Puppen und ihre Welt
von Hans-Georg Schmeling

Sonderausstellung im Rheinischen Freilichtmuseum Kommern

Am 21. Mai 1971 wurde im Rheinischen Freilichtmuseum in Kommern eine Sonderausstellung eröffnet, die bereits monatelang vorher von vielen Seiten mit Spannung erwartet wurde: „Puppen und ihre Welt.“


Puppen-Antiquitätenladen um 1900

Daher war es nicht verwunderlich, daß an der Eröffnungsfeier zahlreiche Vertreter der Landes- und Kommunalpolitik sowie fast alle Museumsleiter des Rheinlandes teilnahmen. Selbstverständlich fehlten auch die Presse, der Hörfunk und das Fernsehen nicht. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die schon seit vielen Jahren bei allen Experten bekannte und geschätzte „Sammlung Junghanns“, die ihre Entstehung einer einzigen Frau verdankt: Maria Junghanns (+ 1965), Gattin eines Freiburger Arztes, trug jahrzehntelang mit unermüdlicher Leidenschaft über 80 Puppenhäuser, mehr als 3.000 Möbel- und Inventarstücke sowie eine große Anzahl von Puppen unterschiedlicher Art und Größe zusammen. Der Grund zum Sammeln dieses Spielzeugs war für Frau Junghanns die Überzeugung, daß ohne ihr Eingreifen zahllose wertvolle und überlieferungswerte Gegenstände sang- und klanglos verschwinden würden. Zu dieser Erkenntnis gelangte sie während des ersten Weltkrieges. Damals war Freiburg das Ziel eines der ersten Flugangriffe der Geschichte. Als Frau Junghanns nach diesen Bombardement durch die Straßen ihrer Heimatstadt ging, sah sie in einem der zerstörten Häuser eine halb verschüttete Puppenstube. In jenem Augenblick faßte sie den Entschluß, sich dieser Spielzeugsammlung mit besonderer Intensität zu widmen. So entstand im Laufe der Jahrzehnte die größte private Puppenstubensammlung Europas.


Die Puppenküche, 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts

Frau Junghanns stellte die Puppenstation an mehreren Orten auf, zuletzt befanden sie sich im Schloß Frauenberg bei Bodmann (Bodensee). Diese kalte und feuchte Unterkunft wirkte sich jedoch auf die Beschaffenheit der Exponate sehr ungünstig aus, besonders nachdem Frau Junghanns verstorben war und niemand die notwenige Zeit zur sorgfältigen Betreuung und Wartung der vielen Gegenstände aufbrachte. Daher entschloß sich der neue Besitzer, ein Neffe von Frau Junghanns, notgedrungen zum Verkauf der Sammlung. Es fanden sich bald gut situierte Interessenten im In- und Ausland, sogar in Amerika; sie wollten vor allem einige besonders wertvolle Einzelstücke erwerben. Der Erbe der leidenschaftlichen Sammlerin glaubte jedoch im Sinne seiner Tante zu handeln, wenn er die Sammlung nur in ihrer Gesamtheit veräußerte, und zwar wieder, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So gelangte das Lebenswerk der Maria Junghanns in den Besitz des Rheinischen Freilichtmuseums.

Für die Restauratoren und Handwerker des Museums begannen nach dem Erwerb der Sammlung anstrengende Monate mühevoller Kleinarbeit. Jedes einzelne Puppenhaus mußte sorgfältig renoviert werden. Schadhafte Fußböden, Wände und Treppen wurden ausgebessert, zerbrochene Fensterscheiben ersetzt und alle notwendigen Gebäudeteile mit einem originalgetreuen Farbanstrich versehen. An den Einrichtungsgegenständen mußten oft winzige Teilchen ergänzt oder repariert werden, die Gardinen und anderen alten Textilien wurden vorsichtig gewaschen, gestärkt und gebügelt. Selbstverständlich wurde jedes Zimmer stilecht tapeziert, obwohl die Beschaffung entsprechend alter Tapeten mit großen Schwierigkeiten verbunden war. Wurden jedoch an irgendeiner Wand mehrere Tapetenschichten festgestellt, dann legte der Restaurator in langwieriger und mühseliger Kleinstarbeit die ursprüngliche Tapezierung wieder frei. Schließlich erhielt jedes Puppenhaus ein staubdichtes Gehäuse und eine indirekte Beleuchtung.

Insgesamt sind 80 Puppenhäuser mit über 120 Einzelräumen ausgestellt; sie wurden fast ausschließlich im vorigen Jahrhundert angefertigt, nur wenige Exemplare entstammen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Unter den Exponaten befinden sich so kostbare Stücke wie das Puppenhaus der Baronin Kalkreuth sowie dasjenige einer Hofdame von Sachsen, ein Berliner Musiksalon, ein Hochzeitszimmer, zwei Schulklassen, Marionettentheater, Verkaufsstände, Wohn- und Schlafräume, Pferdeställe und vor allen Dingen viele Küchen. Sie sind bis in Einzelheiten genau mit dem früher üblichen Hausgerät versehen und verdeutlichen so den Zweck dieser Spielzeuggattung: Die jungen Mädchen des 19. Jahrhunderts sollten durch den Umgang mit den Puppenstuben im wahrsten Sinne des Wortes „spielend“ auf die für sie ausersehenen Lebensaufgaben vorbereitet werden, nämlich auf die Betreuung von Küche und Kindern.

Durch den Anblick der vielen schmuckvollen Gegenstände in dieser Ausstellung kann der Besucher leicht dem Eindruck erliegen, als ob das 19. Jahrhundert der Prototyp der „guten alten Zeit“ gewesen sei. Aber gerade dies Jahrhundert war voller sozialer Gegensätze und Ungerechtigkeiten. Die Puppenstuben waren keineswegs Allgemeingut, sondern lediglich den Kindern einer bürgerlichen bzw. feudalen Oberschicht als Spielzeug vorbehalten. Die Kinder der Arbeiter und Bauern jedoch hatten weder Zeit noch Geld, um mit solchen kostbaren Gegenständen zu spielen. Meist waren diese Berufsschichten so verarmt, daß die Kinder durch umfangreiche Mitarbeit zur Verbesserung des erbärmlichen Lebensstandards beitragen mußten. Daher wird das 19. Jahrhundert leider mit Recht als das „Jahrhundert der Kinderarbeit“ bezeichnet.


Im Freilichtmuseum Kommern: Teil der Baugruppe „Westerwald-Mittelrhein“

Im Vorraum der Ausstellungshalle weisen einige Graphiken bekannter Künstler wie Käthe Kollwitz, Pablo Picasso und Heinrich Zille deutlich auf die sozialen Mißstände des vorigen Jahrhunderts hin. Auszüge aus Inspektionsprotokollen berichten von zehn- bis vierzehnstündiger Kinderarbeit unter den unwürdigsten Bedingungen. Bei den Kindern der Heimarbeiter, die keiner staatlichen Kontrolle unterlagen, waren die Arbeitszeiten im allgemeinen noch länger.

So soll diese Ausstellung, die auch noch 1972 während des ganzen Jahres zu sehen ein wird, nicht nur das Auge und Gemüt erfreuen, sondern darüber hinaus ein wenig zum Nachdenken anregen über eine Zeit, die noch weit vom sozialen Rechtsstaat entfernt war.

Fotos: Rheinisches Freilichtmuseum Kommern

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1972

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