Wo müßte das Denkmal des Ambiorix stehen?
Zu einem Vortrag in der Kölner Anthropologischen Gesellschaft





Professor Dr. Reiner Müller, Arzt von Beruf, sprach inder Kölner Anthropologischen Gesellschaft über ein Forschungsgebiet, das außerhalb seines Berufes liegt, dem er sich aber nun seit fast drei Jahrzehnten mit der Leidenschaft eines Liebhabers und mit der Gründlichkeit eines Spezialforschers zugewandt hat. Er sprach über die germanische Sprachgrenze an den Reisestraßen der Römer von Köln und Nimwegen nach Bavai und die sogenannten Aduatuca-Fragen. Der erste Beginn der Forschungen Prof. Müllers liegt im Weltkrieg, als er, in der Champagne liegend, auf Meßtischblättern mit dem Zirkel die Entfernungen von den schnurgeraden alten Römerstraßen abgehender senkrechter Seitenwege nachmaß und dabei gleichmäßige Spannen feststellte. Nicht durch Spatenforschung, sondern allein durch genaue Vermessung und Vergleiche sind die Forschungsergebnisse zustande gekommen.

Die Reisestraßen (Itinerarstraßen) sind nicht ohne weiteres den alten Römerstraßen in den von ihnen eroberten und besetzten Gebieten gleichzusetzen. Es sind jene Straßen der Römer, die in zwei Straßenverzeichnissen (Itinerarien) gesammelt sind, einmal in der sogenannten Peutingerschen Tafel, zum anderen in dem Reisebuch des Antoninus (Itinerarium Antonini), beide aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. stammend und wahrscheinlich aus früheren Überlieferungen und Aufzeichnungen zusammengestellt. Die Peutingersche Tafel, wovon sich ein Exemplar erhalten hat, in Wien befindlich, hat ihren Namen nach einem Augsburger Kaufherrn, der sie drucken ließ. An ihr ist das äußere Format sehr auffällig; sie ist einen Fuß breit und rund sechs Meter lang und enthält die Straßen der Römer über ihr weitgedehntes Reich hinweg mit Ortsbezeichnungen und Wegeentfernungen in einer eigentümlichen Verzerrung, die durch dieses Format bedingt ist. Das Format mag daher rühren, daß im vierten Jahrhundert die Römer auf Papyrus ihre Aufzeichnungen machten; die Papyrusstreifen waren nur von einer bestimmten Länge, hier einem Fuß, konnten aber beliebig nebeneinandergeklebt werden zu einem langen Band. Das andere Reisestraßenverzeichnis ist ein schriftliches Verzeichnis aus der Zeit um 300 mit Ortsnamen und Entfernungsangaben. Bei beiden stimmen die Namen zumeist überein, auch die Maßangaben, die in „Leugen“ angegeben sind. Das Wort „Leuge“ steckt im französischen Wort für Meile - Lieue; eine Leuge mißt 2220 Meter, das entspricht anderthalb römischer Meile.

Mit Hilfe von Meßtischblättern, die genau jede Bodenlinie enthaltend, aus Westdeutschland und den westlichen Nachbargebieten, deren Müller mehrere hundert besitzt, den heutigen Ortsnamen und den Angaben der beiden Verzeichnisse hat Müller, sich auf wenige alte Römerstraßenzüge beschränkend, gründlich geforscht. Etwa 3300 Namen stehen noch in diesem Verzeichnis und der Peutingerschen Tafel, die noch längst nicht alle daraufhin erforscht sind, wie weit sei heutigen Namen entsprechen. Aber viele von ihnen glaubt Müller eindeutig festgestellt zu haben, und seine Ableitungen überzeugen, vor allem mit dem Hinweis, daß es ja heute nicht ganz genau festliegt, wie die alten lateinischen Bezeichnungen ausgesprochen wurden, so daß durch die Abwandlung der Sprache, durch die Lautverschiebung die Übereinstimmung wohl klar ist.

Eine weitere Quelle für die Forschungen sind Caesars Berichte über den Gallischen Krieg und die Feldzüge gegen die germanischen Stämme. Darin ist zweimal ein Ort „Aduatuca“ genannt, der auch in den Verzeichnissen vorkommt. Das eine dieser Aduatuca muß nach den Vermessungen auf Grund der Peutingerschen Tafel und der Angaben im „Itinerarium Antonini“ die Zitadelle von Lüttich sein, die an der großen Reisestraße lag, ganz nahe südlich der Sprachgrenze zwischen Wallonen und Franken. Hier wurden von Cäsar 57 v. Chr. die Zimbern und Teutonen besiegt, also vor genau zweitausend Jahren. Das andere Aduatuca, das die zusätzliche Angabe „Eburonum“ trägt, wird in den Berichten über die Kämpfe vom Jahre 54 v. Chr. bei Cäsar genannt. Da ist die Rede davon, daß die Römer einen Ort für ihr Winterlager suchten in einem getreidereichen Land, es ist weiter die Rede von der Schlacht an einem Punkt, wo zwei Täler zusammenstoßen: „convallum“. Nach den Vergleichen zwischen Cäsars Text und dem Verzeichnis kommt Müller zu dem Schluß, daß dies Nideggen in der Eifel ist, nicht das Kastell allein, wie in Lüttich, sondern der ganze Ort. Hier zwischen dem Rurtal und einem Bachtal, hat Ambiorix die Römer, anderthalb Legion Soldaten, überfallen und besiegt, nicht etwa in Tongern, wo ein Denkmal des Ambiorix steht, zu Unrecht stehe, es gehöre in den Ort Aduatuca der Eburonen, also dorthin, wo heute Nideggen liege.

Die in den Verzeichnissen aufgeführten Straßen, die von Köln und von Nimwegen nach Bavai führten, gingen von hier aus in verschiedenen Richtungen weiter, schnurgerade zumeist und nur dann aus der Richtung weichend, wenn die Bodenformen dazu zwangen. Was nun die regelmäßigen Abzweigungen angeht, die sich bei Abständen von 1280 und 740 Metern einfinden, so sind auch sie nicht etwa durch die Landschaft eindeutig gefordert, so wenig wie die große Linienführung der alten Römerstraßen. Mancher heute nur noch angedeutete Waldweg oder Feldweg an diesen Punkten, die Müller auf Grund seiner genauen Messungen bestimmt, sind also wie die großen Römerstraßen fast zweitausend Jahre alt.

Die zweistündigen Ausführungen Prof. Dr. Müllers enthielten noch eine Fülle von Einzelheiten, so über einen Stein aus römischer Zeit, der vor mehr als hundert Jahren in Tetz im Kreise Jülich gefunden wurde, mit einer Widmung und einer Entfernungsangabe, die sich auf Körrenzig bezieht, über Ortsnamenzusammenhänge, etwa Maastricht - Mosae traiectum oder Coriovallum = Heerlen. Eine Reihe von Lichtbildern, teilweise aus den Verzeichnissen, teilweise mit den entsprechenden lateinischen Stellen aus Cäsars Kriegsbüchern, von Meßtischblättern mit den eingezeichneten Straßenführungen der Römer, erleichterte den Zuhörern das Verständnis für das Sonderforschungsgebiet des Redners.

-oe-





Quelle: Unbekannter Zeitungsartikel, Kölner Veröffentlichung
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de H. Klein
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