Reiner Müller †
OPPIDUM ATUATUCORUM (Caes. Gall. II 29 ff.)
und die spätrömische Poststraße Bavai-Lüttich-Heerlen-Köln

Mit Tafel XII und einer Zeichnung im Text





Cäsar (Bellum Gall. II 4, 9, II 29, 1ff.) nennt im Jahre 57 v. Chr. die Atuatuker einen germanischen Volksstamm, der 19000 Krieger mobil gemacht hatte. Sie besaßen mehrere nicht namentlich genannte oppida castellaque. Ihre Hauptstadt war ein oppidum egregie natura munitum, quod cum ex omnibus in circuitu paribus altissimas rupes deiectusque haberet, una ex parte leniter acclivis aditus in latitudinem non amplius pedum ducentorum (59 Meter) relinquebatur; quem locum dulici altissimo muro munierant.

Dieses Oppidum Atuatucorum ist nicht identisch mit dem Castellum Atuatuca (BG VI 32, 3) im Lande des Nachbarvolkes Eburones, obwohl aus anderen Geschichtsquellen zu schließen ist, daß auch das Oppidum in den folgenden 3 Jahrhunderten die Namen Atouakuton (Ptolemaios), Aduaga Tungrorum (Itinerarium Antonini) und Atuaca (Peutingersche Tafel) getragen hat. - Daß beide Orte verschieden waren, erweist sich erstens aus BG V 38, wonach Ambiorix von Atuatuca Eburonum bis zu den Atuatukern (beim Oppidum) im Eilritt mindestens eine Nacht und einen Tag brauchte: neque noctem neque diem intermittit; zweitens aus der Geländebeschreibung BG VI 37-40, wo für den sehr schmalen Aditus des Oppidum keine Möglichkeit besteht; auf die vielen anderen Geländeunterschiede sei hier nicht eingegangen. Ein Schriftsteller vom Range Cäsars würde auch auf eine Gleichheit hingewiesen haben; gibt er doch BG II 29, 1 den unwichtigeren Hinweis: Atuatuci, de quibus supra diximus.

Daß Ortsnamen mehrfach vorkommen, ist ja nicht selten: Neustadt, Bergheim, Frankfurt usw. Wie es in Nordamerika 30 Orte gibt, die Bismarck heißen, so fand ich im alten Gallien 36 französische Dorfnamen, die auf Julius und Juliacum zurückgehen. Allein das deutschsprachige linksrheinische Land hat 4 Metternich (*Materniacum), 5 Sevenich (*Sabiniacum, französisch Savigny). Mein Kärtchen der römischen Poststraßen (Taf. XII) nördlich von Reims zeigt 3 Noviomagus. Am Rhein liegen 2 Wesel, von denen Ober-Wesel auf der Peutingerschen Tafel Vosauia heißt, beim Kosmographen von Ravenna (nach 500) Bosolvia. So dürfen wir mit einiger Berechtigung die Stadt Wesel am Niederrhein Vosalvia inferior nennen. - Warum soll es also nicht auch 2 Atuatuca gegeben haben? Die Bedeutung dieses vorrömischen, wenn nicht vorkeltischen Wortes ist unbekannt.

Dennoch glaube ich, daß der Name der Eburonenfestung einen Abschreibfehler enthält; denn Cäsar hätte den Wirrwarr voraussehen und vermeiden müssen, der ohne Erläuterung durch die Gleichheit der 2 Namen entstanden ist. Wenn, wie ich vermute, die Eburonen-Fliehburg *Nuatuca hieß, wird ein früher, geländeunkundiger Kopierer absichtlich (“hier irrt Cäsar“! das Wort in Atuatuca verschlimmbessert haben. Jedoch ist diese Frage hier ohne Bedeutung. - Ebenso, ob die früher übliche Schreibung Aduatuca oder die jetzige Atuatuca nach Feststellung der Lage beider Orte nochmals überprüft werden sollte, darauf gehe ich als Nichtphilologe nicht ein. Für meine Geländeforschungen ist es unwichtig.

Ich erwähne hier nur, daß ich Atuatuca Eburonum in dem heutigen Nideggen sehe, der stärksten Naturfestung zwischen Maas und Rhein, der Hauptfestung des Herzogtums Jülich. Die Burg war das Castellum, die Stadt das Legionenlager. Beweis: Die vielen topographischen Angaben passen nur zu Nideggen; zweitens passen sie auf keinen andern Ort. Ich habe darauf in der für Veröffentlichungen schwierigen Zeit von 1943 hingewiesen (Verlag Fischer, Jülich).

Wo lag nun Oppidum Atuatucorum? Cäsar kam dorthin, nachdem er am Flusse Sabis (Sambre) die Nervier besiegt hatte. Hätten seine Legionen die Maas überschritten, so würde er das gesagt haben. Der Vormarsch ging also nach Nordwesen, westlich der Maas. Er gibt keine Entfernungen oder Marschtage an. Die besiegten Nervier ließ er in ihrem Lande wohnen. Ein Vierteljahrtausend später erfahren wir aus der Peutingerschen Tafel, daß Bacacum (Bavai) eine wichtige Stadt, wohl die Hauptstadt dieses belgischen Stammes war.

Der Astronom Ptolemaios in Alexandria, in dessen Erdbeschreibung wir die Angaben über die Nordwestecke des Römerreiches mit KAHRSTEDT wohl auf Quellen augusteischer Zeit zurückführen dürfen, gibt für die Lage des Oppidum der Atuatuker (deren Volksname schon damals aus der Geschichte verschwunden war) eine Richtung an von Thérouanne (Pas de Calais) aus:

Die Längen- und Breitengrade bei Ptolemaios sind zu ungenau um die genaue Lage von „Atouakuton“ ermitteln zu können.

Den Fluß Tabula identifizierte ich 1926 (Geograph. Anzeiger) mit der Dijle, weil deren Name sehr wohl aus Tabula entstanden sein kann. Aus der heutigen Aussprache des A und U in sicher römischen Ortsnamen dieser Gegenden darf man schließen, daß schon die alte Aussprache täbülä gewesen sein mag. Sodann ist die Dijle bei Ptolemaios Stammesgrenze; später war sie die Diözesangrenze Lüttlich-Cambrai. Kein anderer als Stammesgrenze in Betracht kommender Gewässername Belgiens ist von Tabula ableitbar. Im Bataverlande kommt als wahrscheinlicher Gewässername die Poststation Tablea der Peutingerschen Tafel vor, die ich dem heutigen Dalem gleichsetze (Geogr. Anzeiger 1926). Auch die Deule bei Lille gehört dazu.

Wichtig ist, daß Ptolemaios statt des Volksnamens der Atuatuker die Toungroi nennt. Die Atuatuker sind seit ihrer Erwähnung bei Cäsar V 39, 3 verschwunden; aber der Ortsname blieb. Die Kimbern- und Teutonenreste waren nach der von ihnen vor der Schlacht bei Aquae Sextiae (102 v. Chr.) eroberten Festung benannt worden. Wann und wie die Tungrer diese Festung erobert und zu ihrer Hauptstadt (Polis) gemacht haben, ist nicht bekannt (Tacitus, Germania 2, 3). Man darf vielleicht an die gewaltige, aber nur spurenweise überlieferte Niederlage der Römer unter Lollius (17-16 v. Chr.) denken. 500 Jahre später schreibt Prokopios in seinem Gotenkrieg, daß Augustus, der erste der Kaiser, den Thoryngen in dieser Gegend feste Wohnsitze zugewiesen habe:

Prokopios war der gelehrteste Geschichtsforscher seines Zeitalters, dem sicherlich viele uns unbekannte Quellen zur Verfügung standen. Auch Gregor von Tours nennt in seiner Frankengeschichte die Tungrer
Thoringi,und ihr Land Thoringia. Deshalb meint RIESE (Das Rheinische Germanien, 1892): „Dieses Thoringia kann ebensowohl nach einem eingewanderten Teile des Thüringerstammes, wie durch Umbildung des alten Namens der Tungri seinen Namen erhalten haben“. Die erste Annahme würde besagen, daß die unter Augustus eingedrungenen Tungrer bei ihrer „Landnahme“ einer von ihnen gegründeten oder umgetauften Stadt den Namen Tungris (zuerst bei Plinius genannt, also vor 79 n. Chr.) gegeben hätten. Der Name haftet auch noch an anderen Orten: Tongres-Notre-Dame, Tongres-Saint-Martin, 3 Tongerloo, und Tongrinne. - Waren die Tugrer Thüringer, dann gehörten sie nicht zu den salischen Franken, die ihnen in den folgenden Jahrhunderten nachrückten und sie, die inzwischen romanisiert waren, aus einem Teil des ihnen von Augustus zugebilligten Landes bis zur heutigen Sprachgrenze verdrängten, auch aus der Stadt Tongern. Solche Überlegungen mögen helfen, die Verwirrung aufzuklären, die entstanden ist durch die Verbindung der Toungroi mit Atouakuton bei Ptolemaios und durch den Beinamen Tungrorum zum Aduaga des Itinerars. Das falsche Dogma, daß diese Namen die Stadt Tongern bedeuten sollten, ist Millionen Schülern von tausenden Historikern gelehrt worden.

Es gibt zwei unabhängige Mittel, um die genaue Lage des Oppidum zu bestimmen; beide von historischen Quellen ausgehend. Erstens müssen die Geländeangaben Cäsars zu den Höhenlinien der Meßtischblätter passen. Zweitens müssen die Leugenzahlen des Itinerars und der P-Tafel dazu in Einklang stehen. Meßtischblätter dieser Gegend standen den Altertumsfreunden erst seit 70 Jahren zur Verfügung, also z. B. nicht den von Napoleon III. beauftragten Atuatukaforschern; aber auch dann waren als Festungen benutzte Stellen nicht eingezeichnet. Dieses Suchmittel ist zu wenig ausgenützt worden, insbesondere für die Enträtselung des Itinerars und der P-Tafel. Konrad MILLER hat sich für sein großes Werk Itineraria Romana (Stuttgart 1916) im wesentlichen auf einen großen Handatlas verlassen, worin aber so kleine Orte, wie die von mir identifizierten Moyen = Meduantum und Avernas = Pernacum (Georg. Anzeiger 1926) nicht zu finden sind. Aber für MILLER war es auch nicht möglich, sich Höhenlinienkarten des ganzen Römerreiches zu beschaffen.

Die belgischen Karten sind in 2 Maßstäben erschienen: 1:40000 und 1:20000. Die Linien der ersteren sind Fünfmeter-Höhen, die der letzteren Einmeterhöhen. Sie lassen Geübten, z. B. Artilleristen, die Landschaft plastisch erscheinen. Die ältesten Auflagen sind historisch am besten, weil ihr Bild am wenigsten durch Eisenbahnen, Kanäle, militärische Anlagen, Bergwerke und dadurch entstandene Wegeveränderungen gestört ist. Wo Äcker zusammengelegt wurden, sind alte Wege unterdrückt worden. Meine Angaben beruhen auf Karten, die 1923 erhältlich waren; die belgischen erhielt ich vom Institut Cartographique in la Cambre bei Brüssel, die holländischen (ohne Höhenlinien) von der staatlichen Topographische Inrichting in Haag.

Man könnte nun einwenden, Cäsar habe falsche Geländeangaben gemacht; ja ohne dies Annahme wäre die heute noch übliche Gleichung Tongern - Atuatuca unsinnig. Aber welches Interesse könnte Cäsar gehabt haben, durch falsche Schilderungen von Gegenden, die damals überprüfbar waren, seinen Zeitgenossen seinen Kriegskameraden, seinen Feinden als unzuverlässig zu erscheinen? Man mag Cäsar vorwerfen, daß er „vergessen“ habe zu berichten, daß er vielleicht eine Million Gallier als Sklaven verkauft habe; daß er das goldreiche Land soweit ausgepreßt habe, bis es gerade noch ständige Tribute abliefern konnten; daß er manche römische Hinterlist und Treulosigkeit den mundtoten Überfallenen angedichtet habe, und dies alles den römischen Senat und dem jüngeren Cato verschwiegen habe. Aber absichtlich falsche Geländeschilderungen sind nicht denkbar.

Wenn der Oppidum-Berg ringsum (in circuitus) sehr hohe Steilhänge hatte (und natürlich auch heute noch hat, da solche Berge auch in 2000 Jahren nicht abgetragen werden), aber trotz dieser Steilheit einen leicht ansteigenden Zugang hatte, konnte dieser aditus nur von einem benachbarten nahezu gleich hohen Gelände erfolgen. Da sich aus Cäsars Bericht ergibt, daß der Berg schon vor der Belagerung durch die Römer das größte und am besten gesicherte Oppidum der Atuatuker trug, waren schon Unterkünfte für Menschen vorhanden. Einschließlich der Flüchtlinge mußte Notquartier für 57000 Menschen möglich sein; denn 53000 wurden als Sklaven verkauft (II 33,7), und 4000 waren vorher bei einem Ausfall gefallen. Einen solchen Ort habe ich (Georg. Anzeiger 1926) beim Durchsuchen der Höhenlinien der in Belgien und Deutschland in Betracht zu ziehenden Gegenden nur an einer einzigen Stelle gefunden. In Holland wurde er (wegen Nichtbekanntgabe von Höhenlinien) durch Geländebesichtigung ausgeschlossen. Der Ort ist gekennzeichnet durch den genau zu Cäsars Schilderung passenden Verlauf der Höhenlinie für 170 Meter Meereshöhe am Maastalrande auf der Karte I:40000 (Nr. 42, Liège). Die Linie umschließt die seit 1649 erbaute Zitadelle von Lüttich. Diese Naturfestung ist so leicht gegen Erstürmung zu verteidigen, daß sie seit ältesten Zeiten als Zuflucht für die Umgegend gedient haben muß und deshalb auch von den Kimbern und Teutonen auserwählt wurde. Sie war fast nur durch Aushungern zu überwältigen, wozu Cäsar einen Wall herum anlegen ließt. Sein Mauerbrecher auf dem von seinen Soldaten dafür aufgeschütteten schmalen Zugang ist nicht in Aktion getreten, da er die Belagerten durch Versprechungen zur Waffenabgabe verleitet hatte.

Wir wissen nicht, wie diese Naturfestung vor dem Jahre 1649 oder vor 2000 Jahren künstlich bewehrt war; aber es ist selbstverständlich, daß in diesem Oppidum auch unterirdische Vorratsräume, Keller und Wasserversorgung vorhanden waren. Wir wissen nicht, wie die Ränder des Oppidumgeländes ausgemauert waren; ob auch weniger steile Randteile, z. B. im Osten, Unterkunft boten. Ich berechne nach dem Meßtischblatt 1:20000 (Planchette 2 zu Karte 42), daß den Verteidigern und Flüchtlingen rund 350000 Quadratmeter zur Verfügung standen, umgerechnet unterirdische Gelasse. Auf jeden der 57000 Menschen kam etwa mehr als 6 m². Heute wäre mancher Flüchtling froh, wenn er 6 m² für sich allein hätte; in Unterständen des Schützengrabenkrieges hatten wir oft weniger, monatelang.

Meine Lagerskizze zeigt den schmalen aditus non amplius pedum ducentorum. Dort hatten die Atuatuker eine sehr hohe Doppelmauer mit Graben. Der Aditus-Weg verlief nördlich, auf etwa breiterem Höhengrat mit beidseitigen steilen Abhängen, noch 1 Kilometer weit ansteigend (ascensus II 33,2) von 170 auf 200 m Meereshöhe. Auf diesem höchsten Punkt des Geländes, am Legionenwall, ist wohl Cäsars Feldherrnhügel anzunehmen; in Lüttichs Faubourg St. Walburge.

Dort, am Rande der nach Tongern hin sich senkenden Ebene, trifft die schmale Oppidum-Zufahrt quer auf eine vermutlich vorrömische Talrandstraße. Diese hat große Verlaufsähnlichkeit mit dem von Prähistorikern viel erörterten „Mauspfad“ des Niederrhein-Talrandes.

Dieser Maas-Talrandweg kommt, meist nicht durch Dörfer gehend, von Visé an der Maas über Flacourt, Croix-St. Roch, Vottem, nach Coq-Fontane, Fort des Hollogne, La Halette, Hozémont, Warfée, St. Georges, Yernawe, Tilleul-St. Joseph, Wanzol. Weiter westlich habe ich ihm nicht nachgespürt. In umgekehrter Richtung kann er für Cäsars Vormarsch zum Oppidum als Leitweg gedient haben. - Solche Talrandwege bezeichne ich nach dem wichtigsten vorgeschichtlichen, internationalen Transportgut als Salzstraßen, viae salariae. An den Stammesgrenzen mußten die Salzhändler wohl Zoll bezahlen. Von dem althochdeutschen Wort muta für dieses salarium werden werden ja die Namen Mauspfad und Mäuseturm (bei Bingen) abgeleitet.

Die Belagerungsmaschinen Cäsars konnten nur auf dem schmalen Aditus an die Sperrmauer gebracht werden. Der Aushungerungswall der Legionen konnte nicht dicht am Fuße der Festungsfelsen angelegt werden, nicht in der Tiefe der beidseitigen Schluchten. Er mußte auf den etwas entfernten Höhen verlaufen. Meine Skizze zeigt, wie er wohl am besten verlaufen wäre. Dabei ergibt sich eine Gesamtlänge des Walles von ungefähr 5 röm. Meilen (7 km), nicht von 15 Meilen, wie Cäsar schreibt (22,2 km). Ich vermute einen Abschreibfehler: XV statt V. Ein 15 Meilen langer Wall wäre zwar möglich, aber zwecklos gewesen und schlechter überwachbar. Der Wall mußte auch an der Maas-Seite vorhanden sein, um Herab- und Hinaufklettern und Verproviantierung mit Seilen zu verhindern. Es sei daran erinnert, daß 1934 König Albert von Belgien als Bergsteiger an Maasrandfelsen bei Namur den Tod fand.

Die geschilderte Topographie des Oppidum und seiner Umgebung muß passen zu den davon unabhängigen Angaben der Lage der spätrömischen Poststationen Atuaca und Aduaga. Die Peutingersche Tafel in ihrer letzten und einzig erhaltenen, angeblich von 1265 von einem Kolmarer Mönch hergestellten Abschrift zeigt Atuaca auf dem Westufer der Maas; als wichtigen Ort mit 2 Türmen, genau wie Agrippina. Die P-Tafel gibt von Atuaca aus die Lage der Postwege an nach Hauptstationen, deren Lage allgemein anerkannt ist: Agripina (Köln), Bacucum (Bavai) und Noviomagus (Nijmegen). Die Ortsnamenliste im Itinerarium Antonini hat nur die 2 Postwege nach Köln und Bavai. Es ist ein Glücksfall für die Erklärung dieser schwierigen „Kursbücher“, wenn man durch Vergleich Abschreibfehler erkennen kann. So hier bei der Strecke Köln-Bavai.

Für die Strecke Atuaca - Noviomagus haben wir diese Möglichkeit nicht. Ihre Übernachtungsorte sind: Atuaca XVI Feresne XIIII Catualium XII Blariaco XXII Ceuclum III Noviomagi. Die Straße läuft dem Westufer der Maas entlang; in den Karten noch als Heer-Straat bezeichnet.

Daß Ceuclum=Kuik ist und Blariacum=Blerick (gegenüber Venlo), ergibt sich nicht nur zwanglos aus der guten Übereinstimmung der antiken und jetzigen Ortsnamen, sondern auch der Abstand stimmt: 22 Leugen (49 km). Die Entfernung von Ceuclum bis Noviomagus ist mit III Leugen angegeben. In Wirklichkeit sind es VI. Ein Abschreibfehler, III statt VI, wäre nicht verwunderlich; jedoch kann nach meiner Erfahrung bei anderen Stellen der Kursbücher III richtig sein, wenn die 3 Leugen berechnet sind von der Abzweigstelle dieser Poststraße von der Poststraße Nijmegen - Köln. - Wenn man von Blariacum in Richtung Atuaca 12 Leugen auf dieser Maas-Straße abmißt, findet man Heel, dessen Lage und Namen zu Catualium paßt. 14 Leugen weiter liegt Gimbry, dessen Name nicht ohne weiteres zu Feresne paßt; aber auch kein anderer Ortsname dieser Gegend paßt dazu (Abschreibfehler?). 16 Leugen weiter an der Maas entlang liegt Lüttich, dessen Name scheinbar nicht zu Atuaca paßt. Da aber einer der ältesten Namen für Lüttich im Jahre 853 Leudica ist, vermute ich darin Le Udica analog dem Namen für Lille (l'isle). Le Aduaca konnte wohl im Volksmund zu Le Udica werden. Das deutsche Wort Lüttich kommt der alten Form am nächsten. Die wallonische Form Liège hat in der Endung Ähnlichkeit mit Nideggen (Atuatuca Eburonum).

Für den genaueren Verlauf dieser Nordstrecke nehme ich Blariacum=Blerick als Ausgangspunkt, bei dem die Identität des heutigen mit dem antiken Namen wohl nur von solchen Forschern bezweifelt wird, die, hoffnungslos, Ausgrabungsbeweise für solche Gleichsetzungen verlangen. Da aber Bodenfunde aus dem 3. und 4. Jahrhundert noch keinen Namen beweisen, und solche Funde in diesen Gegenden auch anderswo nicht seltener sind, ist mir die antike –iacum-Endung der auf –k oder –ich auslautenden Ortsnamen wertvoller.

Die Leugenzahlen von Blerick bis Lüttich, am Maasufer entlang, 12+14+16, stimmen (holländische Karten 1 : 50000, Nr. 52, 58, 60; belgische 1 : 40000, Nr. 18, 26, 34, 42). Die Poststraße ist an einigen Stellen durch Eisenbahn- und Kanalbauten undeutlich geworden. Verlauf: Blerick, Berckt, Erp, Oijen, Kessel, Waaij, Lijkerhof, Nunhem, Ostrand von Haelen, Westrand Horn, Westrand Beegden, Heel (Catualium, Kastell mit Wassergraben, heute Idiotenheim; wäre für eine Poststation geeignet gewesen), Panheel, Neer-Itter, Ophoven, Westrand Vucht, Grimby (Feresne), Bovenwezeth, Hocht, Smeermaas, Maastricht, St. Pieter, Lanaye, Lixhe, Hermalle, Herstal, Lüttich. - Der Name Trajectum ad Mosam, oft genannt, z. B. im Baedecker und im Großen Brockhaus, ist also weder in den Kursbüchern noch überhaupt in der Antike genannt. Er kommt erst im 6. Jahrhundert vor. Jedoch ist ziemlich sicher der Bericht Gregors von Tours über den heiligen Servatius (bei Gregor steht Aravatius) auf Maastricht zu beziehen: Hic ad Treijectinensem urbem accedens recessit a corpore ... est sepultus.

Zwischen Bavai und Köln nennt das Itinerar folgende Orte und Leugen: Bagracum XII Vodgoriacum X Geminiacum XXII Perniciacum XIII Aduaga Tungrorum XVI Coriovallum XVIII Juliacum XVIII Colonia. - Andere Codices des Itinerars schreiben Aduaga Tongrorum, Geminincum statt Geminiacum, Corioualum statt Coriovallum, und die Leugenzahl VI statt XVI (CUNTZ: Itineraria Romana 1929).

Die Peutingersche Tafel nennt am selben Postweg: Bacaco Nervio XII Vogoborgiacum XVI Geminico vico XLIII Pernaco XVI Atuaca XVI Cortovallio XII Juliaco XVIII Agripina.

Während die Ortsnamen der beiden Verzeichnisse genügend zueinander passen, um die Identität der Stationen sicherzustellen, zeigen vier Entfernungen Unterschiede. Das muß auf Abschreibefehlern beruhen. Es kann ja nur eine richtig sein; daß nicht beide falsch waren, hat sich mir bei keiner Zahl ergeben. Wie ich 1933 in einer Festschrift des Münstereifeler Gymnasiums dargelegt habe, ist die für die nordbelgische Strecke unmöglich große Zahl XLIII der P.-Tafel zwischen Geminico-vico und Pernaco verschrieben von der daneben gezeichneten südbelgischen Poststraße zwischen Meduanto=Moyen und Lindesina=Valender.

Als ich nach dem ersten Weltkrieg meine Geländeforschungen begann, waren nur 3 Orte dieser Postroute allgemein anerkannt: Köln=Colonia=Agrippina, Jülich=Juliacum und Bavai=Bacacum=Bagacum. Da Juliacum zu meiner engsten Heimat gehört, war die Unkenntnis über den westlichen Verlauf ein wesentlicher Grund, mich mit dem Itinerar und der P-Tafel zu befassen, und diesen Poststraßen mit genauesten Karten und in tausenden Kilometern Auto-Ferienfahrten nachzuspüren. Die Fahrten waren weniger ergiebig als die Höhenlinienkarten. Erste Ergebnisse beschrieb ich 1926 im Geographischen Anzeiger. Ein damaliger Irrtum über den Verlauf der Poststraße von Coriovallum nach Atuaca war verschuldet durch die einstimmige Behauptung der Schriftgelehrten, daß sie bei Maastricht die Maas überquert habe. Visé war nirgendwo genannt. Mein Endergebnis ist: Bavai 12 Obourg 16 Vieux-Genappe 22 Avernas 16 Lüttich (über Visé) Heerlen 12 Jülich 18 Köln.

Mein Kärtchen „Tabula Germaniae Secundae“ zeigt den Verlauf (Taf. XII). Ich habe es 1946, in jener Notzeit als Privatdruck auf Altpapier, drucken lassen, nachdem mir viele Unterlagen verbrannt waren. Es enthält manches von meinen Forschungen, was nicht zum Thema Oppidum Atuatucorum gehört. Es zeigt, daß die meisten antiken Namen irgendwie zu den heutigen passen; ferner, daß zur Identifizierung eines Orte auch die oft ignorierten Leugenzahlen in der ganzen Namenkette jeder Poststrecke gehören. Wenn z. B. CUNTZ in seiner textkritisch sorgfältigen Ausgabe des Itinerars für Vodgoriacum nach belgischen Quellen den Ort Waudrez ohne Fragezeichen setzt, so mag der Klang dieses Wortes eine gewisse Ähnlichkeit mit Vodgoriacum haben, aber es ist nicht einmal der Versuch gemacht, den Namen in die Kette der Leugenzahlen einzugliedern. Die suggestive, weithin schnurgerade vorbeilaufende römische „Brünhildenstraße“ hat natürlich mitgewirkt.

Die Orte Avernas, Genappe und Obourg sind von mir 1926 mit dieser nordbelgischen Strecke in Beziehung gebracht worden. Sie waren übersehen worden, weil das Dogma von der „bekannten“ Römerstraße Köln-Maastricht-Tongern-Bavai nicht an eine solche spätrömische Umleitung des Postverkehrs denken ließ.

Die Gleichung Avernas=Pernacum=Perniciacum im Verein mit den 16 Leugen nach Atuaca und den 22 nach Geminiacum ist ausreichend gerechtfertigt. Avernas liegt dicht an der alten Sprachgrenze, deren Beziehungen zur „bekannten“ Römerstraße und zu einem hypothetischen „Limes Belgicus“ erörtert worden sind von Leuten, die nicht gewußt haben, wo die Poststationen des 3. und 4. Jahrhunderts lagern. Avernas ist ein Doppelort; dicht dabei liegt Trognée, der einzige Ortsname, dessen Aussprache mit dem Tronje Hagens im Nibelungenlied übereinstimmt.

Von Avernas bis Genappe nehme ich als Postwege an: Nordrand von Hallet, durch Orp-le-Petit, Nordrand von Jauche und Pierroy, Ferme Haute-Masquinière, Chapelle N.-Dame de Hal, Ferme Agnetée, südlich der Ferme d'Odorange, Lerinne, Walhain-St. Paul, Chastre, Villeroux, nördlich Haute-Heuval, Tangissart, Genappe. - Die Post kann aber ebensogut nördlich von Jauche abgebogen sein nach Enines, Bomal, Thorembais, St. Marie, La Tombe (tumulus), Ferme Bourgaux, Nil-Pierreux, Bierbais, Suzeril, Noirhat nördlich Bousval, Genappe. - Solche Postwege hatten beim Unpassierbarwerden Umleitungsmöglichkeiten, wie ich sie auch an der Poststraße Köln-Reims gefunden habe. Die Postwege vermeiden meistens große Dörfer und behalten unabhängig von Ortschaften ihre Richtung bei, wie die erwähnten „Salzstraßen“.

Genappe, am Oberlauf der Dijle, hat als Vorort Vieux-Genappe. Der Zusatz vicus in der P-Tafel ist wohl später nicht mehr verstanden und zu vieux verdreht worden. Über die Bedeutung von vicus später!

Als Postweg von Genappe nach Obourg bietet sich auf den Karten 39, 46 und 45 (1:40000): Houtain-le-Val, Luxensart, Feluy, Marchez-lez-Écausines, Mignault, Nordrand von Roeulx, Südrand von Gottingnies, Long-Pourrat, Obourg.

Obourg und die südlich davon gelegene Gegend (Spiennes) sind durch vor- und frühgeschichtliche Funde bekannt, was aber für die Poststraßenforschung belanglos ist. O-bourg ist der einzige Ortsname dieser Gegend mit genügendem Anklang an Vogo-oriacum=Vodgoriacum. Der zu O verstümmelte Anfang des Namens erinnert an O-magen bei Kaster an der Erft und an U-trecht; Knacknüsse für Etymologen! - Für den Weg von Obourg bis Bavai geben beide Quellen 12 Leugen an: Er verlief am Ostrand von Mons und Hyon dem Trouillon-Bach entlang über Mesvin, Genly schnurgerade bis Bavai.

Die Spatenforschung ist nicht fähig gewesen, die antiken Namen von Obourg, Genappe und Avernas sowie deren Verbindungswege zu ergründen. Die Radspuren der spätrömischen Staatspost lassen sich nicht mehr feststellen. Es ist sehr selten, daß solche Ortsnamen „ausgegraben“ werden; z. B. Namen auf Meilensteinen mit Entfernungsangabe. Legionsstempel auf Ziegeln sichern Ortsnamen nur indirekt, wenn schon geschichtlich Ort und Zeit des Legionslagers feststehen. Meilensteine sind an der Poststraße Köln - Bavai nicht bekannt. Dagegen sind das Itinerar und die P-Tafel wertvollste Grundlagen für dieses frühgeschichtliche Problem Belgiens. Aber man muß sie und ihre Abschreibfehler enträtseln können. Kein römischer Ortsname Belgiens wäre ohne sie bekannt, außer vielleicht Tungris=Tongern, dessen übliche Gleichsetzung Atuatuca=Tongern geländemäßig unmöglich ist. Wer meint, ein antiker Ortsname müsse durch Ausgrabungen gesichert sei, der möge Beispiele aufzählen, wo dies ohne historische Stützen gelungen ist. Oder gilt ex silentio: Quod non est ex fundo, non est in mundo? Ich verweise auf die Castra sine nomine bei Haltern in Westfalen, in Valkenburg bei Leiden, auf dem Magdalensberg in Kärnten, die nicht einmal überbaut waren. Dichte Überbauung, wie in Lüttich, Nideggen, Leiden, Ahsen an der Lippe, erschwert natürlich Ausgrabungen. So wurde z. B. in Köln trotz Zertrümmerung das Zweilegionenlager nicht gefunden, obwohl sein West-Tor dort anzunehmen ist, wo die Visierlinien der schnurgeraden Römerstraßen Jülich - Köln und Zülpich - Köln zusammentreffen: an der Einmündung der Zeppelinstraße in den Neumarkt (s. dazu J. KLINKENBERG, Bonner Jahrbücher 140/141, 1936, 259ff.).

Aber, so hat man gesagt, die Peutingersche Tafel sei ein unbrauchbares Zerrbild. JULLIAN, der Historiker Galliens, schrieb: C'est un des documents les plus stupidement déformés et du plus arbitrairement incomplets que je connaise. Konrad MILLER, der ihr einen großen Teil seiner langen Lebensarbeit gewidmet hat, meinte, daß die Tafel „die ganze Armseligkeit der römischen Karthographie zum Ausdruck bringt und durch ihre Verzerrung jung und alt ergötzt“. - Diese Urteile sind zu schroff; sie entsprangen dem Ärger des Nichtverstehens. Die Tafel ist leicht zu bespötteln, aber schwierig zu enträtseln, wie gerade die hier behandelte Grande voie du Nord de la Gaule beweist. Nicht das Itinerar und die P-Tafel sind falsch (abgesehen von später verschriebenen Namen und Zahlen), sondern die Forscher haben die Strecke Köln - Bavai unter der faszinierenden Wirkung der „Chaussée Brunehaut“ von Bavai nach Tongern und wegen Unkenntnis der Lage von Aduaga Tungrorum nicht verstanden, obwohl der Name „Chaussée Brunehaut“ für mehrere Römerstraßen wahrscheinlich macht, daß diese Viae in der spätrömischen Zeit verwahrlost waren und erst auf Betreiben des Überweibs Brünhilde († 613), der Witwe Sigiberts von Austrasien, instandgesetzt wurden.

Abschreibfehler werden oft durch schadhafte Vorlagen verursacht sein. Verschleiß einer Schrift war Veranlassung zum Abschreiben. Eigene Korrekturen waren den Abschreibern kaum möglich, da niemand solche Kenntnisse des Weltreiches haben konnte. Die Deformierung des Kartenbildes ist keineswegs stupide. Die P-Tafel war keine Spielerei. Zweifellos sollte sie als Rolle auf Reisen mitgenommen werden. Sie mußte, jedenfalls auf höheren Befehl, auf dem üblichen Blattformat von 1 Fuß Höhe aneinandergeklebt werden und wurde so 6 Meter lang. Eine nichtfarbige verkleinerte Kopie von MILLER ist 1916 bei Strecker & Schröder in Stuttgart erschienen. Der Auftrag, das Weltreich so nordsüdlich zusammenzuquetschen, verlangte eine stupende Leistung. Man stelle sich vor, ein Kartograph würde beauftragt, die Sowjet-Union auf einem solchen Papierstreifen darzustellen! Jener Zweckauftrag ist also kein Maßstab für eine allgemeine Armseligkeit der römischen Kartographie. Die P-Tafel und das Itinerar haben uns 3000 Namen überliefert, deren Mehrzahl uns sonst nicht bekannt wäre.

Eine Ursache der Mißachtung war auch der Aberglaube, die Orte müßten Kastelle oder Forts gewesen sein. Natürlich verbanden die Viae auch solche. Jedoch mußten alle Übernachtungsorte außer Quartier Pferdeweiden und Pferdewechsel bieten. Sie liegen deshalb fast immer an wiesenumsäumten Gewässern. Manche sind nach Wasserläufen benannt: Ausava (Oos), Axuenna (Aisne), Basilia (Vesle), Mosa (Maas). Ging der Postverkehr über eine Heerstraße auf windiger, wasserarmer Wasserscheide, wie zwischen Zülpich und Trier, so mußte er zum Übernachten seitwärts abbiegen, zu einem Vicus bei einem Taldorf. So sind auch Noviomagus=Neuville-en-Tourn-à-Fuy östlich von Reims, und Muenna=Menneville nördlich von Reims solche Seitenorte.

Kehren wir zurück zum Oppidum Atuatucorum, welches nach Cäsars Geländeangaben nur in Lüttich gelegen haben kann. Unabhängig passen von Lüttich aus die Leugenzahlen nach 3 Richtungen hin zu den spätrömischen Poststationen Pernacum=Perniciacum, Blariacum und Coriovallum. Die Zahlen haben keine Bruchteile, so daß jedesmal mehr als 1 km Spielraum bleibt.

Die Weststraße von Lüttich nach Avernas hat in der P-Tafel XVI Leugen, im Itinerar XIII, ein leicht verständlicher Abschreibfehler. In Lüttich war die Poststation vermutlich am Maasufer. Die Postwagen fuhren wahrscheinlich (Karten 42 und 41, 1:40000) über Glain, Südrand Bierset, Vorous-Goreux, Roloux, Le Soleul, Südrand Geneffe, Limont, Nordrand Faimes, Grand-Axhe (Tombres romaines), Boëlhe, Trognée oder Cras-Avernas, Bertrée nach Avernas-le-Baudouin.

Die Nordstraße am Westufer der Maas ist vorstehend angegeben.

Die Oststraße hat im Itinerar und in der P-Tafel 16 Leugen bis Coriovallum=Cortovallium. Ortsname und Entfernung passen bestens zu Heerlen in holländisch Limburg. Die 16 Leugen aber nur dann, wenn die Post nicht nach der bisherigen Legende über Maastricht nach Lüttich fuhr, sondern über Visé, wo im frühen Mittelalter eine Maasbrücke bezeugt ist. Ich habe deshalb 1933 den Weg über Visé in meine Karte (Münstereifeler Festschrift) eingezeichnet. Die Postwagen können also bei Visé über die Maas gefahren sein, oder von Visé nach Lüttich am östlichen Maasufer entlang. Vom hochgelegenen Oppidum Atuatucorum konnte man den schon beschriebenen Talrandweg bis Visé benutzen. Von Visé nach Heerlen ist die fast gerade Richtung anzunehmen: Berneau, Fouron, Terlinden, Gulpen, Mingelsberg, Heerlen.

Daß Coriovallum Heerlen ist, was wegen der Irrlehre Aduatuca=Tongern immer noch bezweifelt wird, weil es nicht in der geraden Linie Jülich - Maastricht liegt, ergibt sich auch noch aus der Entfernung 7 Leugen von Tüdern ( des Ptolemaios) bis Heerlen auf der Itinerar-Strecke Colonia Traiana (Xanten) - Sablonibus(Sevelen) - Mederiacum(Melick) - Teudurum(Tüddern) - Coriovallum.

Lautlich läßt sich Heerlen gut auf Coriovallum zurückführen. Ausnahmsweise sei auf die Etymologie eingegangen. 1926 hatte ich angenommen, daß cori ,Heer' bedeute, passend zu althochdeutschem heri, keltisch koryo oder cori. Aber diese Deutung ist zu nichtssagend; denn „Umwallungen für Militär“ sind alle Castra und Castella; und die neuesten Bodenforschungen haben dort noch kein Truppenlager bestätigt. Aber aus den schönen Bodenfunden ergibt sich (VAN HOMMERICH, Oudheidkundige Verzamlingen van Heerlen, 1947; VAN GIFFEN UND GLASBERGEN 1948 in L'Antiquité Classique Bd. 17), daß dort große römische Töpfereien waren, ermöglicht durch Tonlager. Da nun Vitruvius schreibt, daß man Tonröhren aus fettigem Ton mache, tubuli crasso corio, nehme ich an, daß von diesem Töpferton oder Klai die erste Silbe von Coriovallum stammt. Vielleicht gab es dort auch eine Umwallung aus „Kunrader Mergel“. - Eine holländische Redensart lautet: „in de klei zitten“, wofür wir sagen „in der Patsche sitzen“; aber die Heerlener haben unter ihrem historischen Klai sehr einträgliche Kohlenlager.

Von Heerlen fuhr die römische Staatspost über Nieuwenhagen und Rimburg nach Jülich (Juliacum) und Zieverich (Tiberiacum) und nach Köln. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf meinen Aufsatz im Heimatkalender des Kreises Jülich für 1952 „Römer und römische Poststraßen im Jülicher Land und in Belgien“, Verlag der Oberkreisdirektion Jülich. Auf den Meßtischblättern 1:25000 ist der wohl auf Agrippa zurückzuführende Verlauf dieser Via weithin bis nahe an Rimburg erkennbar, westlich von Jülich als Gemarkungsgrenze des Dorfes Freialdenhoven. Aber im 3. Jahrhundert ist die Post mehrfach von dieser wie mit dem Linieal gezogenen Linie abgewichen. Westlich von Jülich machte sie einen Bogen zur Aachener Straße. Nördlich von Thorr hatte sie einen besseren Erft-Übergang bei Zieverich. Hier bei Bergheim und Zieverich ging auch der älteste bekannte mittelalterliche Handelsweg nach den südlichen Niederlanden über die Erft; die recta strata (KUSKE und Mitarbeiter in „Zwischen Rhein und Maas“, Verlag B. Pick, Köln 1942).

In dem völlig zerbombten Jülich wurde 1951 eine Jupitersäule ausgegraben. Die ergänzte Inschrift lautet: I.O.M. VICANI IULIACENSES (Bonner Jahrbücher 151, 1951, 307). Unterschrift: „Vorderseite des Sockels der von der vicani Iuliacenses geweihten Juppitersäule aus Jülich“. Wir hätten also hier den sehr seltenen Fall, daß ein Ortsname ausgegraben worden wäre. Leider stehen aber nur die Buchstaben ] M [...] NI [...] ENSES auf dem erhaltenen Bruchstück; der Rest ist ergänzt worden, weil der Stein in Juliacum gefunden wurde. Juliacum war aber ein Kastell, das im Jahre 881 von den Normannen zerstört worden ist. Von seiner Umwallung sind nur unklare Reste gefunden worden. Nach meiner Vermutung lag ein rechteckiges Kastell in dem rechten Winkel, den der Ellbach in Jülich macht, so daß der Bach mindestens den Süd- und Westgraben des Kastells durchfloß. Die Insassen des Kastells waren aber keine Vicus-Bewohner. Wir dürfen mit PLANITZ annehmen (Forschungen und Fortschritte 1943; Zeitschr. der Savigny-Stiftung Rom. Abt. Bd. 63, 1943), daß in der Nähe von Städten und Festungen vicus ,Kaufmannssiedlung', vicus mercatorum, bedeutete. Wir haben im benachbarten Linnich (*Leniacum) eine von der höher gelegenen Stadt zur Rur führende Straße „Altwik“; in London von Londinium das zur Themse führende Aldwych. Südlich (oberhalb) des Kastells Tolbiacum gibt das Itinerar einen Vicus superior unklarer Bedeutung an. Ein Vorort von Maastricht heißt Wijk. Es ist aber keineswegs sicher, daß die Vicani der Jupitersäule Iuliacenses hießen. Im Weichbild von Jülich lagen führer nördlich Petternich, westlich Kiringen (KUHL, Geschichte der Stadt Jülich). Also ist der Name Juliacum, der historisch in seiner Lage durch die Leugenzahlen des Itinerars und der P-Tafel gesichert ist, auch nicht ausgegraben worden. Auch frühere Bodenfunde haben ihn nichts ans Tageslicht gebracht.

Zum Schluß noch Tongern. In belgischen Schulbüchern gilt Tongern als Aduatuca. In PUTZGERS Historischem Schulatlas steht es ohne Fragezeichen. Viele weitverbreitete Werke verkünden dieses Dogma: der PAULY-WISSOWA s. v. Tungri, der Große BROCKHAUS und Jacques BREUER 1945 in „La Belgique Romaine“. Dagegen erklärt Victor TOURNEUR 1944 in „Les Belges avant César: „On en ignore la situation exacte, bien qu'on ait écrit toute une bibliothèque sur cette question: aber in seiner Karte bezeichnete er Tongern ohne Fragezeichen als Aduatuca, und läßt die Eburonen dort wohnen. Die Höhenlinien bei Tongern und in der Umgebung (Karten 34, 33 und 42) beweisen aber, daß dort weder die altissimae rupes des Oppidum Atuatucorum gelegen haben noch die magna convallis bei Atuatuca Eburonum und die vielen anderen Geländepunkte nach Cäsar gelegen haben können.

Dem Eburonenkönig Ambiorix hat man in Tongern ein Denkmal errichtet, obwohl er mit Tongern nicht mehr zu tun hatte als der Nibelungen-Siegfried mit dem heiligen Viktor „ze Santen“, und Theoderich und Attila in der Thidrek-Sage mit Soest in Westfalen. Die „ganze Bibliothek“ über Atuatuca hier anzuführen wäre nicht nur unmöglich, sondern auch überflüssig, seit fast 400 Jahren bemüht man sich darum. Die Spatenforschung hat nicht nur versagt; sie hat auch irregeführt, weil sie nur wenige Römerstraßen sichern konnte, während die meisten Ortsnamen römischer Herkunft ohne Straßenverbindung gelassen wurden. Es gibt ja auch, wie GRENIER 1931 schrieb, kein sicheres Unterscheidungsmerkmal für Römerstraßen erster, zweiter und dritter Klasse; weder die Breite noch die Pflasterung sei beweisend. Die Via Appia, „die Königin der Straßen“, war höchstens 4,30 m breit, und man lobte besonders, daß sie breit genug war für zwei sich begegnende Wagen. Die meisten Römerstraßen waren nicht gepflastert.

Noch 1948 erschien ein Buch von BAILLIEN, „Tongeren, Belgie's oudste Stad“. Nicht Tongern, sondern die Kimben- und Teutonenfestung Lüttich ist die geschichtlich älteste Stadt nicht nur Belgiens, sondern ganz Nordgalliens. Verwüstungen durch Franken, Wandalen und Hunnen im 3. bis 5. Jahrhundert verdunkelten die Frühgeschichte dieser Gegend aber fast ganz. - So wie der Name Aduaga Tungrorum nicht beweist, daß dieser Ort Tongern wäre, so sichert auch die Bezeichnung „Episcopus Tongrorum“ noch nicht den Bischofssitz in der Stadt Tongern. Wenn HETTEMA 1951 (“De Nederlandse Wateren en Plaatsen in de Romeinse Tijd“, S. 188) schreibt, daß in Vechten „Tongerse schippers“ wohnten, so kann das mißverstanden werden, da bei Tongern kein schiffbares Gewässer fließt. Es waren Maas-Schiffer aus dem Tungrenland.

Zur Lösung der Atuatuca-Fragen war genaue Geländeforschung mit Hilfe von Höhenlinienkarten erforderlich; auch zur Erklärung des Itinerarium Antonini und der Peutingerschen Tafel, den unentbehrlichen historischen Quellen für die spätrömische, 250 km lange Poststraße von Köln nach Bavai.


Quelle: Sonderdruck aus GYMNASIUM, Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung, herausgegeben von Franz Bömer und Hans Haas, Band 61, Heft 4, 1954, S. 326 - 339, Carl Winter-Universitätsverlag-Heidelberg
Sammlung Marliese Wintz, Kreuzau, Sammlung wingarden.de, H. Klein


Handvermerk Pfarrer Andreas Pohl





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