Vom „Krautwisch“

Von Schulrat Lentz in Bitburg




Krautwisch - so heißt wohl im ganzen Rheinlande der aus verschiedenen Blumen und Früchten bestehende Strauß, den die Kirche am Feste Mariä Himmelfahrt weiht, weshalb in manchen Gegenden dieses Fest auch Krautwischtag genannt wird.

Um noch einige volkstümliche Pflanzennamen kennen zu lernen und zu erfahren, ob und welche Rücksichten bei der Auswahl der Pflanzen maßgebend sind, hielt ich eine Umfrage bei den Lehrern des Kreises. Außerdem sollten sie mir mitteilen, welche Verwendung der Strauß und seine Teile finden, um einen Beitrag zur Kenntnis der Sitten und Gebräuche der Eifel zu erhalten.

Eine viel verbreitete Volksmeinung sagt, der Krautwisch müsse 72 (nach andern 77 oder 99) Pflanzen enthalten, niemand aber kann dies vollständig bezeichnen, oder einen Grund für die Zahl angeben. Der Verwendung des Straußes und seiner Teile entsprechend sind die gewählten Kräuter ausschließlich Nahrungspflanzen oder Heilkräuter für Mensch und Vieh. Dazu kamen wohl erst später einige Blumen, um den Strauß zu verschönern. Als wesentliche Bestandteile gelten fast überall zunächst die Getreidearten und Futterkräuter, besonders die Kleesorten, sowie die Küchenkräuter, vor allem die Zwiebel. Im übrigen wurden mir folgende Pflanzen genannt (die eingeklammerte Zahl gibt an, wie oft sie in den 18 Antworten der Lehrer, die die Bestandteile des Krautwisches genauer bezeichneten, auftraten):

Wermut (Batteralsem, Magenkraut) (15),
Schafgarbe (Tausendblättchen, Schwarzwurzel, Sichelschnitt, Jungferbrauen) (12),
Salbei (Heilkraut) (12),
Pfefferminze (11),
Dill (11),
Rainfarn (Wurmkraut, Jag' den Teufel, Herrgottsknöpchen, Muttergottesrute) (10),
Hartheu (Johanniskraut, Johannisblut, Herrgottskraut, Herrgottsblut, Herz-Jesu-Blut, Hartenau, Hoadenau) (10),
Liebstöckel (Liesstock, große Sellerie (9),
Beifuß (Beifels, Wischkraut) (8),
Weidenröschen (Jungfrauenhaar, Marienhaar, Herrgottshaar) (7),
Tausendguldenkraut (7),
Raute (Totenkräutchen) (6),
Malve (4),
Dorsten (Muttergottesbettstroh, Wohlgemut) (4),
Kümmel (4),
Schachtelhalme (Katzenschwanz) (4),
Wegewarte (Zichorie, Mischkraut) (4),
Kamille (3),
Thymian (3),
Sauerampfer (Strof, Strippblättchen) (3),
Heidekraut (2),
Frauenflachs (Gröllchen) (2),
Melde (2),
Sellerie (2),
Petersilie (2),
Bohnenkraut (2),
Fenchel (2),
Jakobskreuzkraut (2),
Wasserminze (2),
Wegerich (2),
Rote Flockenblume (Knopfblume, Knoppstrieh (2),
Wiesenfuchsschwanz (2),
Augentrost, Dahlie, Ringelblume (Goldblume), Wucherblume, Odermennig (Herrgottsnagelchen), Seifenkraut, Frauenmantel, Skabiose, Bärenklau (Kuhgans), Hirtentäschel (Herzkraut), Hanf, Klette (Kormessen), Schwertlilie, Kauke, Winde, Kleine Brennessel, Rhabarber, Ginster, Hundskamille, Wohlverleih, Rettich, Eibisch (Herbströschen), Huflattisch, Donnerkraut oder Dachwurz, Beinwell, Königskerze oder Wollkraut, Hohlzahn (Dannessel), Ziest, Wasserbraunwurz (heidnisches Wundkraut), Betonia, Wolfsfuß, Fuchsschwanz (Amaranthus), Erdrauch (Zitterkraut).

Die Verwendung des Krautwisches entspricht im allgemeinen der kirchlichen Meinung und Segnungsformel. Diese besteht aus dem Psalm 46 und drei Orationen. In der ersten wird gebetet, daß die Kräuter und Früchte den Lebewesen nicht nur als Nahrungs-, sondern auch als Heilmittel nützen und, im Namen Gottes gebraucht, Menschen und Vieh Schutz gegen alle Krankheiten und Widerwärtigkeiten gewähren sollen. Die zweite enthält die Bitte, die neuen Früchte und Kräuter mögen durch die Fülle der göttlichen Gnade und die Verdienste der allerseligsten Jungfrau Maria, deren Aufnahme in den Himmel heute gefeiert wird, den Menschen und allem Vieh als Heilmittel gegen Krankheiten, Seuchen, Geschwüre, Schlangengift, den Biß anderer giftigen Tiere und jedes Gift dienen, sowie Schutz gegen Anfechtungen und Betrug des Teufels gewähren.

Der Krautwisch wird sorgfältig in einem Zimmer des oberen Stockes oder auf dem Dachboden aufbewahrt, auch wohl in das Dachgebälk gesteckt oder daran aufgehängt. In einzelnen Häusern gibt es auch wie in den Alpenländern einen Herrgottswinkel. Das schräg in einer Stubenecke aufgehängte Kruzifix ist mit Blumen und Kräutern aus dem geweihten Strauß geschmückt oder umrahmt. Teile des Krautwisches werden auch wohl wie die geweihten Palmzweige in der Decke oder Mauer des Stalles befestigt, um Unglück vom Vieh fernzuhalten und Segen hineinzubringen. Aus demselben Grunde steckt man einzelne Zweige in die Felder. Körner von den Getreidehalmen des geweihten Straußes mischt mancher Landmann unter das Saatgut, oder gibt sie nach der Segnung den Haustieren in das Futter.

Beim Neubau eines Hauses legt man geweihte Kräuter unter die Schwelle der Haustür zum Segen für alle, die ein- und ausgehen. Bricht ein Gewitter aus, so wird das Herdfeuer gelöscht, aber die letzte Glut verzehrt einige Zweige des Krautwisches, um das Haus vor Blitzschaden zu bewahren.

Wenn die Hausmutter einen Tee oder Heiltrunk kocht, sei es für die Hausbewohner oder das Vieh, dann versäumt sie nicht, ein oder das andere Zweiglein von den Heilkräutern des Krautwisches mitzubenutzen. Sucht der Tod die Familie heim, so legt man einen Teil dem Gestorbenen unter das Kopfkissen im Sarge, oder zu seinen Füßen oder an 5 Stellen in Kreuzesform um ihn herum. Die gelben Blumen des Straußes werden dem Toten auch wohl in die Hand gegeben (Sülm).

Sehr verbreitet ist folgende schöne Sitte. Das erste Getreide wird eingescheuert. In den Lagerräumen der Scheune unter die erste Garbe oder in das „Barloch“ wird dann ein Teil des Krautwisches gelegt, um den Erntesegen vor Schaden (Mäusefraß und Feuersgefahr) zu bewahren. Beim Ausdrusch im Winter bemühen sich die Drescher, das Sträußchen zu finden. Der Finder hält es dem Hausherrn unter die Nase und dieser muß dann ihm und den andern Dreschern etwas „zum Besten geben“ (Dudeldorf). Meist aber wird das Sträußchen der Hausfrau gebracht, die es in das Herdfeuer legt und den Dreschern nun einen tüchtigen Haufen Pfannkuchen backen muß.

Noch feierlicher ist der Brauch, über den Herr Lehrer Schmidt in Mötsch (bei Bitburg) wie folgt berichtet: „Das erste Getreide wird eingefahren, einerlei welcher Art. Der Hausherr geht ins Haus und macht aus Zweigen und Ähren, die er aus dem Wisch pflückt, ein schönes Sträußchen zurecht. Um dieses windet er ein Stückchen von dem Wachsstock, der an Mariä Lichtmeß geweiht wurde. Die erste Garbe, die vom Wagen heruntergereicht wird, öffnet er, legt das Sträußchen in die Mitte der Garbe und bindet sie wieder zu. Diese Garbe ist auch die erste, die auf den Fruchtspeicher oder in den „Kastenplatz“ gelegt wird. Die nächstfolgenden Garben werden im Kreise um die erste herumgelegt, so daß sie mit den Ähren zu dieser gewendet sind. Diese Sternförmige Anordnung soll jedenfalls den allseits sich verbreitenden Segen versinnbilden. Erst dann werden die Garben in Reihen auf die ersten gelegt. An Mariä Lichtmeß, wenn in allen Häusern die Wachskreuzchen an der Stubentür und sonstwo angeheftet werden, wird auch am Pfluge ein Kreuzchen befestigt aus dem Wachs, das im verflossenen Sommer um das Sträußchen gewickelt wurde, welches in die Garbe kam. Diese Garbe wird nämlich als letzte, die gebrochen wird, vorher geöffnet und das Sträußchen entfernt. Man sagt, dieses sei stets unversehrt, wenn die Mäuse auch die ganze Garbe zernagt hätten.

Daß Harthen und Dost (Dosten) auch hier in den Wisch getan werden in der Absicht, gerade durch sie gegen die Einflüsse des bösen Geistes geschützt zu sein, konnte ich auch bei den ältesten Leuten nicht erfahren. Im Kreise St. Wendel ist aber folgender Spruch im Gebrauch:

„Hartenau und brauner Duscht (Dost)
Vertreibt dem Deiwel all de Luscht“







Aus: Eifelvereinsblatt Nr. 1, Januar 1919, S. 4-5, herausgegeben vom Eifelverein 20. Jahrgang, Selbstverlag des Eifelvereins, Schriftleitung Rektor Zender in Bonn.


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