Kirchheim - Erkundliches, Geschichtliches, Soziales und Kulturelles

Von Wilhelm Heck

Kirchheim ist ein Dorf, das noch vor zwanzig Jahren in seinem Landschaftsbild und Volkscharakter wenig bekannt oder aber verkannt war. Das ist heute anders, da in den Sommermonaten Zehntausende fahrende oder wandernde Menschen unser Dorf, kurz vor der Steinbachtalsperre gelegen, passieren. Es lohnt sich, wenn wir uns mit ihm beschäftigen.


Erdkundliches

Als sich in grauer Vorzeit das Meer aus der von Eifel und Ahrbergen, Siebengebirge und Bergischen Höhen gebildeten Mulde zurückzog, hinterließ es die Braunkohlenlager des Vorgebirges, in dessen Fortsetzung die Tonlager und in unserer engeren Heimat fruchtbaren Lehmboden. In den Randgebirgen um unseren Ort herum aber lagerte die Grauwacke, die am Michelsberg, Tomberg und Hochtürnen von vulkanischem Basalt durchbrochen wurde.

So findet sich denn auch um Kirchheim, in den zur Ebene überleitenden Fluren, hauptsächlich fruchtbarer Lehmboden. An diesen schließt sich in Richtung Arloff Ton und Kalk an. Es lohnt sich, hier und da nach Versteinerungen zu suchen.

Die Grauwacke ist im allgemeinen erzreich. Als man um die Nachbardörfer Eisenstein, Kupfererze, Braunstein und Braunkohlen fand, setzte man vor mehr als hundert Jahren auch in den Wäldern um Kirchheim die Bohrmaschine an, u.a. auf dem Hahnen- und Silberberg. Man fand kein Erz, sondern Brandschiefer, den man wegen der schwarzen Farbe für Steinkohle hielt.

Die Gegend um Kirchheim ist wasserreich. Im Broich entspringt der Flemmerbach, an dem Flamersheim liegt, und der die dortigen Burgweiher speist. Er ist jetzt von der Kanalisation erfaßt worden. Auf dem „Wyler“ befindet sich eine Quelle, die der Wasserleitung zugeführt wurde. Weitbekannt ist heute der Busch- oder Stein- oder Klosterbach, der etwa fünf Kilometer vom Dorf bei Villa Steinbach (Jugendhof) entspringt und von der Steinbachtalsperre aufgefangen und dienstbar gemacht worden ist.

Dem verschiedenen Untergrund entspricht auch die Vegetation. Auf den zur Ebene abfallenden Feldern gedeihen unsere Getreidearten und Hackfrüchte als marktfähige Ware, dagegen sind Anbau und Ernte auf der Grauwacke dürftig. Sie ist deshalb hauptsächlich mit Wald bewachsen, der den größten Teil der Gemarkung von Kirchheim ausmacht, aber den Namen „Flamersheimer Wald“ führt. Er geht in südlicher Richtung in das Gebiet der Ahr über. Anders ist es in der Gegend, in der Tonschiefer vorherrschend ist. Weil er naß, kalt, undurchlässig ist und nur geringe Tiefe hat, ist er unfruchtbar. Er ist in Richtung Michelsberg zu finden und mit verkümmerten Heidekraut, sauren Gräsern und Wacholder bewachsen. In den an die Kirchheimer Fluren und Wälder angrenzenden Eifelgemeinden ist nur ein Fünftel des Gesamtbodens anbaufähig.

Verschieden, wie die Bodengestaltung, ist auch das Klima. Die amtl. Wettervorhersage trifft hier nicht immer zu. Wärme und Kälte, Frost, Schnee und Regen, Sturm und heiteres Wetter folgen oft schnell aufeinander. Weil die Luftströmungen durch die Berge eingeengt werden, verspürt man einen leichten Zug.

Die Temperatur ist sehr schwankend. Wie sich das Klima änderte, ersieht man daraus, daß früher bei Niederkastenholz, beim Kloster Schweinheim, bei Iversheim, Kreuzweingarten u. Effelsberg Weinberge angelegt waren. Auf jeden Fall haben damals die kalten Winde nicht den freien Zutritt zu der Ebene gehabt wie heute. Die Höhen waren mit viel stärkeren Bäumen bewachsen, die mit der Zeit der Profitgier anheimgefallen sind.


Anno 1723 den 2. Juny hat Aspamand und Anna Maria Jansens, Eheleut, dies Haus bauen lassen

Es erübrigt sich, auf die Tierwelt näher einzugehen, da sie als bekannt vorausgesetzt wird. Die Waldtiere ziehen sich infolge des Verkehrs immer mehr zurück. Hirsche wurden erst um die Jahrhundertwende ausgesetzt. Sie wurden bald für den Bauer eine Plage. Dasselbe gilt vom Wildschwein, das sich sogar bis ins Dorf wagte.


Geschichtliches

Die Träger der Geschichte des Ortes sind Kirchen und Burgen. Es ist in Kirchheim nicht anders, wenn auch keine Burg mehr vorhanden ist.

Mit dem Namen Kirchheim bezeichnet man den aus den drei Ortsteilen Oberkastenholz, Dorf und Hockenbroich bestehenden Ort. Die nördliche Straßenseite von Oberkastenholz gehörte bis zur französischen Revolution zum Ort Niederkastenholz.

Die Gemarkung hat eine Gesamtfläche von 24,36 qkm und ist die zweitgrößte der Landgemeinden im Kreise Euskirchen. Zum Ort zählen noch das ehemalige Kloster Schweinheim, die Villa Steinbach, Hülloch und Unterdikt, die fünf bis sieben Kilometer vom Ort entfernt liegen.

Erste Zeichen menschlicher Ansiedlung finden sich in Kirchheim aus der Zeit der Kelten. Die Funde, die in und um unseren Ort gemacht wurden, wanderten in die Museen.

Die Kelten lebten hier zur Eisenzeit, etwa 500 v. Chr., und werden als prunksüchtig und sehr geschickt geschildert. Die Namen unserer Nachbargemeinden Arloff, Kirspenich sowie alle Orte mit der Endung „scheid“ sind keltischen Ursprungs. Auch die Flußnamen Mosel, Ahr, Erft, Sieg, Rhein sind keltisch.

Das Volk verehrte u.a. drei Jungfrauen oder Matronen. Man spricht deshalb bei den Kelten von einem Matronenkult. Die Bilder der Matronen wurden in Stein gemeißelt. In Kirchheim wurden Matronensteine gefunden.

Die Kelten wurden vom Volksstamm der Eburonen verdrängt und diese von den Römern aufgerieben, die in der Zeit um 50 v. Chr. durch die Eifel an den Rhein zogen. In die entvölkerte Gegend schickten die Römer den ihnen zugetanen germanischen Volksstamm der Ubier. Dieser übernahm aus der römischen Sprache eine Menge Namen für Dinge wie Pfund, Korb, Kiste, Butter, Käse, Pflaumen (Prumme), Esel usw.

Die Römer legten in dem eroberten Gebiet Straßen an und befestigten bzw. sicherten sie durch Kastelle. Eine Römerstraße führte von Trier kommend über den Michelsberg, Rheinbach, Buschhoven nach Bonn. Eine andere Straße kam von Trier über Billig, Kuchenheim, Essig, Miel und vereinigte sich in Buschoven mit der obengenannten. Eine kleine Straße verband die heutigen Orte Blankenheimer Dorf, Münstereifel, Kirchheim, Buschhoven.

Zum Schutz dieser Straße hatte man bei uns „Auf dem Wyler“ ein Kastell errichtet, das gleichzeitig ein Glied in dem Festungsgürtel um Castra belgica (Billig) war. Das Kastell wird castellum in silva (Kastell im Gehölz) genannt. Daraus ist der Ortsteil Kastenholz entstanden. Wyler oder Weiler wird von Villa abgeleitet. Es ist anzunehmen, daß sich der Wald zu der Zeit von der Hardt über den im 1. Weltkrieg gerodeten Kohlenbusch zu der Hohnsheck und weiter zum Flamersheimer Wald hinzog. Das Kastell auf dem Wyler lag etwa 300 bis 400 Meter ostwärts der Hohnsheck in der Gegend, in der sich heute die Gärten der Rischgasse befinden. Hier finden sich immer wieder römische Mauerreste und Scherben.

Das schon erwähnte Wyler Pützchen war ein Teil einer römischen Wasserleitung wie auch eine solche noch heute von hier aus in Richtung Niederkastenholz zu verfolgen ist.

Die lange Besatzungszeit demoralisierte und verweichlichte die Römer, sie wurden weniger widerstandsfähig. Die Germanenstämme waren sich ihrer Macht bewußt geworden und wagten offenen Kampf mit den Römern. Die Hauptkämpfe spielten sich im 5. Jahrhundert ab. Die Franken kamen um 250 n. Chr. aus der Gegend des Westerwaldes und der Bergischen Höhen auf die linke Rheinseite. Die Eifel erinnerte sie an ihre Heimat, hier fühlten sie sich wohl.


Werner's Haus, Kirchheim, Rischgasse

In der Rheinebene fanden die Franken, die selbst noch Heiden waren, christliche Gemeinden vor, die zum Teil vom Bonner Kassiusstift aus christianisiert worden waren.

Unsere engere Heimat erhielt von den Benediktinern der Abtei Prüm über das Stift Münstereifel das Christentum.

Der Liebslingsheilige der Franken war der hl. Martinus und die Mehrzahl der Kirchen wurde ihm zu Ehren geweiht.

Die Hauptbesitzung der Franken in unserer Gegend war die Hockebur im heutigen Kirchheim, auf den Trümmern des Römerkastells errichtet. Wie der Ortsteil Kastenholz den Römern seinen Namen verdankt, so ist der Name Hackenbroich auf Hockenbur zurückzuführen und eine Gründung der Franken.


Die Flur von Kirchheim

Dr. Heusgen schreibt in seinem Buch „Die Pfarreien der Dekanate Meckenheim und Rheinbach“: „Das fränkische Königsgut bei Kirchheim umgibt ein Kranz von Martinskirchen, die uns zugleich den Umfang des Bezirkes dieser königlichen Villa erkennen lassen, nämlich die Kirchen zu Kirchheim, früher sicher auch Flamersheim, Hilberath, Rheinbach, Ipplendorf, Ollheim, Esch, Euskirchen, Stotzheim; Euenheim hat den Nachfolger des hl. Martin, den hl. Briktius, zum Pfarrpatron.

Nach Mirbach soll Euskirchen selbst eine fränkische Königsvilla gewesen sein, zu der dann wohl wenigstens Stotzheim und Euenheim gehörten.“ Die Mehrzahl der Martinskirchen entstand zur Merowingerzeit (6.-8. Jahrh.). Orte mit der Endung „heim“ stammen aus der Zeit vor dem Jahre 700.

Die Franken teilten das eroberte Gebiet in Königreiche ein und diese wieder in Gaue. Unser Ort gehörte zum Königreich Ripuarien und zum Zülpicher Gau.

Katzfey schreibt im II. Teil der Geschichte der Stadt Münstereifel: „Der Hauptpunkt, von wo aus die große Frankenwirtschaft betreiben wurde, dürfte Hockebur, die hohe Burg zwischen Kirchheim und Oberkastenholz gewesen sein. Von diesem Punkte dehnte sich die Gegend nach Osten wie ein Amphitheater aus. Die westlich höher liegenden Gebirge deckten den Ort gegen die herrschenden Winde und machten ihn zum Obstbau geeignet. Die Quellen aus dem nahen Kalkgebirge gaben herrliches Wasser.“ Pfarrer Becker ist in seiner Geschichte der Pfarreien des Dekanates Münstereifel der Ansicht, daß „der Bröhl“ auf broglium (= Tiergarten) zurückzuführen sei und daß auf dem Kammerfeld die Hofkapelle gestanden habe. In der Flurkarte heißt das Kammerfeld „Capellenstück“.

Die Erinnerung an das Königsgut wird in Kirchheim vom Hockenbroicher Junggesellenverein wachgehalten, der auch Eigentümer der Hohnsheck ist. Am Kirmesmontag zieht er zur Hohnsheck, umschreitet diese dreimal unter den Klängen des Hohnshecker Marsches. Nach dem dritten Umzug erfolgt der Einzug. Nun wird das Hohnshecker Protokoll verlesen. In ihm ist in spaßhafter Form all das enthalten, was die Verwaltung des Königsgutes von den umliegenden Orten und europäischen Staaten verlangte. Das Original des Schriftstückes ist im Laufe der Zeit verloren gegangen. Die Neudichtung besteht etwa seit der Jahrhundertwende. Leider artet die Verlesung selbst meistens aus und hat dann nichts mehr mit geschichtlicher Erinnerung zu tun. Infolge der Auswüchse wurde 1835 der Zug zur Hohnsheck vom Bürgermeister Overstolz verboten. Dennoch blieb der Brauch bestehen. Ein weiteres Verbot erfolgte um das Jahr 1900. Der ehemalige Ortsvorsteher (Franz Üemge) setzte sich zugunsten der Junggesellen gegen die Polizei mit Gewalt durch. Der Verein dankte ihm bei seinem Tode 1902 durch ein besonderes feierliches Begräbnis.

Übrigens wird die Villa im Jahre 870 zuerst als Villa Flametum erwähnt. Der Abt Regino von Prüm erzählt, daß 870 der König Ludwig der Deutsche auf der Hockebur weilte. Als er das obere Stockwerk bestieg, sei dieses infolge des morschen Gebälks eingestürzt und der König habe zwei Rippen gebrochen. Dennoch habe er am anderen Tag den Weg nach Meersen an der Maas fortgesetzt.

In den Jahren 881 und 892 verwüsteten die Normannen unsere gesamte Gegend, und dabei wurde auch die Hockebur zerstört und mit ihr der Ort Flamersheim, der damals in Kirchheim links vom grünen Weg in der Pützweide lag. Der Ort wurde später zwei Kilometer ostwärts neu aufgebaut. Die Lücke zwischen Kastenholz und Hockenbroich wurde durch neue Bauten ausgefüllt, deren Bewohner bis heute „Die Dörper“ heißen und der Ortsteil „Das Dörp“. Der Name Kirchheim tritt erst seit dem 14. Jahrhundert auf.

Um das Jahr 1000 kam das Gebiet der Frankenvilla an die Pfalzgrafen von Aachen, die die Hockebur nicht mehr aufbauten, sondern die Verwaltung vom Tomberg aus führten. Das Amt Tomberg wurde in sechs Gerichtsbezirke eingeteilt. Kirchheim gehörte zum Gericht Flamersheim.

Nachdem die Bischöfe auch weltliche Herrscher durch Otto I. geworden waren, blühte auch hier das Christentum auf. Im Jahr 1238 wurde das Kloster Schwinheim gegründet, das zur Gemeinde Kirchheim zählt. Es führt zu weit, dessen Geschichte in den Rahmen dieses Aufsatzes zu übernehmen.

Auf Jahrhunderte der Ruhe folgte die Zeit der Seuchen, Kriege, des Hexenwahns und der Reformation. In den Jahren 1477, 1519, 1529, 1553 und 1577 raste die Beulenpest durch unsere Heimat. Ein Drittel bis zur Hälfte der Bewohner fiel dem „Schwarzen Tod“ zum Opfer. Im Dreißigjährigen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg scheint Kirchheim besser abgekommen zu sein als die Orte der Ebene. Es war zu arm. Der Hexenwahn, eine Vermischung von Aberglauben und Zauberei, suchte den größten Teil Europas heim. Den Kirchheimer Hexen wurde nachgesagt, daß sie sich auf dem Kirchheimer Berg an Hexentänzen beteiligt hätten. Es sind noch fünf Protokolle über Gerichtsverhandlungen gegen Kirchheimer Frauen bekannt. Davon bestiegen drei laut Urteil den Scheiterhaufen „auf Hall'“. Es ist anzunehmen, daß die zwei anderen Opfer dasselbe Schicksal erlitten. Der furchtbarste Hexenkommissar war ein Dr. Beurmann oder Buirmann, der in Meckenheim und Rheinbach wütete. Dr. Heusgen ist beizupflichten, wenn er annimmt, daß jenes Scheusal der Böhmann ist, mit dem man noch heute den Kindern Angst einflößt.


Kirchheimer Altar- und Vortragskreuz. Bronceguß Corpus Christi aus der Karolingerzeit, in Holz (2 Meter Größe) in der Kapelle zu „Tancremont“ bei Banneux. (Belgien, Ardennen)

Es wurde bereits erwähnt, daß die Pfalzkapelle der Hockebur das erste Gotteshaus in Kirchheim war. Dieses fiel der Zerstörung durch die Normannen anheim. Daraufhin errichtete man um das Jahr 900 eine neue Kirche auf dem Gelände des heutigen Friedhofs, die nach Angabe von Pfarrer Decker auf Mauerwerk stand, das an den Römerturm in Köln erinnert habe. Man hatte die Reste der römischen bzw. fränkischen Villa als Baumaterial benutzt. Diese Kirche stand bis 1672. Im Dreißigjährigen Kriege war die Pfarrstelle mehrere Jahre hindurch nicht besetzt, und so fiel das religiöse Barometer der Kirchheimer unter Null. Kirchengüter wurden verschleudert, die große Glocke verkauft, und nach 1687 verfügte der Pfarrer über nur ein Meßgewand.

An der Ostseite der alten Kirche hatte man einen in Stein gehauenen romanischen Kopf und einen römischen Ziegel eingemauert, der in der heutigen Kirche noch an der gleichen Stelle zu finden sind. Der Kopf ist trotz des hohen Alters von etwa 2000 Jahren noch tadellos erhalten.

Die alte Kirche wurde in den Jahren 1868 bis 1871 durch die jetzige gotische ersetzt. Reste der alten Kirche finden wir am Hochkreuz des Friedhofes. Dort ist der ehemalige Altartisch noch zu sehen. Er trägt die fünf Konsekrationskreuze, die ebenfalls gut erhalten sind. Obschon der Stein seit achtzig Jahren der Witterung ausgesetzt ist. Die Fußbodenplatten der Kirche findet man in einigen Küchen in Hockenbroich in gleicher Eigenschaft wieder.

So ist die alte Zeit mit der heutigen über Jahrhunderte in Brauchtum und Material verbunden.


Soziales und Kulturelles

Über die soziale Lage verschiedener Eifelgemeinden, darunter auch Kirchheim an letzter Stelle anführend, schreibt Landrat Wolff in seiner Statistik und Verwaltung des Kreises Rheinbach für die Jahre 1859 - 1861: „Abgeschnitten von dem Weltverkehr und aller sonstigen Gewerbetätigkeit, daher auf die höchst mühsame Ausbeutung seines undankbaren Landes ausschließlich angewiesen, wohnt hier die drückendste Armut.

Die menschliche Nahrung besteht hauptsächlich in Kartoffeln und Schwarzbrot, teilweise mit Hafermehl vermischt. Der Fleischgenuß gehört zur Seltenheit ...

In diesen Gemeinden gibt es nur wenige Haushaltungen, die die Mittel zum Fleischankauf besitzen. Die meisten bekommen im ganzen Jahr kein Fleisch zu kosten; daher auch der verkümmerte Menschenschlag, wie sich dieser bei den Militär-Aushebungen bemerkbar macht. In der jüngsten Zeit scheint jedoch in dieser Beziehung eine Besserung hervorzutreten, wahrscheinlich in Folge des vermehrten und lohnenderen auswärtigen Arbeitsverdienstes.“

Wegen körperlicher Mängel wurden 1859 71 % und 1861 81 % ausgemustert oder zurückgestellt. In den reinen Gebirgsdörfern waren von hundert Gemusterten nur zehn bis fünfzehn Mann dienstfähig.

Ein Ochsenpflüger hatte eine Gesamtproduktion von etwa achtzehn Maltern Getreide. Davon verkaufte er ungefähr zehn Malter als marktfähig und erhielt dafür etwa 110 Taler. Es wurde meist ein Schwein gemästet, aber aus Geldnot verkauft. Wolff schreibt: „Im Gebirge wiegt eine Kuh Eifeler Rasse im fetten Zustande 250 - 300 Pfund, in der Ebene 380 - 400 Pfund. Das Pfund Rindfleisch kostete 3 ½ bis 5 Silbergroschen. Eine Kuh Eifeler Rasse liefert durchschnittlich tägl. 5 Quart Milch.“ (1 Quart = 1,15 Liter.)


Schaffrath's Haus

Die Bevölkerung von Kirchheim wird in allen Berichten als arm bezeichnet. Sie arbeitete im Steinbruch und als Waldarbeiter, dabei trieb sie etwas Ackerbau und Viehzucht. Erst um 1900 fanden einige Bewohner auf den Fabriken in Euskirchen, Stotzheim und Arloff Arbeit. Pfarrer Becker scheibt: „Alle zeichnen sich durch Fleiß und Strebsamkeit aus.“

Die Gemeinde besaß 120 Morgen Wald, der Niederwald war, und in einer Umtriebszeit von 15 - 20 Jahren der Gemeinde kleine Einnahmen durch Verpachtung als Lohschläge brachte.

Sehr schlimm war es noch vor 100 Jahren mit den Wegeverhältnissen. Erst 1823 begann man im Kreise Rheinbach mit dem Anbau von Kunststraßen. Zuerst wurde die Straße Bonn-Euskirchen ausgebaut, 1827 entstand die Straße Bonn-Meckenheim und von 1824 bis 1829 die Köln-Trierer Straße.

Wolff berichtet, daß die Dienstbriefe von Münstereifel nach Rheinbach über Brühl - Bonn geleitet wurden und ihr Ziel oft später erreichten als eine Sendung aus Paris und Berlin. Er schreibt wörtlich: „Es gab zu jener Zeit (vor 100 Jahren) im Kreise noch keine ausgebauten Kommunalwege, sondern nur sogenannte Sommerwege. Vom Herbst bis zum Frühjahr waren dieselben kaum befahrbar; beladenes Fuhrwerk versank in den tiefen Geleisen und mußte nicht selten auf den Hauptwegen ausgegraben werden. Pferde und Geschirre gingen dabei zu Schanden ... Die Dorfstraßen hatten noch keine gepflasterten Rinnen (Gassen). Zum Nachteil der Gesundheit konnte man zur Winterzeit ohne nasse Füße in den meisten Ortschaften nicht verkehren, noch Kirche und Schule erreichen.“

Die schulischen Verhältnisse von Kirchheim waren wegen der Armut die schlimmsten im Kreise. Es war ein alleinstehender Lehrer vorhanden, der 211 Kinder unterrichten mußt, während die Norm damals 80 Kinder pro Klasse war. Der Lehrer hatte ein jährliches Einkommen von 180 Talern. Sein Tagesverdienst betrug etwa 15 Silbergroschen. Unser Ort hatte damals 1039 Einwohner mit 213 Haushaltungen.

So blieb Kirchheim in seiner kulturellen Entwicklung den andern Dörfern gegenüber immer zürück. Weil es abseits der Kulturstraße lag, hielten sich dagegen alte Gebräuche sehr lange. Denken wir nur an das sogenannte Tierjagen, da sich bis zum letzten Weltkriege halten konnte. Übrigens hat der Name nichts mit einem Tier zu tun, sondern das Wort kommt von „Tyr“, dem nordischen Namen des Gotte Ziu. Diesem Gott oblag die strafende Gerichtsbarkeit und besonders der Schutz der Frau. Die Tyrjagd erfolgte bei Mißhandlung der Frau und bei Vergehen gegen die eheliche Treue.

Ein weiteres Eingehen auf diese und andere Gewohnheiten, die in Kirchheim ein fruchtbares Betätigungsfeld hatten, muß ich mir wegen der Raumfrage heute versagen.

Kirchheim ist dabei, richtig in die Kultur hineinzuwachsen. Es besitzt zwei nette Schulen, eine schöne Kirche und Dank der Wohltätigkeit der ehemaligen Lehrerin Burch das herrliche St. Josefhaus. Fräulein Burch starb im Jahre 1936 nach einem heiligmäßigen Leben.

Vor 20 Jahren wurde die Steinbachtalsperre mit einem Inhalt von 1,3 Millionen cbm gebaut, die die Industrien in Flamersheim und Euskirchen mit Wasser versorgt. Nun haben die Kölner Regierung und die Kreisverwaltung, Privatpersonen von Köln, Bonn und anderen Orten die Schönheit der Landschaft entdeckt und im Jugendhof, Kreisjugendheim, in Villen und Wochenendhäusern der Umgebung von Kirchheim ein anderes Gesicht gegeben. Diese äußere Wandlung wird im Laufe der Zeit auch die Mentalität der Menschen günstig beeinflussen.

Wilhelm Heck

Quellen:
Jak. Katzfey: Geschichte der Stadt Münstereifel und der nachbarlichen Orte.
J. Becker: Geschichte der Pfarreien des Dekanates Münstereifel
Dr. Heusgen: Geschichte der Pfarreien der Dekanate Rheinbach und Meckenheim.
Dr. Krudewig: Geschichte der Bürgermeisterei Kuchenheim.
G.J. Wolff: Statistik und Verwaltung des Kreises Rheinbach.

*) 4 Fotos: Doppelfeld
Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1958

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