Mein Kind, ach ! Annchen,
bleibe zu Haus, geh' nicht in die dunkle Nacht hinaus ! Dein
Bräutigam, dein treuer Franz, er führt dich nicht zum
Kirmestanz: Er liegt ja krank darnieder und kann nicht regen
die Glieder."
Ei, Mutter,
erwidert die die schöne Maid, du weißt, das tut
mir herzlich leid. Ich hab; ihn gepflegt nach bräutlicher
Pflicht; doch heut ist Kirmes: Drum will ich nicht, wenn andre
munter es treiben, allein vom Tanze weg bleiben."
Die
Mutter warnt, die Mutter droht, vergebens doch ist ihr Verbot;
Denn Anna streicht ihr schwarzes Haar und ihrer Wangen
schmuckes Paar, zur Tür hinaus sie schleicht und in die
Nacht entweichet.
"Mein Kind, ach ! Anna,
kehre zurück! Verscherze nicht dein eigenes Glück ! 0
! daß ich dich strafte als Kindlein klein, du würdest
jetzt gehorsam sein !" So hört man die Mutter klagen
bis Mitternacht hat geschlagen.
Zu Arloff auf dem freien Plan
1) da stoßen die Zecher mit Gläsern an; da
tanzen bei Laternenschein die Burschen und Mädchen den
muntern Reih'n, nach Geigen und Flötenklingen sie munter
und fröhlich springen.
"Was ist das für ein
prächtiges Paar ? Das Mädchen mit glänzend
schwarzem Haar ? Doch an dem holden Angesicht erkennst du
Annchen von Kalkar nicht ? Dem schönsten Burschen zur
Seite, gar vielen, traun ! zum Neide. "
Sie drehn sich rasch, sie
wirbeln fort, sie stehen still am einsamen Ort; er flüstert
so süß, er flüstert leis, und Annchen, ach! es
selbst nicht weiß, wie ihr das Herz verdorben, für
Scham und Tugend erstorben.
Als Mitternacht vorüber
war, da strömt die lustige Tänzerschar mit lautem
Jubel und Sing und Sang und unter fröhlichem Hörnerklang
nach Haus, um sich zu laben 2) an kirmesfestlichen
Gaben.
Nur Anna, Anna weilet so lang,
bis früh vom Berge die Sonne drang; Da macht sie sich
auf: sie eilte schnell, daß ungesehn sie kommt zur Stell,
und sinket aufs Bett ermattet, die Augen trüb umschattet.
So schlafe nur, du lockre Maid
! Denn dich erwartet schweres Leid: du hast der Lust in dieser
Nacht zum Opfer Glück und Heil gebracht. |
Draußen wehen
Frühlingslüfte, Bäume blühen rot und weiß,
Spenden zarte, süße Düfte, Vöglein
zwitschern sanft und leis; doch in einsam dunkler Kammer sitzt
Anna voller Jammer.
Mit dem Frühling ganz
genesen war ihr guter, treuer Franz; gern hat er es längst
vergessen, daß sie ging zum Kirmestanz; denn sein Herz
voll inniger Liebe fühlt für sie die stärksten
Triebe.
Bald nach Ostern will er zieren
schön die Stirne seiner Braut, will sie zum Altare
führen, daß sie ihm ward angetraut. Ach! er ahnet
nicht die Schrecken, die aus süßem Wahn ihn wecken.
Und die Mutter hat gesponnen
Garn zu Linnen recht und fein, hat den Brautschatz schon
gewonnen für ihr schmuckes Töchterlein. Stehet oft
zur Augenweide vor der Truh, mit stolzer Freude.
Eins nur macht ihr schweren
Kummer; Anna ist so bleich und matt, fährt aus
unruhvollem Schlummer Nachts empor und weint sich satt; auf
der Mutter bange Fragen keine Antwort, keine Klagen.
Will das Haus nicht mehr
verlassen, will nicht mehr zur Kirche geh'n; Meidet ängstlich
alle Straßen, daß von niemand sie gesehn: mag
nicht wirken, mag nicht schaffen, mag nicht essen, mag nicht
schlafen. |
Doch der Nachbarn scharfe
Blicke haben bald den Grund durchschaut; manche weih'n dem
Mißgeschicke Mitleid, andre spotten laut. Franz mit
Mutter ohne Wanken glaubt, sie werde schwer erkranken.
Finstre Pläne im Gemüte,
grübelt Anna Tag für Tag, wie die Schande sie
verhüte, welche folgt der Sünde nach. "Bring es
um ! es heimlich flüstert in der Seele ganz verdüstert.
Als die Nacht die Erd umfangen,
aus der Tür das Mädchen schleicht; unter Schrecken
unter Bangen sie den Fluß der Erft erreicht. An dem Ufer
sinkt sie nieder, schließt erschöpft die Augenlider.
Welch entsetzliches Erwachen !
Daß ihr Mark und Blut gerinnt, hört sie Geister
tückisch lachen, sieht zu Füßen jetzt ihr
Kind, grob erfaßt von Wahnsinns Gluten schleudert sie es
in die Fluten.
Von der Sünde zum
Verbrechen führt oft nur ein einzger Schritt. Ach ! wie
furchtbar wird sich rächen deines Leichtsinns erster Tritt ! |
Dort drüben in dem Walde,
da steht die Burg zur Hardt, wo manchem, ach, zu balde der Tod
entgegenstarrt; 3) dort sitzen heut beisammen der
Vogt und Schöffenrat, durch Urteil zu verdammen die
grauenvolle Tat.
Es öffnen sich die Türen
am alten Turm sogleich, daraus man lässet führen ein
Mädchen stumm und bleich. Man hielt sie dort gefangen,
weil viel der Zeugen sind, daß sie den Mord begangen am
totgefundnen Kind.
Mit Zittern und mit Beben sie
vor Gericht erscheint: Befragt auf Tod und Leben, sie nicht
die Tat verneint. Da hebt der Vogt zu sprechen mit ernster
Miene an, zu strafen das Verbrechen, er also streng begann:
"Du bist des Todes
schuldig, das siehst du selbst wohl ein! Drum, Anna, trag
geduldig, die wohlverdiente Pein ! Am Galgen sollst erleiden
du bald den sichern Tod, jedoch vor deinem Scheiden versöhne
dich mit Gott ! "
In Annas Ohren sausets, ihr
Atem sich verkürzt; In ihrem Herzen brausets, daß
jäh sie niederstürzt. Man trät sie rasch
zurücke zum altersgrauen Turm: Da schlägt sie auf
die Blicke und krümmt sich wie ein Wurm.
"0 Mutter, ach, du Arme!
Wie hast du mich geliebt! Daß Gott sich dein erbarme und
Trost im Leiden gibt! Und welche bittren Schmerzen mag Franz
empfinden jetzt, den ich im tiefsten Herzen so treulos hab
verletzt."
"0, hätt ich nie
verlassen den Pfad der Frömmigkeit, dann müßt
ich nicht erblassen am Pfahl, der Schmach geweiht! 0 großer
Gott, sei gnädig mir armen Sünderin, daß nicht
des Trostes ledig ich möge scheiden hin !"
So dringen ihre Klagen gar
schaurig durch die Nacht, bis man nach drei Tagen zum Galgen
sie gebracht. Man scharrte ihre Leiche am Galgenberge ein bei
Billig an der Eiche da ruhet ihr Gebein. |
1) Die Dörfer Kalkar und
Arloff hatten bis vor wenigen Jahren, obgleich sie nicht derselben
Pfarre angehören, gleichzeitig Kirmes, nämlich am
Sonntage nach Bartholomäus.
2) Es war allgemein Sitte, daß
die Mädchen nach vollendetem Tanz, sogar mitten in der Nacht,
die Burschen mit Weck und anderen Leckerbissen bewirteten.
3)
Auf der Hardtburg war bis zu den Zeiten der französischen
Revolution das hochnotpeinliche Halsgericht und zugleich das
Gefängnis für die zum Tode verurteilten Verbrecher.
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