Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees





II. Die Lage Atuatucas innerhalb des Eburonenlandes
1. Die Lage im Aachener Raum zum Rhein hin

Cäsar erklärt, daß er bei Beginn seines Ausrottungsfeldzuges gegen die Eburonen im Jahre 53 v. Chr. das gesamte schwere Gepäck von neun Legionen nach Atuatuca schaffen ließ impedimenta omnium legionum Atuatucam contulit (VI 32, 3). Dort hatten Sabinus und Cotta ein Jahr zuvor ein Winterlager für anderthalb Legionen angelegt, dessen Befestigungswerke noch intakt waren (VI 32,5).

Nach der Erwähnung Atuatucas heißt es: id castelli nomen est. hoc fere est in mediis Eburonum finibus (VI 32,4) - „Das ist der Name einer Festung. Diese liegt beinahe in der Mitte des Eburonenlandes.“ Zur Lage des Eburonenlandes sagt Cäsar: Eburones, quorum pars maxima est inter Mosam ac Rhenum (V 24,4) - „Die Eburonen, deren größter Teil zwischen Maas und Rhein ansässig ist.“ Da östlich des Rheins die Sugambrer siedelten, lag die verbleibende pars minima westlich der Maas 86). Auf Grund dieser Angaben kann das Atuatuca Tungrorum (Tongeren) trotz des Namens für eine Lokalisierung des von Cäsar erwähnten Atuatuca nicht in Frage kommen 87), hingegen wohl eine solche im Aachener Raum.

Außer Cäsar erwähnt noch Sueton die Lage von Atuatuca, indem er berichtet, die beiden Legaten Sabinus und Cotta seien in Germanorum finibus, „im Gebiet der Germanen“, in einem Hinterhalt niedergemacht worden 88). Sueton lebte von ca. 69 bis 140 n. Chr. Seit 82 bestanden die beiden Provinzen Germania Inferior und Germania Superior, die Kaiser Domitian von der Provinz Gallia Belgica abgetrennt hatte 89). Streng genommen müßt in der Zeit, da Sueton schreibt, mit fines Germanorum die Provinz Niedergermanien gemeint sein 90). Zu dieser gehört ohne jeden Zweifel der östliche Teil des Aachener Raumes.

Auch die Lage Atuatucas zum Rhein hin entspricht bei einer Lokalisierung nordöstlich von Aachen den Angaben Cäsars. In der Unterredung des Ambiorix mit den römischen Unterhändlern erklärt dieser, die von den Galliern angeworbenen Germanen hätten bereits den Rhein überschritten und würden in zwei Tagen eintreffen (V 27,8). Im Kriegsrat der Römer begründet Sabinus die Notwendigkeit des Abzugs mit dem Hinweis, „der Rhein sei nahe“ (subesse Rhenum V 29,3). So beträgt z. B. die Entfernung des bei Eschweiler gelegenen Ichenberges bis Köln 52 km, bis Bonn 60 km. Bis zur Maas in Maastricht sind es 40 km und bis Tongeren 55 km. Läßt sich aus dem Ritt der Sugambrer nach Atuatuca eine genauere Präzisierung von dessen Lage ermitteln?

Bei der Aufforderung Cäsars an die Nachbarstämme der Eburonen, deren Land zu plündern, überqueren 2000 sugambrische Reiter auf Schiffen und Kähnen den Rhein 30 Meilen (45 km) unterhalb der Stelle, wo Cäsar die Brücke für seinen zweiten Rheinübergang geschlagen hatte (VI 35,6). Diese lag ein wenig oberhalb jener Stelle, an der er seine erste Brücke angelegt hatte (VI 9,3). Die Lokalisierung beider Brücken ist umstritten, da die Übergangsstellen archäologisch bisher nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnten 91). Auf Grund der Textinterpretation spricht vieles für Koblenz 92); die zweite dürfte etwa 1 km oberhalb von Neuwied zwischen Weißenturm und Urmitz errichtet worden sein 93). Jedenfalls verband sie das linksrheinische Trevererufer (VI 9,5) mit dem rechtsrheinischen Ubierufer (VI 29,2).

Eine Strecke von 45 km von Neuwied rheinabwärts führt uns zur Mündung der Sieg in den Rhein unterhalb von Bonn 94). An dieser Stelle dürften daher die Sugambrer den Strom überschritten haben. Auf dem linken Flußufer „greifen sie die Grenzgebiete der Eburonen an (primos Eburonum fines adeunt VI 35,6), nehmen viele Flüchtlinge gefangen, erbeuten eine große Menge Vieh, auf das die Barbaren höchst begierig sind. Die Beute reizt sie, weiter vorzudringen. Kein Sumpf, kein Wald vermag sie, die zwischen Krieg und Raub geboren sind, aufzuhalten. Sie fragen Gefangene in welcher Gegend Cäsar sei, und erfahren,, daß er sich sehr weit entfernt habe und daß das gesamte Heer abmarschiert sei. Da ruft einer der Gefangenen: ,Was jagt ihr dieser elenden und armseligen Beute nach, wo ihr schon die reichsten Leute sein könntet? In drei Stunden könnt ihr nach Atuatuca gelangen (tribus horis Atuatucam venire potestis VI 35,9). Dorthin hat das römische Heer sein gesamtes Hab und Gut gebracht. An Besatzung liegt dort nur so viel, daß nicht einmal die Umwallung besetzt werden kann und daß keiner sich aus den Befestigungen herauswagt.' Da sich ihnen diese Gelegenheit darbietet, lassen die Germanen die Beute, die sie gemacht haben, an einer verborgenen Stelle zurück, und unter der Führung jenes Mannes, von dem sie diesen Hinweis erhalten hatten, eilen sie nach Atuatuca“ (VI 35,6-10).

Aus dem Text ergibt sich eindeutig, daß der dreistündige Ritt nicht schon am Rhein selbst begann, sondern mehr landeinwärts. Läßt sich diese Stelle näher bestimmen?

Richard Spessart legt sie wie folgt fest: „Die Wälder sind die des Vorgebirges, die Sümpfe sind die der ältesten Swist und Erft etwa bei Weilerswist - Bliesheim - Lechenich. Demnach müßte Atuatuca etwa von hier aus zu Pferde in drei Stunden erreichbar gewesen sein. Nun legt ein Pferd im Mittel- oder Reisetrab stündlich etwa 15 km zurück. Nehme ich dreimal 15 gleich 45 km, und messe auf der Generalstabskarte auf der von Josef Hagen vermuteten, von Gestüt bei Lechenich ausgehenden, nach Westen laufenden alten Straße diese 45 km ab, so komme ich kurz östlich Aachen aus“ 95). Von Lechenich bis zur Ortschaft Atsch, wo Spessart Atuatuca lokalisiert, sind es 38 km. Das Argument ist bestechend, doch traben konnten die sugambrischen Reiter nicht, da sie noch keine Steigbügel kannten. Diese kommen erst in der Völkerwanderungszeit auf. Längere Strecken konnte ein großer Reiterverband in geschlossener Formation nur im Schritt bewältigen, wobei das Pferd in der Stunde 6 km zurücklegt. Erst ganz zum Schluß, als die Sugambrer aus dem Wald hervorbrechen, um das rückwärtige Tor des Lagers zu stürmen, setzen sie zum Galopp an (VI 37, 1-2). Aus der Erwähnung der Wälder und Sümpfe läßt sich kein absolut sicherer Hinweis für die Ortsbestimmung Atuatucas gewinnen.

Anmerkungen

86) Es bleibt vermutlich eine unlösbare Frage, wie weit diese pars minima sich nach Innerbelgien hinein erstreckte, da wir die Ausdehnung des Siedlungsgebietes der Atuatuker zwischen Eburonen und Nerviern (V 38, 1-2) nicht genau bestimmen können. Siehe auch unten S. 53 und 54.

87) Es führen auch die Ausgrabungen in Tongeren nicht über das Jahr 15 v. Chr. zurück. Zu der Zeit entstand dort unter Kaiser Augustus ein Militärlager. Weder eine prähistorische Befestigung noch ein cäsarisches Lager konnten in Tongeren bisher nachgewiesen werden. Es ist daher unwahrscheinlich, daß Cäsars Atuatuca mit dem Atuatuca Tungrorum identisch sit. Das augusteische Lager war für zwei Legionen angelegt und diente als Basislager für das in die Tiefe gestaffelte Aufmarschgebiet am Rhein. Vgl. W. VANVINCKENROYE, Opgravingen te Tongeren in 1963-1964 door het Provinciaal Gallo-Romeins Museum, in: Publicaties van hat Provinciaal Gallo-Romeins Museum Tongeren Nr. 8 (Overdruk uit „Limburg“, Jg. 44, Nr. 1-2, 1965), Tongeren 1965, S. 29-38. Der Fundbestand „ergibt eine deutlich zusammenhängende Chronologie ..., die die Legionsfestung von Tongeren in die Mitte des zweiten Décenniums vor Chr. datiert“. (Ebd., letzte Seite). Vgl. ferner W. VANVINCKENROYE, Tongeren Romeinse Stad, in: Publicaties van het Provinciaal Gallo-Romeins Museum te Tongeren Nr. 23, Tongeren 1975, S. 14-22.

88) Sueton, Vita Divi Julii 25, 2:
et in Germanorum finibus Titurio et Aurunculeio legatis per insidias caesis.

89) Vgl. Christoph B. RÜGER; Germania Inferior, Untersuchungen zur Territorial- und Verwaltungsgeschichte Niedergermaniens in der Prinzipatszeit (Beihefte der Bonner Jahrbücher 30), Köln-Graz 1968, S. 50, Anm. 240.

90) In diesem Sinne äußern sich Butler und Cary sehr bestimmt: „Cp. 25 in Germanorum finibus, where he refers to the disaster at Atuatuca in the country of the Eburones (generally identified with Tongres and in any case lying well within the imperial province of Lower Germany).“ C. SVETONI TRANQVILLI DIVVS IVLIVS. Edited with an introduction and commentary by H. E. BUTLER & M. CARY, Oxford 1970 (Nachdruck der Ausgabe von 1927), S. 123. Im Jahre 1927 konnte man Tongeren noch auf Grund der unsicheren Quellenlage zur Germania Inferior rechnen.

91) In einem Brief vom 2.8.1974 von Prof. Dr. W. Janssen vom Rheinischen Landesmuseum Bonn an den Verfasser heißt es: „Ich darf darauf verweisen, daß bisher archäologische Funde, die der cäsarischen Zeit zugewiesen werden können, im Rheinland außerordentlich selten sind. Aus diesem Grunde ist es u. a. bisher nicht möglich gewesen, den Ort des Rheinüberganges des Cäsar genau zu bestimmen. Noch immer werden dafür verschiedene Plätze in Anspruch genommen.“

92) HOLMES (Anm. 1), S. 706-710 prüft eingehend die verschiedenen Lokalisierungsvorschläge und beschließt: „I conclude, doubtfully, that both the first an the second bridge were built between Andernach and Colbenz, but that there ist no evidence für defining their positions more exactly.“ (S. 710). Vgl. auch Anm. 93 und 94.

93) Vgl. Viktor STEGEMANN in seiner Übersetzung von Cäsars „Der Gallische Krieg“, Bremen 1958, S. 119, Anm. 1 und die Karte 6 ebd. Vgl. auch Anm. 94.

94) “Geht man von der Stelle bei Neuwied, wo die zweite Rheinbrücke von Cäsar geschlagen wurde, 45 km stromabwärts, so kommt man gerade nach Bonn“, vgl. KRANER/DITTENBERGER/MEUSEL (Anm. 12), S. 215.

95) SPESSART (Anm. 82), Sp. 1-2.





2. Die Lage als Operationsbasis für den Ausrottungsfeldzug





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