Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees





Ergebnis

Ausgangspunkt unserer Überlegungen zur Lokalisierung von Cäsars Atuatuca ist sein Hauptquartier in Amiens an der Somme im Herbst des Jahres 54 v. Chr. Zwischen diesem und dem am weitesten zum Rhein hin vorgeschobenen Winterlager in Atuatuca stand Quintus Cicero im Lande der Nervier. Als dieser von den einheimischen Stämmen belagert wird, eilt Cäsar ihm zur Hilfe. Für den Marsch dorthin benötigt er fünf Tage und einen angebrochenen sechsten. Da er im Schritt 30 km am Tag zurücklegt, entspricht dieser Leistung eine Entfernung von etwa 150 km. Weiter als dieser Abstand durfte kein Lager von dem nächstgelegenen entfernt sein. So ergibt sich als Standort des Cicero das Felsenplateau der kleinen Stadt Binche westlich von Charleroi, das von Amiens 146 km entfernt ist und dessen topographische Beschaffenheit die Belagerungtechnik der Nervier erklärt.

Das Lager des Titus Labienus war etwa 90 km von dem des Cicero entfernt und lag im Lande der Römer hart an der Grenze der Treverer. Zieht man einen Kreis mit einem Radius dieser Länge von Binche aus, so erreicht man die große Maasschleife bei Sedan, die für die Anlage eines Winterlagers vorzüglich geeignet war.

Nun erklärt Ambiorix den römischen Unterhändlern in Atuatuca, die er zum Abzug bewegen will, ihr Lager sei etwa 75 km von dem des Cicero entfernt, und von dem des Labienus nur wenig mehr. Der Schnittpunkt beider von Binche und Sedan aus gezogenen Kreise mit entsprechendem Radius müßte den Standort des Lagers in Atuatuca ergeben. Doch dem ist nicht so. Es läßt sich beweisen, daß die Entfernungsangaben des Ambiorix verdoppelt werden müssen. Tut man dies, so liegt der Schnittpunkt beider Kreise auf dem Autobahnkreuz nordöstlich von Aachen zwischen Aachen und Eschweiler. In diesem Bereich muß Atuatuca gesucht werden.

In nächster Nähe dieses Autobahnkreuzes, und zwar östlich desselben, liegt der weite Talkessel der Atsch am Zusammenfluß von Vicht, Inde und Saubach mit dem zwischen Inde und Saubach ansteigenden Hügelrücken der Ortschaft Atsch bei Stolberg. Der Flur- und Ortsnamen Atsch könnte von Atuatuca abstammen, doch ist dies Ableitung sprachwissenschaftlich nicht zwingend. Außerdem ist eine überzeugende Alternativerklärung möglich, so daß eine Lokalisierung Atuatucas auf der Anhöhe der Ortschaft Atsch von der Toponymie her nicht gesichert erscheint. Dagegen weisen die beiden konvergierenden Radien der sich schneidenden Kreise auf den nahen, in nordöstlicher Richtung liegenden Höhenrücken des Hohenstein-Ichenberg vor Eschweiler hin, der daher wohl für eine Ortsbestimmung der cäsarischen Stätte in Frage kommen könnte.

Eine solche Lokalisierung des Römerlagers etwa auf dem Ichenberg bei Eschweiler als Operationsbasis für den Ausrottungsfeldzug gegen die Eburonen im Jahre 53 v. Chr. könnte auch zur Lösung von Problemen beitragen, die bisher in der Forschung umstritten sind. Dazu gehört Cäsars Marsch von Atuatuca zur Schelde und zu den Ausläufern der Ardennen. Auch scheint das eburonische Rheinland, aus welchen Gründen auch immer, stärker von der Ausrottungsaktion betroffen worden zu sein als die westlichen Gebiete, da es neubesiedelt werden mußte. Für eine solche Strafexpedition bot ein Lager „beinahe in der Mitte des Eburonenlandes“ eine bessere Ausgangsstellung als eine mehr westlich zur Peripherie hin gelegene.

Es kam uns bei diesen Überlegungen darauf an, die vielen, oft schwierigen Probleme einer Ortsbestimmung von Cäsars Atuatuca in ihrer Gesamtheit darzustellen, wobei sich eine induktiv ermittelte Lokalisierung dieser Stätte auf dem Hohenstein-Ichenberg bei Eschweiler als Möglichkeit abzeichnet. Auch sie wirft ihrerseits wieder einige, konkrete Probleme auf, die einer gesonderten, ausführlichen Untersuchung bedürften. Aber auch dann wird eine solche sich ergebende Ortsbestimmung erst gesichert sein, wenn genau datierbare Funde vorliegen 129).

Anmerkungen

129) Diese könnten vielleicht durch Probegrabungen erbracht werden. Zu diesem Zwecke hat der Herr Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen Mittel zur Verfügung gestellt. Dafür gebührt ihm unser herzlicher Dank.





Verzeichnis der Karten und Abbildungen

Karte 1: Römerstraßen in der Gallia Belgica, S. 18. Als Grundlage diente - mit Erlaubnis des Verfassers - die von J. Mertens, Universität Löwen, entworfene Karte „Carte du réseau routier romain et des principaux sites“ in A. Wankenne, La Belgique à l'époque romaine, (vgl. Anm. 20), Plan 1, ergänzt um die von Bouillon nach Osten führende Nebenstrecke, übernommen aus J. Mertens und A. Despy-Meyer, (vgl. Anm. 14), Karte 1 und 2. Diese karte wurde von uns in Richtung Amiens und Eschweiler erweitert, zusätzliche Namen in Kursivschrift eingetragen.

Karte 2: Stadtmauer von Binche mit Flußschleife und Römerstraße, S. 24. Plan der Stadtmauer und Maßstab übernommen aus Michelin Benelux 1971, Paris, S. 64.

Karte 3: Die Maasschleife bei Sedan mit Römerstraße, S. 27. Auf Grund der Carte de France 1/25000 Mézières Nr. 7-8, die Römerstraße nach J. Mertens und A. Despy-Meyer (vgl. Anm. 14). - Am Ostrand der Höhe 207 Mont d'Iges befinden sich Steinbrüche.

Karte 4: Östliches Festungsdreieck Cäsars 54 v. Chr. S. 32. Entwurf L. Drees, Zeichnung Arthur Vogt, Aachen. Von diesem stammt auch die Zeichnung der Karte 1 (Erweiterung), 2 und 3.

Karte 5. Nördlicher Teil der ehemaligen Reichsabtei Kornelimünster mit dem Gelände „In der Atsch“, S. 39. Von der Originalkarte von 1646 ist eine Kopie aus dem Jahre 1798 erhalten, die 1925 von Rob. Fernschild kopiert wurde für das Werk von Franz Nagel, Geschichte der Reichsabtei Cornelimünster und des Münsterländchens, Cornelimünster (und Stolberg), 1925. (Vgl. Anm. 54).

Abb. 1: Ambiorix in Malmedy, S. 59. Zu dieser Abbildung vgl. „La Semaine“ Nr. 10 vom 11. März 1899. Dieses Reliefbild wurde 1899 in den Felsen am Pouhon des Iles eingefügt.





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