Die normannischen Einfälle in das Gebiet des Kreises Euskirchen und ihre Folgen
Von Werner Sieper

Das Gebiet des Kreises Euskirchen blieb nicht von den Raubzügen der Normannen verschont. Das Quellenmaterial ist überaus dürftig und nicht frei von Irrtümern. Wir müssen daher versuchen, aus unserem heutigen Abstand heraus die Dinge verstandesmäßig zu erfassen, wenn wir zu einer wirklichkeitsnahen Vorstellung über das Ausmaß der Heimsuchung gelangen wollen.


Die Normannen im Rheinland

Bereits zu Lebzeiten Karls des Großen äußerte sich in den Küstengebieten die normannische Gefahr. In der Folgezeit nahm die Aktivität der nordischen Seeräuber zu. Ab 843 erschienen sie jedes Jahr, und alsbald dehnten sie, die Schwäche des Reiches erkennend, ihre Unternehmungen in zunehmendem Maße auf das Hinterland aus. Lange Zeit trug der Westen die Hauptlast dieses grauenhaften Geschehens, das keine Gnade kannte.

Folgen wir den Geschichtsschreibern 1), so ist der Ablauf der Ereignisse, soweit sie uns hier interessieren, etwa folgender. Ab 881 richteten die Normannen ihre Raubzüge auch gegen das Rheinland im heutigen Sinne. Ihr erstes Unternehmen dran aber nur bis zur Pfalz Nymwegen durch, die zerstört wurde. Ein zweiter Vorstoß vollzog sich aus der Gegend von Maastricht/Roermond, wo ihre Flotte auf der Maas lag und feste Landeplätze errichtet wurden, gegen das Gebiet westlich des Flusses. Dabei gingen u.a. die Plätze Lüttich, Tongern, Maastricht in Flammen auf. Der letzte und verheerendste Vorstoß dieses Jahres aber richtete sich gegen den Raum zwischen Maas und Rhein. Ihm fielen nach der Chronik des Abtes Regino von Prüm, den Annalen von Fulda und weiteren Quellen zum Opfer: Köln, Bonn, Neuß, Jülich, die Pfalz zu Aachen und die Klöster Kornelimünster, Malmedy und Stablo. Es kann sich daher aber nur um eine den Chronisten besonders wichtige Auswahl an heimgesuchten Plätzen handeln.


Kreis Euskirchen
Schraffierte Fläche = von den Normannen nicht heimgesuchter Teil

Entweder im Zusammenhang mit der vorerwähnten Aktion oder zusätzlich erfolgte ein Vorstoß auf das Kloster Prüm, das nach Regino und den Annalen von Fulda geplündert und gebrandschatzt wurde, und zwar nach erstgenanntem Chronisten gleich zu Anfang des Jahres 882. Kurz darauf erfolgte ein weiterer Raubzug, dem Trier zum Opfer fiel, aber nicht, wie beabsichtigt, weiter durchdrang. Im Jahre 883 fuhren die Normannen den Rhein hinauf und brandschatzten u. a. Andernach und Kreuznach, sodann 884 bis Duisburg, wo sie sich verschanzten. Hier konnten sie in Schach gehalten werden, bis sie 885 wieder abzogen. Im Jahre 891 verheerten die Normannen von ihren Landeplätzen an der Maas aus das der Pfalz benachbarte Gebiet, brachen das Unternehmen offenbar alsbald ab, als sie erfuhren, daß ein Reichsheer an ihrem festen Landeplatz an der Maas stände. Sie kehrten zur Flotte zurück und schlugen den überraschten Gegner. Dieses Ergebnis gab König Arnulf Veranlassung, selbst einzugreifen. Er schlug sodann die Normannen bei Löwen, wo sie sich verschanzt hatten.

Anfang 892 erfolgte der letzte normannische Einfall in das Rheinland, wieder von einem ihrer Landeplätze an der Maas aus. Ihr Ziel waren offenbar am Rhein gelegene Plätze. Aber sie stießen bei ihrem Vormarsch in Richtung Remagen/Sinzig etwa in der Gegend von Mehlem auf ein Reichsheer, dem sie sich nicht gewachsen fühlten. Sie schlugen daraufhin, die offene Ebene aufgebend, auf der sie verfolgt und abgeschnitten werden konnten, den für sie sicheren Weg durch die Eifel ein, der sie nach Prüm führte, das sie erneut heimsuchten und von wo aus sie auf schnellstem Wege zur Flotte zurückkehrten.


Die Raubzüge von 881 und 892

Von den vorerwähnten Einfällen der Normannen haben diejenigen von 881 (letzte Aktion) und von 892 unzweifelhaft das Kreisgebiet Euskirchen berührt.

Beide Raubzüge hatten als Ausgangspunkt die beiden oder einen der beiden festen Landeplätze an der Maas im Raume Maastricht/Roermond bei dem früheren Elsloo und bei Asselt, wohin man zurückkehrte und wo die Beute auf die Schiffe verladen wurde. Bringen wir diese Operationsbasen in Beziehung zu den Plätzen, die der Abt Regino von Prüm, der die Ereignisse miterlebt hat und somit als der zuverlässigste Chronist gelten muß, als bei der Aktion von 881 gebrandschatzt erklärt, so ergibt sich eine trapezförmige Zerstörungszone, begrenzt im Norden von der Linie Roermond - Neuß, im Süden von Bonn - Stablo, im Osten von Neuß - Bonn und im Westen von Stablo - Roermond. Damit ist natürlich nur ein allgemeiner Anhalt gegeben. Die südliche Abgrenzung Bonn - Stablo teilt nun das Kreisgebiet Euskirchen in einen nördlichen heimgesuchten und einen südlichen nicht heimgesuchten Teil, was auch mit dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse von 881 in Einklang steht. Denn als südlichster Ort, der den Normannen zum Opfer fiel, wird von Regino Zülpich angegeben, das noch etwas nördlich unserer Abgrenzung liegt, während Münstereifel südlich von ihr liegt, das nicht gebrandschatzt und geplündert worden ist. Jedenfalls fehlt für ein solches Geschehen aber auch jeder Anhalt, geschweige denn Beweis, und Abt Regino von Prüm hätte sich in seiner Chronik bestimmt nicht über die Heimsuchung seines eigenen Filialklosters zu Münstereifel ausgeschwiegen, wenn eine solche erfolgt wäre.


Zülpich - Münstereifel - Flamersheim

Bei den Raubzügen von 881 traten die Normannen mit relativ starken Verbänden an, die vermutlich getrennt operiert haben. Würden wir nun das Vorgehen im belgischen Raum gegen Malmedy/Stablo als Sonderaktion angesehen, in derem weiteren Verlauf die Plünderung von Prüm Anfang 882 erfolgte, so müßten wir das Geschehen in unserem Raum auf der allgemeinen Linie Bonn - Zülpich nach Süden hin abgrenzen. So oder so, die Verschonung des Klosters und der Siedlung Münstereifel ist ein unausräumbarer Beweis, daß die Normannen damals im Bereich Bonn - Euskirchen - Zülpich nicht weiter südlich vorgedrungen sind. Sie haben sich hier ganz offensichtlich mit der Ausplünderung des Eifelvorlandes begnügt. Man ist geneigt, als Abgrenzung der Heimsuchungszone in südlicher Richtung die Linie Rheinbach - Flamersheim - Billig - Zülpich anzunehmen, die man sich bis Vlatten und Hergarten fortgeführt denken könnte, nämlich des Königshofes Vlatten und dessen Filialhofes Hergarten wegen. Es erscheint undenkbar, daß die Normannen, die damals auch nicht auf den geringsten Widerstand stießen, bei ihrem Einfall in das Euskirchener Kreisgebiet das für sie vielleicht wichtigste Objekt, das Verwaltungs- und Wirtschaftszentrum in Form des pfalzartigen Königshofes Flamersheim, der doch gewissermaßen auf dem Präsentierteller lag, unberührt ließen. Dies um so mehr, als die normannischen Aktionen keineswegs planlos vonstatten gingen, sondern wohl durchdacht und organisiert waren in Kenntnis der örtlichen und regionalen Verhältnisse. Tatsächlich ist denn auch der Königshof Flamersheim damals ausgelöscht worden, ein Standpunkt, der schon von der neueren und neuesten Geschichtsschreibung vertreten wird, vgl. Decker 2) und Mürkens 3). In diesem Zusammenhang sei noch auf folgendes hingewiesen.


Alte Heerstraßen

Bei der Beurteilung militärischer Operationen der Frühzeit wird allzu oft von Verkehrsverbindungen ausgegangen, die es damals noch gar nicht gab oder nur vermeintliche sind, wie eine Großzahl der „Römerstraßen“, die bis vor 50 Jahren etwa überall „entdeckt“ und behauptet worden sind, in Wahrheit aber gar nicht existiert haben oder aus mittel- und nachmittelalterlicher Zeit stammen. Die wirklich vorhanden gewesenen Römerstraßen, vor allem die großen Fernstraßen, dürfen wir natürlich nicht übersehen, wenngleich auch sie, soweit sie der späteren andersartigen Orientierung nicht mehr entsprachen, aufgegeben wurden. Die Normannen haben bestimmt die wichtigsten unter ihnen noch benutzt. Aber wir dürfen sie nicht auf Straßen vordringen oder zurückmarschieren lassen, die damals nicht bestanden haben. Das gilt insbesondere für die Aachen-Frankfurter Heerstraße, die sogenannte Krönungsstraße, der Geschichtsschreibung Karl dem Großen zugesprochen worden ist, in Wahrheit aber viel jüngeren Datums ist, so daß die Normannen sie gar nicht benutzt haben können. Anders liegt der Fall mit der Aachen-Bonner Heerstraße, die zwar wesentlich älter ist als die Krönungsstraße, deren Verlauf entgegen bisherigen Stellungnahmen aber auf einer ausgedehnten Teilstrecke noch nicht geklärt erscheint. - Man sollte sich einmal die Frage vorlegen, ob nicht ursprünglich entlang der Eifel eine etwas erhöht gelegene und entsprechend trockene Eifelrandstraße verlief, die durchaus keine Fernverbindung gewesen zu sein braucht, die sich im übrigen mit der oben aufgezeigten südlichen Demarkationslinie der normannischen Zerstörungszone decken würde (Rheinbach - Flamersheim - Billig - Zülpich - Richtung Soller/Düren).


Tomburg

Der Raubzug von 892 spielte sich unter wesentlich andersartigen Bedingungen ab. Er scheint schon, im Zeichen der Erlahmung der Kräfte und Initiative auf normannischer Seite und der Erstarkung von Abwehrkraft und –wille bei den Deutschen zu stehen. Der Einfall war offensichtlich auf Schnelligkeit und Überraschung abgestellt. Am Rhein stieß man auf einen zum Gegenschlag bereiten Gegner, jedenfalls auf einen solchen, vor dem man Respekt hatte. Die Normannen zogen sofort die Konsequenzen und ihre Reaktion war ebenso klug wie verwegen. Statt des kürzeren Rückzugsweges durch die Ebene, auf dem ihnen der Gegner folgen konnte, wählten sie den weiteren durch die Eifel, der ihnen Sicherheit bot. Ihr zügiger Rückmarsch gestattete ihnen sogar noch, das Überraschungsmoment ausnutzend, ein zweites Mal Prüm zu plündern und ungestört zur Flotte auf der Maas zurückzukehren.


Normannen in Münstereifel

Auf ihrem Vormarsch zum Rhein drangen die Normannen in den Kreis Euskirchen ein, aber bei der Zügigkeit der Aktion dürfte er höchstens im Bereich des eingeschlagenen Weges in Mitleidenschaft gezogen worden sein, jedenfalls dürfte das angerichtete Unheil bei weitem nicht das Ausmaß vn 881 angenommen haben. Das erhellt auch schon aus der Tatsache, daß uns Abt Regino von Prüm bis auf sein Prümer Kloster keinen einzigen Platz als heimgesucht angibt. Auf ihrem Rückmarsch vom Rhein nach Prüm und von dort zur Maas dürften die Normannen nicht einmal die Südspitze des Euskirchener Kreisgebietes berührt haben, geschweige denn den Westteil. Münstereifel und insbesondere sein Kloster ist demnach auch bei der Aktion von 892 verschont geblieben, was sich indirekt wiederum daraus ergibt, daß der Abt Regino nichts von der Heimsuchung seines Münstereifeler Klosters berichtet.


Münstereifel - Blick vom Johannistor

Wenn aber die Normannen weder bei der Aktion von 881 noch bei der von 892 Münstereifel berührt haben, dann haben sie auch nicht, wie ihnen von der Geschichtsschreibung unterstellt - vgl. u. a. Hürten 4) -, die „Alte Burg“ zu Münstereifel zerstört. Es ist überdies ein Widerspruch in sich, die „Alte Burg“ als von den Normannen zerstört zu erklären, nicht aber das Kloster, das doch vom Standpunkt der Seeräuber das Primäre war, auf das sie es jedenfalls abgesehen hätten. Natürlich ist es undenkbar, daß nur die Burg, nicht aber das Kloster zerstört worden wäre, es ist aber wohl denkbar, daß das Kloster heimgesucht worden wäre, ohne sich an die Burg herangewagt zu haben.

Mit der angeblichen Zerstörung der „Alte Burg“ zu Münstereifel, die außerhalb des Stadtberings liegt, hat es folgende Bewandtnis. Die Burg ist identifiziert worden mit derjenigen, über die sich der Abt Regina wie folgt ausläßt (892):

„Von dort (Prüm) aufbrechend, dringen sie (die Normannen) in den Ardennenwald (d. h. die Eifel) vor, wo sie eine Burg, die auf einer hervorragenden Bergspitze neuerdings erbaut, einer zahllosen Volksmenge Zuflucht gewährte, angreifen und ohne Verzug erobern. Nachdem sie alles getötet, kehren sie mit ungeheurer Beute zur Flotte zurück...“

Dabei ging man von der völlig irrigen Vorstellung aus, die Normannen hätten sich, statt den kürzesten Weg zur Flotte einzuschlagen, der in etwa nördlicher Richtung von Prüm verläuft, wieder zurück in die Bonn-Euskirchener Gegend begeben, um angeblich dort abgestellte Beute abzuholen, obzwar sie doch allen Anlaß hatten, nicht dem Gegner, dem sie ausgewichen waren, in die Arme zu laufen und sich eiligst im Schutze des Gebirges davonzumachen. - Wenn der Abt Regino wirklich die „Alte Burg“ von Münstereifel gemeint hätte, so lag für ihn außerdem nichts näher, als ihren Standort bei Münstereifel anzugeben, abgesehen davon, daß, wie schon dargetan, die Eroberung der Burg die Plünderung des Klosters Münstereifel zur Voraussetzung hat, was uns der Abt sicherlich genau so ausführlich dargetan hätte, wie die Heimsuchung des Klosters Prüm 882 und 892. - Von anderer Seite wird übrigens die südwestlich von Prüm gelegene Dasburg und neuerdings auch die „Alte Burg“ Nörvenich (Kreis Düren) als die vom Abt Regino erwähnte Burg erklärt, ohne auch nur den Schimmer eines entsprechenden Anhaltes geltend machen zu können, abgesehen davon, daß ihr Standort das genaue Gegenteil beweist. Die einzige weitab vom Kreisgebiet liegende Burg, die allen Bedingungen der Reginoschen Darstellung und dem wirklichen Ablauf der normannischen Aktion von 892 entspricht, wird seitens des Verfassers im Rahmen einer burgenkundlichen Arbeit behandelt werden.

Ungeklärt bleibt freilich die Frage, warum die Normannen bei ihrem mit starken Kräften durchgeführten Einfall von 881, zumal er völlig störungsfrei verlief, nicht die wenigen Kilometer weiter südlich vorgestoßen sind, die zwischen den heimgesuchten Plätzen Zülpich und Flamersheim einerseits und Münstereifel andererseits liegen. Es kann ja nicht sein, daß ihnen das um 830 gegründete Kloster zu Münstereifel unbekannt oder unbedeutend war, wurde es doch schon im Reichsteilungsvertrag von Mersen 870 zusammen mit so gewichtigen Klöstern wie Prüm, Stablo und Echternach erwähnt. Im Jahre 898 fand ein Besuch des Königs Zwentibold statt, und außerdem erhielten das Kloster Münstereifel und die angeschlossene Siedlung um die gleiche Zeit Markt-, Zoll- und Münzrecht, was sehr viel besagt und außerdem ein schlüssiger Beweis dafür ist, daß Münstereifel unmöglich 881 oder 892 heimgesucht worden sein kann. -

War vielleicht die im Raum Bonn-Zülpich gemachte Beute schon so groß, daß es ratsam erschien, die Aktion abzubrechen, jedenfalls erstere zur Flotte abzutransportieren und auf einen Überfall auf Münstereifel zu verzichten? Möglicherweise sind es die gleichen Gründe gewesen, die die Normannen veranlaßt haben, nach ihrem ersten Überfall auf Prüm von Anfang 882, der wie die Aktionen von 881 ungehindert verlief, auf einen Rückmarsch über Münstereifel zu verzichten um auf kürzestem Wege die reiche Beute zur Flotte auf der Maas zu transportieren. Wenn diese Aktion als eine Fortsetzung der gegen die Klöster Malmedy/Stablo gerichteten anzusehen wäre, war man freilich ohnehin in der Zwangslage, die bei letztgenannten Klöstern abgestellte Beute abzuholen und den Rückweg über diese zu nehmen


Normannen und Festland

Im Rahmen der vorliegenden kurzen Betrachtung, bei der einige wenige normannische Aktionen aus dem großen Zusammenhang viele Jahrzehnte langer systematischer Ausplünderung und Drangsalierung des Festlandes herausgerissen werden mußten, ist an eine kriegsgeschichtliche Würdigung des Problemes nicht zu denken. Begnügen wir uns daher im Sinne der Abrundung des Sachvortrages mit einigen Erläuterungen.

An sich stand hinter den Normannen keine große Volkszahl. Aber der räuberische Krieg war bei ihnen zu einem Beruf geworden. Ihre eigentliche Operationsbasis war das Meer, auf dem sie zu Hause waren und das ihnen die Möglichkeit bot, jederzeit und überall überraschend anzugreifen. Das Gesetz des Handelns lag demnach fast ausschließlich bei ihnen. Hinzu kam ihre große Beweglichkeit auf dem Lande, zumal sie die Versorgungsfrage nach dem Grundsatz lösten, daß der Krieg sich selbst ernährt. Obzwar sie sogar unter Auswertung der Flüsse bis tief in das Hinterland vorstießen, blieben sie, dort wo sie auftraten, lange Zeiten hindurch die zahlenmäßig überlegenen. Ihr gefährlicher Kriegscharakter paarte sich mit Kühnheit, Kampferfahrung und einer spezifisch animalen, fast noch barbarischen Wesensart.


Königshof Flamersheim - Skizze
Die schraffierte Fläche gibt den ungefähren Standort des von den Normannen im Jahre 881 zerstörten Königshofes Flamersheim an

Umgekehrt war auf dem Festland die germanische Wehrverfassung, d. h. die natürliche Kriegsbereitschaft des gesamten waffenfähigen Volkes, längst verklungen. Das Kriegswesen war auf dem Wege, Sache eines zahlenmäßig schwachen Berufskriegerstandes zu werden, aufgebaut auf der Gefolgschaftstreue. Die Masse des Volkes ging friedlicher Beschäftigung nach bei entsprechender Wehrentfremdung. Die Wehrorganisation war überaus schwerfällig. Der Kriegerstand war an seine über das ganze Land verteilten Wohnsitze gebunden, ihre Mobilisierung nahm viel Zeit in Anspruch, und es war sehr schwer, ein größeres Vasallenheer zu versammeln und zu verpflegen. Die Gebiete, in die die Normannen bei ihren räumlich beschränkten Operationen vorstießen, konnten aus eigener Kraft nichts oder doch nur sehr wenig gegen sie unternehmen, und bevor gegen sie ein Heer aus weiten Gebieten zusammengezogen war, waren sie im Regelfalle längst auf und davon. Hinzu kam folgendes.

Unter Karl dem Großen stand das gesamte Kraftpotential des Reiches unter einem Willen. Bei den nach ihm aufkommenden Auseinandersetzungen unter den Erben der fränkischen Teilreiche wurden nicht nur die Kräfte zersplittert und gebunden, sondern sie waren auch einem erheblichen Verschleiß unterworfen. Man denke nur an die furchtbare Bruderschlacht von Fontenai im Jahre 841, in der ein Großteil der Blüte des Kriegerstandes dahingerafft wurde. Trotz des normannischen Drangsals zog Karl der Kahle 876 gegen Ludwig III. an den Rhein, um dort geschlagen zu werden (Andernach). Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß die Normannen im 9. Jahrhundert das Festland ausplündern, jede Ordnung zerstören und entsetzliches Leid den Menschen jener Tage zufügen konnten. Sie sind auch in Wahrheit selbst in der Endphase nie entscheidend geschlagen worden. Freilich waren auch ihnen natürliche Grenzen gesetzt, und in dem gleichen Maße, wie ihre Kräfte dem Verschleiß unterworfen waren, versteifte sich allmählich die aus dem großen Festlandsraum schöpfende Abwehr. So wurde zwangsläufig die Zeit reif zu einer Lösung des normannischen Problems. Die Normannen wurden in den beiden Teilreichen, so besonders im französischen Raum, z. B. in der nach ihnen benannten Normandie, angesiedelt und lernten, sich friedlichen Aufgaben zu widmen. Einmal gezähmt und christianisiert, verlor sich genau wie bei den Germanen nach der Völkerwanderungszeit ihr gefährlicher Kriegscharakter von selbst. Sie gingen in der einheimischen Bevölkerung auf, deren Sprache und Kultur sie annahmen.


Abt Regino und Prüm

Welchen Sinn spontaner, unorganisierter Widerstand einer kampfunerfahrenen Bevölkerung damals hatte, lehrt uns der Abt Regino in sehr anschaulicher Form. Er schreibt:

„Den Ardennenwald (d. h. die Eifel) durchstreifend, dringen sie (die Normannen) gerade am Tage der Erscheinung des Herr (6. Jan. 882) in das Kloster Prüm ein, wo sie sich drei Tage aufhalten und die ganze umliegende Gegend ausplündern. In diesem Landstrich sammelt sich eine unzählige Menge Fußvolk von den Äckern und Landgütern in einem Haufen und rückt wie zum Kampfe gegen jene vor. Aber die Normannen, als sie dies Bauernvolk nicht sowohl waffenlos als vielmehr aller Kriegszucht entblößt sahen, fallen mit Geschrei über sie her und strecken sie unter einem Gemetzel nieder, daß unvernünftiges Vieh, nicht Menschen geschlachtet zu werden schienen. Nachdem dies also vollbracht war, kehrten sie beutebeladen in ihr Lager zurück. Als sie abzogen, verzehrte das Feuer, welches in verschiedenen Gebäuden brennend zurückgeblieben war, das Kloster, weil niemand zum Löschen da war.“

Burgen, sofern in fester Lage und abwehrkräftig, aber evtl. auch noch intakt gebliebene Volksburgen, boten wohl den besten Schutz. Geschützte oder feste Hofanlagen besaßen weder Aufhaltekraft noch genügend Sicherheit für Zufluchtsuchende. Auch Stadtbefestigungen scheinen ihrer Ausdehnung wegen von zweifelhafter Natur gewesen zu sein. Ausnahmen bestätigen die Regel. Für die meisten Menschen war es wohl das Vernünftigste, schnellstens mit Hab und Gut in Wäldern oder an schwer zugänglichen Stellen Zuflucht zu suchen. Je mehr sich die Bevölkerung verteilte, desto sicherer war sie, ganz allgemein gesehen. Zu einer systematischen Abkämmung des Geländes scheint es nicht gekommen zu sein. Die Normannen waren jedenfalls auf den Zusammenhalt ihrer Kräfte aus guten Gründen bedacht und bestrebt, ihre Aktionen zügig durchzuführen, sofern sie nicht absolut sicher waren und sich nicht gut verschanzen konnten. Zwar war ein Warn- und Signalwesen ausgebaut worden, aber es scheint doch, besonders seitdem die Normannen auf den Flüssen bis tief in das Hinterland eindrangen, nicht recht funktioniert zu haben. Prüm wurde jedenfalls, wie uns der Abt Regino mitteilt, 892 völlig überrascht. Erwiesen ist auf alle Fälle, daß die Normannen weit besser über ihren Gegner orientiert waren, als dieser über sie. Man baute damals sozusagen nur in Holz. Die hölzernen Bauwerke gingen im Zuge der Plünderungsaktionen bzw. bei Abmarsch absichtlich oder unabsichtlich in Flammen auf, zumal, wie der Abt Regino richtig sagt, niemand zum Löschen da war. Deswegen darf aber nicht, wie dies leider geschieht, behauptet werden, daß nun alles vernichtet wurde. Die gemauerten Bauwerke, z. B. bedeutende Kirchen, noch benutzte römische Stadtbefestigungen usw., entgingen bis auf ihre Holzkonstruktionen (Dächer, Fußböden usw.) weitgehend der Vernichtung. Das beste Beispiel ist u. a. die gemauerte Pfalzkapelle zu Aachen, die nach den Annalen von Fulda den Normannen einfach als Pferdestall gedient hat.


Die Hardtburg bei Stotzheim

Unvorstellbar sind die Leiden der Menschen in den von den Normannen heimgesuchten Gebieten gewesen. Ordnung und Sicherheit wurden zu leeren Begriffen. Jedenfalls wurde das Verwaltungsgefüge, das ohnehin den Schwächen einer analphabeten Oberschicht gemäß war, in den Verheerungszonen seiner Grundlagen beraubt und aus den Angeln gehoben. Der Glaube an die Sendung und Macht der Krone schwand dahin. Das Selbstschutzbedürfnis wurde innerhalb der Oberschicht zur tragenden Idee erhoben. Die Entmachtung der Krone, der Reichsgewalt, nahm ihren Anfang und führte zur Aufgabe des Reichsgedankens und letztlich zur Zersplitterung der Volkskraft durch das Aufkommen der Territorialgewalten, die dem Deutschtum zum Verhängnis wurden. (Im übrigen wird auf Delbrück 5) und Schuchhardt 6) verwiesen.)


Spärliche Geschichtsquellen

Das wirkliche Ausmaß der Plünderungsaktionen im Bereiche des Kreises Euskirchen wird sich in seinem vollen Umfange niemals mehr feststellen lassen. Die spärlichen Geschichtsquellen geben uns höchstens einen gewissen Anhalt. Immerhin wird sich unser Wissen erweitern, zumindest um die Erkenntnisse, die wir aus zukünftigen Grabungen gewinnen. So stieß man bereits anderwärts im Zuge von Kirchenum- und –neubauten auf die Reste hölzerner Urkirchen, deren Untergang zeitlich mit den Normanneneinfällen übereinstimmt. Die immer schon behauptete Zerstörung des pfalzartigen Königshofes Düren, die aber quellenmäßig nicht gesichert ist, fand ihre Bestätigung durch die vor etwa 10 Jahren vorgenommene Grabung im Bereiche der im letzten Krieg zerstörten Annakirche. Oft deutet sich der normannische Eingriff gewissermaßen indirekt an, so durch Abwertung eines Objektes, das plötzliche Aufkommen neuer Entwicklungen und Rechtsverhältnisse, die den Schluß auf einen grundlegenden Wandel infolge eines Gewaltaktes zulassen.

So stoßen wir im Bereiche des Kreises Euskirchen in der Folgezeit auf Verhältnisse und Vorgänge, die ganz offensichtlich mit dem Untergang des Verwaltungsgefüges in ursächlichem Zusammenhang stehen. Die Hauptzentren, der Gauverwaltungsort Zülpich, das römische Tolbiacum mit seiner großen Vergangenheit, seinen uralten Kirchen und seinen ursprünglich zum Krongut gehörenden ausgedehnten Besitzungen (Hofverband), des weiteren der pfalzartige Königshof Flamersheim, dem nicht nur die Verwaltung des ihm vorgelagerten Flachlandes mit den zahlreichen zur Hoforganisation gehörenden Filialhöfen oblag, sondern auch des fiskalischen Forstes, des Flamersheimer Waldes, schieden nach ihrer Verwüstung für lange Zeit aus oder blieben für alle Zeit ausgelöscht. - Die Pfalzgrafen als Verwalter des Krongutes wanderten zur Tomburg ab und übernahmen die Grafengewalt in zahlreichen Gauen, so auch im Zülpichgau. Unverkennbar ist nicht zuletzt das Bestreben, eine neue Ordnung an die Stelle des zertrümmerten zu setzen und die Wunden zu heilen, die die normannische Geißel geschlagen hatte.

Natürlich geben uns die Chronisten jener Frühzeit nur einen spärlichen, allgemeinen Hinweis auf das Zeitgeschehen. Und wenn sie wie der mitten in den Ereignissen stehende Abt Regino, auf Einzelheiten eingehen, so sind es solche, die ihnen selbst besonders wichtig erscheinen oder die sie unmittelbar auf das Tiefste beeindruckt haben. Es ist daher verständlich, daß sie nur Örtlichkeiten erwähnen, die damals weitgehend bekannt waren, wie z. B. Zülpich, jedenfalls weniger bekannte Plätze unbekümmert um ihre ungewöhnliche Bedeutung in regionaler Sicht übergehen, wie z. B. die Königshöfe Düren und Flamersheim. - Es ist demnach unsere Aufgabe, aus unserem heutigen Abstand heraus, jetzt und in Zukunft Licht in das Dunkel jenes schrecklichen Geschehens zu tragen. Wenn der vorliegende Beitrag hierzu Anregung gibt, so hat er bereits seinen Zweck erfüllt.

Quellen:
1) Regionis abbatis Prumensis chronicon (Chronik des Abtes Regino, Prüm)
. . Annales Fuldenses
. . Annales Vedastini
. . Ludprandi Antapodosis
2) Pfarrer Decker, Über die villa regia Flamersheim, Annalen 24, 1872.
3) Prof. Dr. Mürkens, Die Ortsnamen des Kreises Euskirchen, 1958.
4) Prof. K. Hürten, Geschichte der Stadt Münstereifel, 1926.
5) H. Dellbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte, 1909.
6) Prof. Dr. C. Schuchhardt, Die Burg im Wandel der Weltgeschichte, 1931.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1963

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