Das
Rheinische Freilichtmuseum in Kommern
Von Dr.
Adelhart Zippelius, Kommern
Wir wissen es alle selbst: Die Dinge, die unser tägliches Leben umgeben, sind uns selbstverständlich. Wir machen kein Aufheben von ihnen. Anders sieht es schon aus, wenn ein Besucher aus fernem Land zu uns kommt. Er nimmt dann wohl dies und jenes in die Hand und betrachtet es verwundert, eben weil dies und jenes bei ihm zu Hause anders gemacht wird und anders aussieht.
Die Dinge pflegen umso andersartiger zu sein, je ferner sie uns sind. Ferner - sei es räumlich wie beim Beispiel unseres Besuchers, sei es zeitlich, wenn wir in der Chronik unserer Geschichte zurückblättern. Aber die Tatsache, daß die Dinge in der Entfernung und aus der Entfernung andersartig werden - umso mehr, je größer die Entfernung -, läßt der Mensch, so wie er nun einmal beschaffen ist, doch nicht so einfach auf sich beruhen. Damit gibt er sich nicht zufrieden. Das Andersartige fordert die Neugier heraus. Und mit der Neugier - sie hat uns das Paradies gekostet - stellen sich sogleich tausend Fragen ein, und die Beantwortung jeder einzelnen bringt hundert neue im Gefolge mit: Worin besteht in jedem Einzelfalle die Andersartigkeit? Man analysiert. Warum sieht ein Stuhl, der vor zweihundert Jahren gefertigt wurde, anders aus als sein Nachfolger aus dem Jahre 1959? Man sucht nach den Ursachen der Verschiedenheiten. Welche verschiedenen Formen gibt es überhaupt, und wie treten sie nacheinander in der Zeit und nebeneinander im Raum auf? Man stellte Vergleiche an. Man sucht Entwicklungslinien. Kurz: man sucht hinter den Erscheinungen deren geschichtlichen Werdegang, hinter der verwirrenden Vielfalt der Formen eine Ordnung.
Und damit rückt nun auf einmal auch das uns Selbstverständliche, unsere alltägliche Umgebung in den Mittelpunkt unserer Überlegungen. Die tausend Dinge um uns herum sehen wir nicht mehr beziehungslos nebeneinander stehen, sie sind jetzt auf einmal Glieder einer ganz bestimmten Entwicklung. Und jedes Ding hat jetzt einen festen Standort, es ist ein Teil einer größeren Ordnung, soweit es von Menschen geschaffen wurde, sehen wir es als Teil unserer Kultur. Damit ist auch sein Wert bestimmt. Sein Verlust ist ein kultureller Verlust. Das gilt aber nicht nur für die Dinge selbst. Mi ihnen und durch sie wird uns selbst ein Maßstab gegeben. Denn das ist letzen Endes der Sinn aller unserer mühseligen Bemühungen um die Aufhellung unserer Geschichte: Den rechten Maßstab zu gewinnen für uns und unser Tun.
Diese Vorbemerkungen erschienen mir nützlich, denn sie sollen auf die Frage vorbereiten: Warum wird jetzt, wo so viele lebenswichtige Fragen drängen, ein neues Museum aufgebaut? Hat der Landschaftsverband Rheinland als Nachfolger der ehemaligen Provinzialverwaltung und als Träger des neuen Rheinischen Freilichtmuseums nichts besseres zu tun, als ausgerechnet den vielen schon bestehenden Museen ein weiteres hinzuzufügen? Bevor wir auf diese Frage eingehen, sei mit wenigen Worten geschildert, wie wir uns das künftige Gesicht des Rheinischen Freilichtmuseums in Kommern vorstellen.
Die Landschaftsversammlung Rheinland hat in ihrer Sitzung am 28. März 1958 beschlossen, das geplante Freilichtmuseum des Rheinlandes in Kommern im Landkreis Euskirchen zu errichten. In der Schlußabstimmung war Kommern mit 57 Stimme vor Krefeld mit 42 Stimmen erfolgreich geblieben. Das von der Gemeinde kommern angebotene Gelände, der Kahlenbusch, ist rund 120 Hektar groß und bietet mit einem flach geneigten Hang und ebenen Flächen gute Voraussetzungen zum Aufstellen der Museumsbauten mit praktisch unbegrenzten Ausdehnungsmöglichkeiten. Kommern selbst ist reich an alten, unter Denkmalschutz stehenden Fachwerkhäusern. Das Bild zeigt das Fachwerkhaus
mit der Inschrift: |
Das
Fachwerkhaus Schneider in der Mühlengasse in Kommern
Aus allen Teilen des rheinischen Landes sollen besonders typische, darum eben kulturgeschichtlich wertvolle Bauernhäuser mit allem Drum und Dran nach Kommern gebracht werden. Sie sollen beispielhaft das ländliche Bauen und Wohnen in den verschiedenen und darin sehr unterschiedlichen rheinischen Landschaften vorführen: Das Bauen und Wohnen am Niederrhein und in der Köln-Bonner Bucht ebenso wie im Bergischen Land, an der Sieg, in den rheinischen Winzerdörfern, in der Eifel und im Hohen Venn. Neben den starken landschaftlichen Unterschieden soll auch die Entwicklung des Bauwesens im Wandel der Jahrhunderte sichtbar werden, jedenfalls soweit dies noch möglich ist. Neben Bauten des 17. Jahrhunderts, die vielleicht noch den 30jährigen Krieg erlebt haben, werden Häuser des 18. und 19. Jahrhunderts stehen. Und noch eines: Neben dem Hof des Großbauern soll auch die kleine Katstelle gezeigt werden. Denn auch die soziale Stufenordnung fand seit eh und je ihren Niederschlag im Bauwesen. Dazu kommen eine Reihe von technischen Kulturdenkmälern, die aufs engste mit dem bäuerlichen Lebensbereich verknüpft sind: Wind- und Wassermühlen, Korn- und Ölmühlen und manch anderes mehr werden wir nach Kommern bringen und im Museumgelände aufbauen. Die Bauten werden nicht leer stehen. Sie sollen ausgestattet werden mit all den vielen tausend einzelnen Gegenständen aus der jeweiligen Landschaft und der jeweiligen Zeit, die zur Errichtung gehörten, die darüber hinaus das ganze bäuerliche Tagewerk begleiteten.
Wie dies alles geschehen soll? Zum Personalbestand des Museums gehört ein kleiner Handwerkerstamm, von dessen handwerklichen Fähigkeiten und von dessen reibungslosem Zusammenspiel das Gedeihen des Museums in einem sehr hohen Maße abhängen wird. Zunächst müssen die zur Überführung ausgesuchten Bauten im Lande abgebrochen werden. Schon dies erfordert größte Sorgfalt. Wenn die einzelnen Holznägel herausgetrieben sind, müssen alle Hölzer behutsam aus dem Verband gelöst werden, in dem sie oft jahrhundertelang unberührt von allen Zeitläuften geruht hatten. Jedes Holz wird numeriert, die Nummern auf die Baupläne übertragen. Dann geht es auf die Reise nach Kommern. Jedes Stück Holz, jeder Ziegel, jeder Stein wird mitgenommen.
In Kommern selbst sind im Anschluß an das Verwaltungsgebäude die Museumswerkstätten eingerichtet. In ihrer Nähe werden die transportierten und zerlegten Bauten zunächst gelagert. Der Winter dient dazu, die Einzelteile zum Wiederaufbau herzurichten. Einzelnes muß ausgewechselt, Fehlendes ergänzt werden. Das gesamte Holz wird zudem noch durch konservierende Maßnahmen behandelt werden, um die Lebensdauer zu verlängern und die Zerstörung durch Außeneinflüsse soweit wie möglich zu verhindern.
Landesoberverwaltungsrat
Dr. Vogler, Dr. A. Zippelius, und Gemeindedirektor N. Leduc mit
Vertretern des Kreisbauamtes im künftigen Museumsgelände
Nach den Winterarbeiten in den Werkstätten beginnt im Frühjahr die Aufbauarbeit im Museumsgelände. Auf dem Kahlenbusch - etwa im Dreieck zwischen Kommern, Hostel und Eicks gelegen - hat die Gemeinde Kommern dem Landschaftsverband Rheinland ein über hundert Hektar großes Gelände zur Verfügung gestellt. Wer von Kommern her, durch den Hochwald kommend, die Mitte des Geländes am Wasserbehälter erreicht, wird begreifen, warum nach einem langen Ringen der zuständigen Instanzen - bei über dreißig Bewerbern um den Museumsstandort - schließlich doch diesem Platz der Vorzug gegeben wurde. Umrahmt von einer so gut wie ungestörten Bauernlandschaft, bietet die sanft abfallende Hochfläche mit ihrem schönen und vielseitigen Bewuchs, mit den zwischenliegenden Lichtungen und Schonungen ideale und fast unbegrenzte Möglichkeiten, um die vorgesehenen einzelnen Baugruppen aufzunehmen. Ein gänzlich flacher Teil des Geländes wird die niederrheinische Gruppe und in deren Nähe die Bockwindmühle beherbergen. Durch reichlichen Bewuchs abgeschirmt, folgen die anderen Gruppen in Form von locker gestreuten kleinen Weilern: die Bauten des Bergischen Landes, der Köln-Bonner Bucht und der Eifel. Das idyllische Nachtigallental mit der Waldbühne mag die vorgesehene Wassermühle aufnehmen.
Bei klarem Wetter schweift der Blick ringsum ins rheinische Land, hin bis zum Kölner Dom, weit in die Köln-Bonner Bucht hinein bis zum Siebengebirge und auf der anderen Seite über die ganze weite Eifel bis zur Hohen Acht. Dies wird ein besonderes Merkmal unseres Museums sein: Über die Dächer unserer Häuser hinweg geht der Blick weit ins Land bis hin zu den einzelnen Landschaften, aus denen unsere Bauernhäuser stammen. Und ein zweites Merkmal wird dieses sein: Wenn der Besucher inmitten einer so erholsamen Landschaft seinen Museumsrundgang beendet hat, dann braucht er nur ein paar Schritte zu gehen, um in Kommern oder Hostel zwei der schönsten Fachwerkdörfer des Rheinlands zu durchwandern. Zeigen wir im Museum Einzelbauten mit ihrer gesamten Einrichtung, so kann er hier in Kommern oder Hostel noch ganze, an Denkmälern so reiche Dörfer in ihrer alten Lage inmitten lebendiger Gegenwart auf sich wirken lassen. Neben einzelnen Fachwerkbauten aus dem 16. Jahrhundert und vielen aus der folgenden Zeiten hat er hier auch Gelegenheit zum nützlichen Vergleich mit neuester ländlicher Bauweise aus der allerjüngsten Zeit.
So wird sich das Bild runden, wenn wir eines Tages unser Ziel erreicht haben. Aber wann wird das sein? Im Herbst 1958 werden wahrscheinlich noch fünf bis sechs Bauten nach Kommern überführt und im Winter zum Aufbau vorgerichtet werden. Wenn alles gut geht, möchten wir im Sommer 1959 vier bis fünf Bauten im Gelände wieder aufbauen, und so soll es in den nächsten Jahren dann weitergehen, bis die rd. 50 vorgesehenen Bauten (darunter eingerechnet alle Nebengebäude wie Scheunen, Ställe, Schuppen, Backhäuser, Bienenhäuser usw.) aufgebaut sind. Freilich mit der Eröffnung wollen wir nicht so lange warten. Wir sind so optimistisch zu glauben, daß wir im Sommer 1960 mit einem ersten Teilabschnitt eröffnen können. Bis dahin wünschen wir uns allerdings Ruhe. Ruhe zum Arbeiten. Es ist genug geredet und geschrieben worden über das Rheinische Freilichtmuseum - für und wider. Nun wollen wir an die Arbeit gehen.
Aber noch einmal zurück zu dem, wovon eingangs die Rede war: Warum ein Rheinisches Freilichtmuseum? Wir haben jetzt eine Vorstellung davon, wie es aussehen wird. Anzumerken wäre noch, daß auch in Westfalen und ebenso auch in Schleswig-Holstein ein derartiges Freilichtmuseum beabsichtigt ist, dieses Mal war das Rheinland etwas schneller. Vielleicht nicht zufällig schneller, denn hier sind die Probleme auch dringlichere. Denn was ist die Aufgabe? Ein Museum soll bewahren. Es soll Dinge bewahren, die wertvoll sind, die aber in Gefahr sind, zerstört zu werden oder auf irgendeine Weise verloren zu gehen. Dinge, die zu unserem kulturellen Besitz gehören. Das Rheinische Freilichtmuseum soll ein Museum unserer ländlichen Bau- und Wohnkultur, darüber hinaus aber überhaupt der bäuerlichen Kultur im Rheinland im weitesten Sinne werden. Es soll uns und denen, die nach uns kommen, die Kulturgeschichte unseres rheinischen Bauerntums zeigen und deren Denkmälern ein Asyl geben. Niemals aber zuvor erfuhr unsere bäuerliche Welt solche grundlegenden Wandlungen in ihrem inneren Wesen und ihrer äußeren Erscheinung wie in der Gegenwart. Technisierung und Rationalisierung, Verkehr, vorrückende Industrien, daneben soziale Schwankungen, all dies zusammen bringt einen radikalen Bruch in der bislang noch verhältnismäßig ruhig hinfließenden Entwicklung mit sich. Altes wird über Bord geworfen und der Blick ist nur auf das Neue gerichtet. Und damit sind unversehens auch die Denkmäler der alten bäuerlichen Welt in die Zone höchster Gefährdung geraten. Für sie wird das Rheinische Freilichtmuseum aufgebaut.
Keiner wird irgendwann um die Frage herumkommen, wo er steht in der Welt. Er findet keine Antwort, wenn er nicht weiß, woher wir kommen. Darum ist jedes unwiderbringliche Stück unserer alten bäuerlichen Kultur, das mißachtet zerstört wird, ein Verlust für uns alle.
Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1959
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