Das Schweinheimer Vesperbild

Von Siegfried Jahnke


Als vor Jahren der Heimatkalender (1957) schöne Muttergottesbilder aus dem Kreise Euskirchen vorstellte, vermißte man darunter das Vesperbild, die „Pieta“ von Schweinheim. Es zählt zu den besonderen Kostbarkeiten unserer Heimat.

Wer in der stillen Kapelle zu einer Andacht einkehrt, wird beim Anblick dieses edlen Kunstwerkes ergriffen die Anregung verspüren, sich in das Leiden des Menschensohnes und seiner liebenden Mutter zu versenken. Mitleiden und Miterleben zu erwecken, ist der Sinn solcher Vesperbilder. Ihren Namen tragen sie von jener Gepflogenheit des Mittelalters, zur Zeit der Vesper, also zwischen 17 und 19 Uhr, der Kreuzabnahme und Beweinung des Herrn zu gedenken. Das Vesperbild stellt das Gegenstück zu dem Bilde der Madonna mit dem Kinde dar. Es will dem andächtigen Beter nicht das Geschehen um die Kreuzabnahme ausschnittartig vorstellen, sondern - abgehoben in Stille und Einsamkeit - die Erlösung durch das Leid selbst versinnbildlichen.

Der Meister, der das spätgotische Werk schuf, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich wird er es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geschnitzt haben. Während ältere Darstellungen den Leichnam des Herr kindhaft klein oder auch steif, waagerecht auf dem Schoß der Mutter ruhen lassen, hat der Meister des Schweinheimer Vesperbildes versucht, eine naturgetreuere Lösung zu finden: Überschwer droht die Last den Armen der Mutter zu entgleiten. Der rechte Arm des Toten ist leblos zur Erde hinabgesunken. Die verhältnismäßig junge Mariengestalt neigt sich dem Antlitz des Heilandes zu. Der lebhafte Faltenwurf ihres Gewandes unterstützt die Linienführung und läßt die Gruppe zu einer glücklichen Komposition zusammenfließen.


Foto: Landeskonservator Bonn

Wie das Bildwerk in die Schweinheimer Kapelle kam, wissen wir nicht. Möglicherweise war es eine Stiftung der Burgherren von Schweinheim, vielleicht aber ist es ein Erbe aus dem in der Säkularisation aufgelösten und 1830 teilweise abgebrochenen Schweinheimer Kloster. Ob es den Schweinheimern nicht recht gefallen hat oder ob es ihnen nicht „neu“ genug war? Man hat es jedenfalls mehrfach aufzufrischen versucht. Als die Restauratorin (G. Brabender, Köln) 1952 an die Arbeit ging, es wiederherzustellen, mußte sie 6 Ölfarbenschichten entfernen. Darunter aber leuchtete ein tiefblauer Madonnenmantel hervor, geschmückt mit einer breiten Goldborde, rot gefüttert, ein Brokatkleid mit knisterndem Faltenwurf überflutend. Der blaßgrüne, bleiche Christuskörper steht dazu in einem bewegenden Kontrast. Nach dem Abtragen der Farbschichten erkennt man wieder die Güte der Schnitzarbeit bis in die feinsten Konturen. Sie wird besonders sichtbar in der Gestaltung des Faltenwurfes, der schmerzerfüllten Gesichter und der in Todesstarre angespannten Muskulatur des Erlösers.

Die Einzelheiten dieses Werkes mögen dem stillen Betrachter nicht bewußt werden, aber als Ganzheit erwecken sie in ihm eine Bereitschaft zur Hingabe und sprechen lebendig vom Sinn des Leidens unseres Herrn. Wahrlich, dieses vor 500 Jahren von liebender Künstlerhand geschaffene Bild verdient es, beachtet zu werden!

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1963

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