden, und daß beim Turme die Begräbnisstätte für zeitweilig fünf Dörfer gewesen ist (vergl. die Flurnamen „Lichweg“ und „Gräpp“ und meine Abhandlung über Willibrord-Wolberich in Wollersheim).

Wie kommen diese Schalensteine und Kultzeichen an die Turmhalle des frühchristlichen Kultstätte in Wollersheim? Wahrscheinlich stammen dies mächtigen Steinblöcke mit den genannten Zeichen aus den „Kultstätten von Badua“. Beim Bau der Turmhalle wurden sie aus de Erde herbeigeschafft und mit christlichen Zeichen versehen. Dafür spricht u. a. die alte Tradition der Wollersheimer, daß die alte Kirche erbaut worden sei aus Steinmaterial das aus der Bade geholt wurde. Ebenso möglich aber ist es, daß St. Willibrord-Clemens, der eigentliche Missionar der Nordosteifel, der 713 als „Pastor in Wollersheim“ (Wollberichsheim-Willibrordsheim) genannt wird, den Steinkult geduldet hat, indem er jede Generaloffensive gegen den heidnischen Kult vermied. (Näheres darüber in meiner Abhandlung über St. Willibrord-Clemens und die Altertümer von Wollersheim). Wir wissen ja durch urkundliche Feststellungen (nach Schneider Luxemburg) aus dem 5., 6., 7. und 9. Jahrhundert, daß der alte Steinkult weiterbestanden hat, ja daß er sich hartnäckig gehalten hat bis gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrtausends. Beweis dafür sind 12 Texte. 5 davon aus Konzilbeschlüssen, 4 aus Kapitularien der fränkischen Könige. Ein Beschluß gegen den Steinkult steht in einem Kapitulare Karls des Grossen vom Jahre 789, also kurz nach dem Tode Willibrord. (Vergl. Meine Abhandlung über die Schalensteine beim Aduatuca der Eburonen“).

Der Michelkult

Als im Jahre 1902 der alte sehr große Blasebalg der Orgel entfernt wurde, zeigte sich im ersten Stock des Turmes eine romanische Kapellenanlage. An der Stelle, die der Blasebalg eingenommen hatte, sah man nämlich eine in die Ostmauer des Turmes tief eingelassene Apsis, eine Altarnische mit Abstellnische und Steinbank. Clemen erwähnt dieselbe nicht. Er sah nur das südlich der Nische befindliche Doppelfenster mit einfachem Würfelkapitell und zwar vermauert - jetzt ist es geöffnet - und nördlich der Nische eine rundbogige Tür. Diese Tür ist aber erst 1848 entstanden, als die Empore für die Orgel errichtet wurde. Auch nördlich der Apsis war nämlich ein Doppelfenster, das zu genannten Türe 1848 erbreitert wurde. Die Anlage hat an jeder seite zwei kleine Rundbogenfenster, die teilweise vermauert sind. Der Raum war verputzt, aber infolge des Brandes und der wenig glücklichen Restaurierung ist der Verputz fast ganz abgeschlagen. Pfarrer Friedrich Schulte, von 1887 bis 1933 in Wollersheim, schreibt dazu in seiner Chronik: „Das war die Kapelle, wenn die Aebtissin von St. Maria im Kapitol in Köln mit ihrem Kaplan und Begleitung auf ihrem Stiftshof, der schon 1184 als Eigentum des Klosters erwähnt wird, der Messe beiwohnen wollte. Zu dem Zweck war auch ein Gang aus dem Stiftshof nach dem Turm, der nach dem Hof zu eine Tür hatte. Sie ist zugemauert, wie auch die noch sichtbare aus dem Hof.“ Das letztere ist ein Irrtum, daß nämlich die Kapelle für die Aebtissin von Maria im Kapitol bestimmt gewesen sei und für dieselbe hergerichtet worden sei. Diese Kapelle diente von Anfang an dem Michelskult. Sie ist ein kleines Michaelsheiligtum, wie sie, um im Blickfeld des Wollersheimer Turmes zu bleiben, in den romanischen Westtürmen von Wichterich, Kleinbüllesheim, Kirdorf und Walberberg sich finden, und um im Lichtkreis der Signalkuppen u. Römerstraßen zu stehen, Vlatten, Steinfeld, Köln (bei St. Severin), Michelsberg (bei Siegburg), Michelsberg bei Münstereifel sich befinden. (*?) Es steht fest, daß alle diese Kapellen, die sich immer im ersten Geschoss der romanischen Westtürme befinden und immer die gleiche Gestaltung haben, - Apsis, Altar, Abstellnische und Oeffnung in der Ostwand (siehe Abbildung) - der Verehrung des „Engels der Deutschen“ dienten. Das bestätigen für mehrere Kirchen noch vorhandene Kultbilder des Erzengels und frühmittelalterliche Urkunden. Für Wollersheim ist das Vorkommen des Michelskultes besonders bedeutungsvoll, weil hier und im benachbarten Berg (Villa Montis) und Floisdorf jahrelang der Sitz des ersten christlichen Missionars der Nordeifel, des hl. Willibrord, war. Er wußte sie alle seine Mitarbeiter, wie gerade im Bereiche der Bade Odin-Wodin-Wotan in Verehrung stand beim Nationalheiligtum des eburonischen Landes, wie er in der wilden Jagd vom „Odenwinkel“ bei der „Odwacht“ der Kimbern herunterbrauste in die magna convallis Cäsars und über den „Odengarten“ und die Doppelfurt im Tale von Abenden hinweg zum „Odenbach“ im „Odenbleuel“ verschwand (vergl. Hoffmann die Volkssagen des mittleren Rurtales), inmitten seines „Dreibergheiligtums“. Wenn wir nun noch beachten, welche Rolle die Trinkwasserversorgung und die Grabstätten Wollersheims von den Tagen der Franken und des „Wasserheiligen“ - Willibrord - an bis in die heutige Zeit gespielt haben, dann verstehen wir, wie alles zusammenwirkte: Wilde Jagd und Wassernot, vorchristliche Kultstätten und Bergheiligtümer, um Willibrord und seine Nachfolger zu veranlassen, gerade hier an die Stelle Odins, des Sturmdämons, der seine fahlen Pferde beim „Krahenberg“ hatte, des Seelen- und Totengottes mit dem Totenheer, der wütenden Schar, dem Wod - daher sein Name Wodan -, der den Feuer-, Wasser, Heil- und Runenzauber ausübt, die lichte Gestalt St. Michaels zu setzen, der nun beim alten Leuchtturm der Vorzeit zum Licht- und Kampf- und Totenengel, aber auch zum Heilengel, zum Arzt des Volkes wurde. Durch ihn entsprangen Heilquellen. Das mag schon um das mehrmals erwähnte Jahr 713 begonnen haben.

Genau hundert Jahre später, im Jahre 813, wurde durch das Konzil von Mainz der Tag des hl. Michael auf den 29. September gelegt. Dieses Datum fiel in die Zeit des altgermanischen Neujahrs; das im altgermanischen Jahr begann nämlich mit der Winterhälfte (s. Elis. Von Schmidt-Pauli „Erzengel Michael und die Germanen“). Wieder etwas mehr als hundert Jahre später, 933, siegte Heinrich I. unter Michaels Banner an der Unstrut über die Ungarn und 955 Otto der Große auf dem Lechfelde über dieselben Ungarn. Im 10. Jahrhundert scheint sein Bild auf der Reichsfahne dem Adler gewichen zu sein. Der Michaelskult aber stieg noch Jahrhunderte lang zu immer größerer Blüte, so daß es gegen Ende des Mittelalters kaum noch eine Stadt in Deutschland gab, die nicht eine Michaelskirche oder –Kapelle hatte. Kein Wunder, daß bei dieser Verehrung der größte deutsche Maler: Dürer in seinem Apokalypsebild „Michaels Kampf mit dem Drachen“, der größte deutsche Plastiker: Riemenschneider am Grabmal Heinrichs und Kunigundes im Bamberger Dom, und der größte deutsche Dichter: Goethe im Prolog zum Faust ihm ein bleibendes Denkmal setzten. -


Romanische Kapellenanlage im Turm zu Wollersheim nach der Freilegung

Ich bin überzeugt, daß die uralten Kreuze, wenigstens die über den Steinkultzeiten und die vom „Weißen Stein“ und „Kreuzberg“ von Willibrord, dem eigentlichen Missionar der Eifel, zuerst errichtet wurden (*?). Der Patron der rings um Wollersheim liegenden Kirchen und Kapellen von Berg bei Floisdorf, Heimbach (Pfarrkirche und Burgkapelle), Michaelskapelle von Vlatten, Wollersheim (Kreuzpatrozinium), Kreuzau und Nöthen ist kein anderer, als Willibrord, der 695 bei seiner Bischofsweihe in Rom vom Papste den Namen „Clemens“ erhielt. Er ist auch der Hirt Clemens, der nach der Legende den „Clemensstock“ gepflanzt hat. Winfried verlies nach dem Tode des Friesenherzogs Radbod, Willibrord (übrigens der Lehrer von Winfried) Friesland und für 3-4 Jahre fehlte jede Spur von ihm. Auch die „Vita Willibrord“ d. h. die „Lebensbeschreibung“ Willibrords von Allkuin, dem Angelsachsen, weiß nichts von diesen Jahren. Die Meinung als ob er sich in diesen Jahren auf fortwährenden Missionsreisen auf der Linie Echternach-Utrecht und Rhein-Rur aufgehalten habe und die dazwischen liegende Nordeifel „durchmissioniert“ habe, halte ich für irrig. Ich halte sogar die alte Volkstradition vom „Einsiedler Johannes“, der am Fusse des „Clemensstockes“ in einer der Höhlen am „Weißenstein“ verborgen gelebt habe, für wichtiger und zutreffender. In der Nordeifel halten noch die heilsamen Brunnen von Zülpich, Berg, Wollersheim, Lommersweiler sein Andenken fest. Er ist, wie Wampach sagt, „Der Missionar bei Quell und Baum“. (Vergl. Den Willibrordssprudel bei Neuenahr). Die uralte christliche Kultstätte von Wollersheim soll nach der uralten Ueberlieferung auf Willibrords Veranlassung von Plektrudis, der Gemahlin Pippins des Mittleren erbaut worden sein. Der Titel der Wollersheimer Kirche ist „Kreuzauffindung“, vergl. Lexikon für Theologie und Kirchengeschichte 10. Band S. 919. Koch, kleine Deutsche Kirchengeschichte, S. 38, Handbuch des Erzbistums Köln, S. 677). Willibrord hat ohne Zweifel auch die in der Nähe des Turmes liegenden Kultstätten „in Badua“ und „Gödersheim“ gekannt. In Gödersheim wurde der größte Matronenstreifen des Kreises Düren gemacht.

Vielleicht erscheinen meine Ausführungen über „Steinkult“, „vorchristliche Heiligtümer“ und „Steinrunen“ dunkel und rätselhaft. Sie beruhen aber auf gesicherten Erkenntnissen der vor- und frühgeschichtlichen Wissenschaft und auf weiteren Steinurkunden, die ich in den folgenden Artikeln veröffentlichen werde. Seltsam ist, daß das Fortbestehen des alten Steinkultes durch dokumentarische Feststellungen vom 5. bis 9. Jahrhundert bewiesen ist. Der Steinkult war im Volke tief verankert, als das Christentum auftrat. Er hat sich hartnäckig mindestens bis zum Ende des ersten christlichen Jahrtausends behauptet. Karl der Große hat noch in seinen „Capitularien“ gegen ihn gedonnert. In diesem Zusammenhang haben die merkwürdigen Steinskulpturen in den Abschlüssen der Gewölberippen und die Steinkultschalen am Turme von Wollersheim (siehe Abbildung) ihre besondere Bedeutung. Eine rein praktische Bedeutung der Schalen zum täglichen Bedarf ist nicht zu ersehen. Ihr religiöser oder symolischer Charakter steht außer zweifel. Aus all dem läßt sich ableiten, daß die damaligen Menschen auf unserem Heimatboden auch nach Brot, Wahrheit und Glück suchten. Der Steinkult und im Michelskult sich zeigende Geist ist in jenen Tagen das gewesen, was er in der Geschichte der Menschheit immer war; „agens - treibende Kraft und vornehmstes Objekt.“ (Schneider). Und heute, wo man sagt „Gott ist Technik, Gott ist Chemie,“ rufen Ungezählte nach den „Geisteswissenschaften, die die Seele vergessen“, nach jenem Geist, von dem selbst Goethe bekannt hat:

„Gottes ist der Orient, Gottes ist der Occident, östliches und westliches Gelände ruh'n im Schatten seiner Hände.“

Und für den Ungeist unserer Zeit hat er das Wort geprägt:
„Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist der Herren eigner Geist.“

Der Gottsucher Fr. Nietzsche hat dazu voll Bitterkeit gestanden:
In Deinem Wasser haben sie mich getauft. Und nun kann und komme ich, Du alter Gott, von dir nicht los.“

In Gedanken an den Michelskult beim ältesten sakralen Bauwerk des Kreises Düren schließen wir mit den kraftvollen Worten, mit denen schon vor Jahrhunderten die Wallfahrer zum Michelsberg bei Münstereifel den „Engel der Deutschen“ begrüßten:

„Heliger Sant Michel met däm Schwäet,
Hau dr Düvel bes en die Eäd
On setz em su zu Liew,
Dat net Stätz noch Stupp dran bliev.“


(*) Satzfehler im Original








Quelle: Dürener Lokal-Anzeiger Nr. 245/246 vom 23. und 24. Oktober 1958
Sammlung Marliese Wintz, Kreuzau, Sammlung wingarden.de, H. Klein
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