Eschweiler - ältester Ort Deutschlands?
Ausgrabungen würden Klarheit bringen - Vertreter Tongerens halten die Lokalisierung „Atuatucas“ für überzeugend
Von Prof. Dr. Ludwig Drees (Aachen)





Die Ortsnamenfestsetzung ist ein interessanter und beliebter, aber auch schwieriger Zweig der Sprachwissenschaft. Sie spürt die ältesten Nennungen eines Namens auf und verfolgt dessen Wandlungen durch die Zeiten hindurch bis hinab zur heutigen Form. Je älter ein solcher Name ist, desto stolzer ist sein Träger, denn mit diesem Namen tritt der Ort ins Licht der Geschichte. Jeder Ortsname ist schließlich eine Geschichtsquelle, die zu erschließen oft recht mühsam und nicht selten auch umstritten ist.

In Belgien, Holland und Deutschland gibt es keinen älteren Ortsnamen als „Atuatuca“ im Lande der Eburonen. Julius Cäsar erwähnt ihn im Jahre 53 v. Chr. (VI, 32) und bezeichnet ihn als ein „Castellum“: „Id castelli nomen est“, ein Satz, für den zwei Übersetzungen möglich sind: „Das ist der Namen eines befestigten Platzes“ oder „Das ist der Namen für einen befestigten Platz“ - im ersteren Falle wäre „Atuatuca“ ein Eigenname, im letzteren ein Sachname. Für die zweite Möglichkeit spricht der Umstand, daß er mehrmals vorkommt: im Namen des von Cäsar erwähnten Stammes der „Atuatuker“ und in der später überlieferten Bezeichnung „Atuautca Tungrorum“ für die heutige Stadt Tongeren in Belgisch-Limburg.

Streit seit 15. Jahrhundert

Man kann verstehen, daß sich jene drei Länder um den Ruhm streiten, das „Atuatuca“ der Eburonen zu besitzen. Die Kontroverse begann schon im 15. Jahrhundert, als ein Professor der damaligen noch jungen Universität Löwen in Belgien dieses „Atuatuca“ in Valkenburg (Niederländisch-Limburg) lokalisierte. Die Fehde flammte immer wieder auf, besonders heftig im 19. Jahrhundert, und dauert unvermindert an, um im Jahre 1974 einen neuen Höhepunkt mit gleich drei weiteren Lokalisierungen zu erreichen: Caestert auf der belgischen Seite des Sint-Pietersberges südlich von Maastricht (Dr. Roosens vom belgischen Ausgrabungsdienst, Brüssel), ein Ort ganz inder Nähe von Esneux südlich von Lüttich (Dr. Grisart, Honorarprofessor am Königlichen Athenäum in Verviers) und schließlich unsere eigene Deutung: Der Hohenstein - Ichenberg bei Eschweiler.

Nun liegt Esneux im Lande der Condruser, nicht der Eburonen, und Caestert links der Maas und damit zu weit westlich, während Eschweiler „beinahe in der Mitte des Eburonenlandes liegt, das sich zum größten Teil zwischen Maas und Rhein erstreckt!“ (VI 32 und V 24). Wir wollen hier nicht die schwerwiegenden Argumente wiederholen, die für die Lokalisierung auf dem Hohenstein-Ichenberg sprechen (Vgl. die „Volkszeitung“ vom 29. Juni und 6. Juli 1974), sondern Neues mitteilen.

Experten aus Tongeren

Kurz nach dem Erscheinen unseres Berichtes meldete sich die „Konkurrenz“ aus „Atuatuca Tungrorum“, die Archäologen des Gallo-Römischen Museums von Tongeren. Zunächst kamen Dr. Van Vinckenroye und Dr. Vanderhoeven, wenige Zeit später der Direktor des Museums, Dr. Smeesters, mit einem sachkundigen Begleiter, Studienrat Stevens. Beide Gruppen weilten den ganzen tAg im Gelände und waren von den Stätten sehr beeindruckt. Sie waren der Meinung, diese Lokalisierung sei überzeugend, weil Cäsars Beschreibung genau auf sie zutreffe. Ihnen war seit eh und je klar, daß ihr Tongeren, das „Atuatuca Tungrorum“ sein könne mit dem „Atuatuca Eburonum“ zwischen Maas und Rhein, auch wenn das von keinem Geringeren als Kaiser Napoleon II. In seinem Buch „Die Feldzüge Cäsars“ behauptet wurde und vielfach heute in Handbüchern zu lesen ist. Sie entwickelten auch Pläne, wie und wo man Probegrabungen ansetzen sollte, doch würden nach ihrer Meinung etwaige Funde, wohl eher spärlich ausfallen, da die Römer nicht sehr lange an Ort und Stelle geweilt hätten.

Nun weist noch ein weiteres Indiz auf das Römerlager hin. An der Abzweigung des Weges „Pümpchen“ von der Straße „Stich“ fällt das Gelände entlang der Straße ohne erkennbaren Grund so steil ab, daß man auf der Vorderseite der dortigen Häuser zu ebener Erde ins Erdgeschoß gelangt, während man auf der Rückseite zu ebener Erde den Keller betreten kann. Der Unterschied beträgt die Höhe eines Geschosses, was den Schluß nahelegt, daß die Straße „Stich“ über den Südost-Wall des Römerlagers verläuft.

„Weiler an Festung“

Schließlich findet unsere neue Deutung des Namens Eschweiler als „Weiler an der Festung“ - gemeint ist die prähistorische Anlage auf dem Hohenstein - indirekt eine Bestätigung, als die übliche Ableitung von „Esche“ jüngst noch angezweifelt worden ist. So schreibt Dr. Henning Kaufmann, Studienrat i. R., in seinem Buch „Die Namen der rheinischen Städte“ (W. Fink Verlag, München 1973) S. 97: „Deutung: Trotz einiger Bedenken, die auch zu den zahlreichen anderen Ortsnamen ,Eschweiler' geltend gemacht werden, zum Baumnamen ,die Esche' (ahd. ask, m., mhd. asch, m. und esche, f.) Die Esch hat Umlaut aus der Mehrzahl.“

Wir haben den Bestandteil „Esch“ in Eschweiler von „Atuatuca“ = Festung abgeleitet (über átuaca, *átca, áska, ask, Esch).

Natürlich sind nicht alle Esch-Namen so zu deuten, die meisten stammen sicherlich von Esche oder auch Asche ab, doch immerhin dürften zwei weitere dieser Namen unsere These stützen: „Esch-an-der-Sauer“ im Großherzogtum Luxemburg (steiler von der Sauer umflossener Bergsporn mit Burganlage, also „Festung an der Sauer“) und „Kaisersesch“ bei Mayen (mit starken Wällen befestigtes Römerlager, also „Festung des Cäsar, des Kaisers“). Auf jeden Fall müssen alle Esch-Namen neu überprüft werden.

Noch schwankender Ruhm

Die Ableitung und Deutung des Namens „Atuatuca“ selbst aus dem Keltischen oder Germanischen ist noch umstritten. Der Name „Weiler“ ist ein Lehnwort aus dem Spätrömischen „villare“, das das Nebengut eines Hauptgutes (Villa) innerhalb eines Gutsbezirks bezeichnet. Der Name Eschweiler ist also in zwei Schüben entstanden.

In dem Jahrhunderte währenden Streit um die Lokalisierung von „Atuatuca“ neigt sich nun die Waagschale dem bisher nie genannten Eschweiler zu und damit auch der noch schwankende, nicht geringe Ruhm, ältester mit Namen genannter Ort Deutschlands zu sein. Doch ohne Anstrengung ist diese hohe Auszeichnung nicht zu haben. Überzeugende Funde würden jeden noch vorhandenen Zweifel ausräumen, doch diese können nur durch Ausgrabungen erbracht werden. Der erste Schritt müßten Probegrabungen sein, die das Rheinische Landesmuseum in Bonn genehmigen und der Leitung des Aachener Archäologen und Stadtkonservators, Architekt Dr.-Ing. Leo Hugot, anvertrauen würde, wenn sich dazu die nötigen Mittel fänden.


Quelle unbekannt: (AVZ oder Bote an der Inde ca. Juli oder August 1974)?
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de, H. Klein





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