Bauernkultur vor 2000 Jahren
an Rur und Neffel im Licht der Reliefs der Matronenaltäre
Von Pfr. Pohl, Blens





Bauerntum ist älter als jedes Schrifttum und Wegbereiter aller Kultur. Ein Beweis dafür sind die Steinurkunden der Matronenaltäre in der Rur- und Neffellandschaft. Schon der Geograph Ptolemäus von Ravenna (um 80 n. Chr.) führt die Rur, in seinen Schriften als „rura“ an und Tacitus, ein bekannter römischer Geschichtsschreiber nennt unsere Neffel Navalia. Wie auf dem Matronenstein zu Derichsweiler zu lesen ist, ist der Aduatucer Caius Candidius urkundlich nachweisbar einer der ersten Bauern an der Rur und der Sunuker Asseridius vom Matronenaltar von Göddersheim der erste Bauer an der Neffel.


Abb. 1: Eichelmast - Abb. 2: Gerste

Bauernkultur an Rur und Neffel schon vor 2000 Jahren anzusetzen, ist berechtigt, weil die „Blütezeit“ der keltisch-germanischen Bauernkultus der Matronen bereits für die Zeit von 37 - 150 n. Chr. feststeht. Betrachten wir zuerst die auf den Matronensteinen von Gödersheim abgebildeten Kulturprodukte. So öffnet sich vor uns das Bild einer blühenden Landschaft an den Ufern der Rur und Neffel: Obstgärten und Gerstenfelder, durchsetzt mit Höfen, die Schweine- und Geflügelzucht betreiben, füllen die Täler, und an den Hängen gedeiht die Rebe. Auf diese Steinurkunden werden auch Schweineköpfe, Schweineschinken, Schweineopfer, große und kleine Vögel, die man wohl zu den Sumpfvögeln rechnen darf, dargestellt. Die Steinmetzen verstanden ihr Handwerk, denn die Rebenzweige, mit Blättern und Trauben verziert, die Krüge und großen Amphoren, in denen man den Traubensaft sammelte, sind wirklich mit Geschick aus den Steinen herausgehauen. Lebensnah und lebendig erscheint auf einem Relief das Bild eines Opferdieners, der ein Schwein an den Hinterbeinen gepackt heran schleppt. Schauen wir uns ein wenig die einzelnen Produkte auf unseren Abbildungen an.

Den ersten Platz nimmt da die Gerste ein. Wie naturgetreu hat hier der Steinmetz die sechszeilige Gerstenähre getroffen. Wußte er, daß die Gerste von allen Kulturpflanzen in grauer Vorzeit schon am weitesten nach Norden vorgedrungen war? Wußte er, daß das Geheimnis des Brotes die Gerste umwittert?


Abb. 3: geflochtener Korb - Abb. 4: Wasservogel

Caius - Candidius von der Rur und A. Priminius von der Neffel wußten es, als sie die Gerstenähre auf die Seitenwände ihrer Hausaltäre meißeln ließen. Die Bibel und die ältesten Heiligenlegenden des Abendlandes sprechen voll Ehrfurcht von dem in Asche gebackenen Gerstenbrot. Hafer, Roggen und Weizen kamen erst später zu uns. Die ältesten Roggenfunde in Europa gehören der Bronzezeit an. Die Gerste war „das Urgetreide“ der Germanen. Den Dreiklang: „Brei, Brot und Bier“ haben sie immer gerne gehört! Wie treu ist der Bauer zwischen Rur und Neffel seiner Scholle und der uralten Tradition geblieben. Noch heute ist das Gerstengebiet zwischen Nideggen und Bürvenich (Westostachse) und Thum-Hergarten-Commern (Nordsüdachse) für den Anbau von Braugerste berühmt und durch manche Goldmedaille ausgezeichnet worden. Vor 200 jahren hatte noch jede Gemeinde ihr „Bräues, Brennes und Backes“.


Abb. 5: Eine Traube als Zeichen des Weinbaus im Torbogen eines Hauses in Winden

Was sagen unsere Matronenaltäre über den Flachsbau in unserer Heimat vor 2000 Jahren? Der Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen, auch an der Rur und Neffel. Beweis dafür ist die Kleidung der 3 Matronen: Unterkleid und weitfaltiger Mantel, der auf der Brust von einer platten Fibel, d. h. Heftnadel, zusammengehalten wird, sind aus Leinen. Wahrscheinlich war auch die flauschartige Kopfbedeckung, die mit einem Turban oder einem Heiligenschein nichts zu tun hat, aus Linnen. Alles weist hin auf die grobleinige Gewandung de germanischen Bauersfrau vor 2000 Jahren, die „weißen“ Juffern von Gürzenich, die „ruschigen“ von Verken und die Siechesjuffern von Berg. In einer Grube bei Gödersheim an der Neffel fanden wir steinerne Spinnwirtel.


Abb. 6: Eine der letzten großen Weinlesen in den Weinbergen von Winden

Essen, Kleidung und Trinken sind Naturbedürfnisse der Menschen. Und vor allem das Trinken scheint unsere Vorfahren genau so gut beherrscht zu haben wie ihre Nachkommen; denn was sollten wir sonst aus den vielen Schüsseln, Amphoren und Füllhörnern mit Trauben, Äpfeln und Birnen schließen. Die Amphore steht „naturgekühlt“ im „Keller“. Sie kann Gerstenbier, Obstmost, Honigwein und sogar Essig enthalten haben, am ehesten aber Traubenwein. Die Weinrebe wurde am Rhein schon in vorrömischer Zeit angebaut. Die Römer haben aber viel zur Förderung des Weinbaus getan, vor allem der Kaiser Probus (um 280 oder 290 n. Chr.) Nach Angaben alter Schriften führte er den Weinbau an Rhein und Mosel ein; er erhob das Verbot, das Keltenland und Germanien mit Wein zu beliefern auf, und ließ Weinberge durch seine Soldaten anlegen. Votivsteine an der Neffel sind ein Beweis dafür, daß man spätestens im 1. und 2. Jahrhundert nach Chr. an Rur und Neffel Traubenwein, Gerstensaft und Bier kannte. Die älteren Generationen erinnern sich noch, wie man im mittleren Rurtal, besonders bei Winden Wein kelterte (Abb. 6). Auf den landwirtschaftlichen Ausstellungen in Düren in den Jahren 1890 bis 1900 konnte man den roten Windener „Rachenputzer“ noch regelmäßig sehen, aber nicht mehr probieren. Dem Herzog von Jülich wird seine „gute alte Stadt Düren“ vor ihrem Rathause eine bessere Marke Windener kredenzt haben, aber nicht den „Dreimännerwein“ - so genannt, weil 2 Männer den Trinker festhielten, weil er sonst umgefallen wäre. An alten Häusern in Winden sieht man noch als Wahrzeichen Weintrauben (Abb. 5) und über dem Eingangstor des Zehnthofes in Wollersheim eine Gerstenähre aus Trierer Sandstein (Abb. 7). Bei allen Dörfern des oberen Neffeltales erkennt man noch heute an den Resten der Erd- und Steinterrassen die alten Weinberge.

Historische Funde, die bei der Bade und im Quellgebiet der Neffel gemacht wurden, bestätigen uns den Ackerbau schon vor 3000 Jahren vor Chr. an Rur und Neffel. Besonders bei Embken wurden Steinbeile gefunden, weiter neffelabwärts häufen sich die Funde. In Eschweiler über Feld (= in agris Cäsars) und in Birkesdorf fand man Pflugschare aus Stein. Der Löß, an der Rur und Neffel Mergel genannt, zog die Bandkeramiker an. Heute noch sieht man dunkle Stellen in den Äckern. Es sind die Wohn- und Vorratsgruben der Bandkeramiker. Die Füllhörner unserer Matronen auf den Steindenkmälern sind mit Äpfeln und Birnen gefüllt. Schon Tacitus schreibt in seiner Germania: „Obstbäume gedeihen dort“.


Abb. 7: Die Gerstenähre des alten Zehnthofes in Wollersheim

Reichlich sind die Zeichen, die den Weinbau beweisen. Wie Winden (= Weindorf) im Rurtal, so war Embken im Neffeltal mit seinen Nachbardörfern Muldenau und Ginnik ein Hauptanbauort für Wein. Hier finden wir die größten Weinberganlagen des Neffellandes. Embken war Zentrale des Weinbaues. Es hatte sogar eine Gemeindekelter. Eine Inschrift aus dem Jahre 1693 scheint auf einen Weinkeller zu deuten. Wir wissen, daß Karl d. Gr. in seinem weiten Reiche wohl der größte Grundbesitzer und erfolgreichste Volkswirt war. Im Jahre 811 ließ er eine Aufzeichnung aller seiner Güter anfertigen. Diese Aufzeichnung ist leider verlorengegangen. Das ist ein schwerer Verlust für die Kenntnis der Kulturgeschichte unserer Heimat, besonders der oberen Rurlandschaft. Durch die Schenkungsurkunde, die sein Enkel, Kaiser Lothar I. im Jahre 852 erließ - man hat diese Urkunde mit Recht als das älteste Grundbuch unserer Heimat bezeichnet - haben wir aber Kenntnis über die wirtschaftliche Lage des Landes an Rur und Neffel und der unteren Maas. Düren, Arnoldsweiler und Vlatten werden genannt mit dem Kermeter = Bürgenwald und der Waldgrafschaft. Wir finden in diesen Aufzeichnungen auch Lendersdorf, Derichsweiler und Merzenich und, was für unsere Abhandlung das Wichtigste ist, Bestimmungen über Acker- und Weinbau, Viehzucht und häusliches Gewerbe. Am bekanntesten sind die Kapitularien Karls des Großen, d. h. die Bestimmungen über alle Gebiete der Bauernkultur. 1200 Jahre älter aber als diese schriftlichen Urkunden sind die Steinzeichen auf den Seitenwänden unserer Matronensteine. Sie sind und bleiben die ältesten Urkunden für Bauernkultur an Rur und Neffel.

Züchteten unsere Vorfahren auch Klein- und Großvieh? Abbildung 3 zeigt einen schön geflochtenen Korb und Abbildung 4 einen Wasservogel, sagen wir eine Gans. Das weist eindeutig auf Geflügelhaltung hin. Von Pfauen und anderen orientalischen Vögeln un ihren Symbolen zu sprechen, hat hier vor diesen Bildern keinen Sinn. Die Matronen sind eben in erster Linie und ihrem innersten Wesen nach segenspendende mütterliche Beschützerinnen für Familie, Haus, Hof, und Feld des keltisch-germanischen Bauern. Vielfach finden wir Vögel auf unseren Steinen abgebildet. Sind es Wasservögel oder Krähen? Die Krähe galt nämlich den Alten als das Symbol der ehelichen Eintracht und Treue. Vielleicht hat der „Krahenberg“, gleich beim Hardenberg (=Heidenberg) in unmittelbarer Nähe der Steindenkmäler von dem Symbol der Krähen seinen Namen. Hier fanden sich im Wasser des Wollersheimer Baches runde Säulen. Drei davon sind noch erhalten und stehen als Kreuze im Wollersheimer Felde. Von den Neffelquellen an bis hinter Geich-Füssenich war das Neffeltal vor tausenden von Jahren weithin sumpfig. Den Beweis dafür liefert uns Tacitus, der gelegentlich des Bataveraufstandes, von einer Brücke im Tale der Navalia spricht. Dies „Brücke“ fand man übrigens im Jahre 1930 als einen 120 m langen Knüppeldamm wieder.

Neben den Kleintieren, die in großer Vielfalt auf den Matronensteinen abgebildet sind, finden wir auch Symbole für Großtiere, wie Großvieh selbst. Auf den Steinen von Gödersheim sehen wir mehrmals Schweineköpfe und ein Relief zeigt, wie schon erwähnt, einen Opferdiener, der an den Hinterbeinen ein Schwein herbeizieht. Unsere Vorfahren im Neffeltal waren wohl passionierte Züchter. Damit sind Eichelmast und Schweinezucht im Neffeltal bewiesen.

Wir führten hier alle bisher beschriebenen Kulturarten: Getreide, Acker- und Weinbau, Zeichen und Zeugen für die als Jahrhunderte nachwirkende Tradition an. So wollen wir auch hier tun. Das Weißtum von Wollersheim aus dem 15. Jahrhundert sagt: „Item weist der Schöffe auch es liegt ein Acker an der Bade, der heißt Frohnendal; wenn meine Herrin (nämlich die Äbtissin von Sankt Maria im Kapitol in Köln) denselben mit hartem Korn besät, dann soll der Lehnsmann von Wollersheim sein Füllen und seine anderen Tiere zur Weide darauf treiben. Dazu soll der Lehnsmann von Embtken kein Recht haben.“ An einer anderen Stelle heißt es: „Es liegt ein Busch, genannt in den Bagden, den soll meine Herrin von Sankt Maria so groß ziehen, daß der Lehnsmann von Embken seine Schweine zur Eichelmast darauf treiben kann.“ Der Name „in den Bagden“ wurde verschieden gedeutet, einmal als „Wildlager“, ein anderes mal als „Wildpark“. Der Verfasser selbst legt ihr die Deutung „Gutswache“ bei und erklärt das Grubensystem im Badewald als Herd- und Viehgruben.

Nicht zu vergessen seien zum Schluß die vielen schön stilisierten Frucht- und Blütenstauden. Vielleicht sind es Gemüsepflanzen und küchen- und Heilkräuter. Neuere Funde aus der jüngeren Steinzeit bestätigen das Vorkommen von Wald-, Brom-, Heidel-, Preißel- und Holunderbeeren.


Abb. 8: Die 3 von Thum (weite Linnengewänder)

Von uralter Bauernkultur vor 2000 Jahren sprachen wir in unserer Abhandlung. Sie trat uns im Spiegel der Matronensteine klar entgegen; aber wir können nicht nur Bauernkult unserer keltisch-germanischen Vorfahren aus diesen Steinen heraus lesen. Nichts stand ja ihrem Herzen näher als die gütigen, mütterlichen segensspendenden Beschützerinnen ihrer Häuser, Höfe und Felder. Kein Wunder, daß sich ihr Kult bis ins erste christliche Jahrtausend erhalten hat. Das Land an Rur und Neffel ist das klassische Land der Matronenverehrung und es ist - wunderbar verklärt durch das Christentum - geblieben bis auf unsere Tage durch zwei Jahrtausende hindurch. Die „Immerwährende Maria“ des Christentums überstrahlte die „Drei Ewigen“ von Worms und die „Drei Marien“ des Metzer Steines. Wir brauchen nicht nach Worms und Metz zu gehen: Die drei Marien von Heimbach (s. Abbildung) gleich neben dem ergreifenden Bild der Mater dolorosa *), die „Drei von Thum“ (Abb. 8) und die Feldkreuze von „Wisser Krusch“ und Sinzenich mit den drei Frauengestalten gehören zu unserem Lande, in dessem uralten Kulturboden, von der Eifel herunter über Aldenhoven und Kevelaer bis nach Holland hinein (Unsere „lieve Vrouven von Hameland“), die Matronenheiligtümer der christlichen Kirche mit den ergreifenden Vesperbildern stehen. Bis zum Jahre 1914 zogen die Gielsdorfer (bei Bonn) und die Flerzheimer (am Vorgebirge) in Prozessionen zum „Swister“ Türmchen an der „Gabgai“. Der öfters ausgesprochener Gedanke, es liege in den drei Märtyrerinnen (Fides, Spes, Caritas) eine Erinnerung an die heidnischen Matronen vor, kann treffend sein. Gregor der Große und die Kirche haben so gedacht. Der damalige Papst kannte die geistige Größe der neu zu bekehrenden Völker und ordnete an, daß die Glaubensboten im allgemeinen auf die Mentalität der Heiden Rücksicht nehmen müßten. Nicht alles, was völkisches Brauchtum sei, dürfe zerstört werden. Man sollte versuchen, möglichst alle Gebräuche den christlichen Anschauungen anzugliedern. Vielleicht war diese Anordnung schon ein Grund mit, der zur Erhaltung der Matronensteine führte, und so Zeugnis gibt von der Kultur und dem Kult unserer Vorfahren. Diese stolzen Zeugen sollten ein Vermächtnis sein, nicht nur unseren Vorfahren in ihren Taten nachzueifern, sondern auch unsere bodenständige Jahrtausende zurückreichende Kultur zu erhalten und zu pflegen.

*) (Editionsvermerk) = Schmerzreiche Mutter











Quelle: Rheinischer Bauernkalender 1953
Sammlung Marliese Wintz, Kreuzau, Sammlung wingarden.de, H. Klein
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