Das Aduatuca der Eburonen
Ein Beitrag zur Vor- und Frühgeschichte unserer Heimat besonders der Nord-Osteifel
von Pfarrer Pohl, Lommersum





6. Fortsetzung

Auf Seite 19 Nr. 47 seiner Sagen aus dem Rurtal läßt H. Hoffmann die Bewohner des oberen Rurtales über die „Conzener Straße“ erzählen. Es heißt da: „Die Conzener Straße, die eine Römerstraße sein soll, führt von Abenden über Schmidt nach Conzen und Montjoie. Warum diese Straße nicht nach dem bedeutenderen Orte Montjoie benannt ist, weiß die Volkssage zu berichten: Als das Christentum anfing, sich in der Gegend auszubreiten, entstand in Conzen die erste christliche Kirche der weiteren Umgebung. In allen Dörfern gab es nur vereinzelte Anhänger der neuen Lehre unter der heidnischen Bevölkerung, welche die Kirche zu Conzen besuchten. Die wenigen Christen von Abenden benutzten auf ihren Kirchgängen die genannte Straße und aus diesem Grunde soll die den Namen erhalten haben. Für die Wichtigkeit der Conzener Straße in alter Zeit im Vergleich zu allen übrigen später gegründeten Gotteshäusern führt das Volk den Umstand an, daß alle Ortschaften des Montjoirer Landes Kirmes feiern, wenn Conzen sie feiert.“

Dazu folgendes: In meiner Abhandlung über das „Aduatuca der Eburonen“ in Nr. 139 des Euskirchener Volksblattes (19. Juni 1937) wies ich auf die einzigartige Bedeutung der Conzener Straße in frühhistorischer Zeit hin, etwa 400 Jahre vor Einführung des Christentums in der Rurgegend. Die Conzener Straße war Jahrhunderte lang, ehe sie „Kirchweg nach Conzen“ wurde, die conjunctio, das heißt die Verbindung zum compendiacum (Conzen). Auf ihr zog Cäsar von Aduatuca nach Westen zur Maas, auf ihr wollten Sabinus und Cotta durch den verhängnisvollen Talkessel von Abenden zum nächsten Lager. Die obige Erzählung beweist uns die große Bedeutung dieser Straße in frühhistorischer Zeit.

Da wir wieder im Talkessel von Abenden sitzen, füge ich gleich die zwei Sagen von der „geisterhaften Herde“ und der „wilden Jagd“ bei und die Sage vom „Roßberg“, der übrigens ebensooft „Roisberg“ genannt wird und einen Zwillingsbruder gleich bei „Badua“ auf der rechten Rurseite hat. „Die geisterhafte Herde“ war „das wilde Heer“. Von der Grepp, einer Schlucht oberhalb Abenden, hörte man eines Abends starkes Getöse sich nähern. Eine große Schafherde, von Hunden umbellt und von Schäfern mit lautem Ruf angetrieben, durchzog blökend das Dorf und verschwand lautlos in der Rur .... Ein alter Mann sagte, das war die wilde Jagd. - „Der Roßberg“ (siehe Karte Nideggen 3043 Preuß. Landesaufnahme 1893), Nideggen schräg gegenüber (der Berg liegt Abenden gegenüber an der Conzener Straße; er schließt den Talkessel ab. Anm. d. Verf.) liegt auf der anderen Seite der Rur der tannengekrönte Roßberg, der trotzig und düster sein Haupt zum Himmel hebt. In stürmischen Nächten, besonders vor hl. Tagen, umtobt seinen Gipfel die wilde Jagd, die manchen friedliebenden Wanderer mit Grausen erfüllt hat. So kam auch eines Abends ein Nidegger über den Roßberg. Da stürmte in der nächtlichen Stille plötzlich das wilde Geisterheer dahin. Erschreckt fuhr er zusammen, als neben ihm aus dem Gezweig der Bäume Knochen herabfielen. ...Vom Roßberg erzählte man viel, daß dort in der wilden Jagd mit Knochen geworfen werde... Dazu bemerke ich, daß am Fuße des „Roisberges“ das Karree des Cotta und Sabinus stand, das dort bis auf den letzten Mann von Ambiorix niedergemacht wurde und daß in der Nähe der „Grepp“ oder „Gräpp“ die Römer in langausgedehntem Zuge in den Talkessel hinabzogen, auf beiden Seiten ins Tal hinab gehetzt von den Eburonen.

Die meisten in dieser Abhandlung angeführten Sagen beziehen sich ursprünglich auf frühhistorische Ereignisse und Personen, ob sie nun vom „starken Helmes“ sprechen oder vom „Mittagsgespenst“ oder dem „Conzener Kirchgang“ oder den „versunkenen Glocken von Badua“ oder von der „Stadt Badua“. Ich verweise dieserhalb nochmals hin auf das in der Einleitung dieses Artikels von Grimm und Prof. Dr. Baron v. Capitaine Gesagte.

Wir wissen, daß in den Sagen des oberen Rurtales oft die glanzvolle Zeit der Jülicher Grafen auf Schloß Nideggen auftaucht. Dr. A. Meyer schreibt im „W. B.“, Düren, vom 4. April 1935 dazu folgendes: „Schon Cäsarius von Heisterbach überliefert uns eine Reihe dieser Geschichten und sie sind lebendig bis auf den heutigen Tag. Ein Zug ist ihnen allen gemein: sie erzählen alle von der gewaltigen Macht und dem Ansehen der Jülicher Landesherren, mag es sich nun in Gewalttat oder friedlichem Werke äußern. Das alles aber ist ein Beweis, wie tief sich diese Persönlichkeiten der Gedankenwelt des Volkes eingeprägt haben.“ Dann kommen die für die frühhistorische Aduatucafrage wichtigen Sätze: „Auffallend bleibt immerhin, daß diese Sagen- und Legendenbildung schon so früh einsetzt! So weiß schon der vor 1240 schreibende Cäsarius eine Fülle von Geschichten über Wilhelm II. von Jülich zu schreiben, der doch kaum erst wenige Jahre tot ist.“ Das ist derselbe Cäsarius von Heisterbach, der, wie ich im „literarischen Befund“ über Aduatuca nachwies, „in Badua“ schrieb und die „abschreckende Wildnis um Maubach“ kennt (D. 6 C. 10).

Im selben Artikel „Burg Nideggen, Aus Geschichte und Sage“ bemerkt dann Dr. Meyer weiter: „Martin Aschenbroich will in seinen „Beiträgen zur Geschichte des Herzogtums Jülich“, Band 1 (Bochum 1867) S. 16, Chamissos Balladenstoff vom „Riesenspielzeug“ mit unserer Burg Nideggen in Verbindung bringen und behauptet, dieselbe Sage, die der Dichter an die Ruine Nideck im Elsaß knüpfte, finde sich „mit allen ihren Einzelheiten in Nideggen an der Ruhr“. Diese Behauptung ist falsch. Die Erzählung ist bei uns nur bekannt durch das Schullesebuch; eine Volkssage war sie hier nie. Und das ist ein grundlegender Unterschied“.

Ich füge hinzu: Ebenso falsch ist, was Aschenbroich in seiner „Geschichte der Stadt und Burg Nideggen, Verlag J. Hassel, Düren“, auf Seite 10 über die Entstehung des Namens Nideggen, die Neid-Eck, und den „Jenseitsturm“ berichtet. In meiner zweiten Abhandlung über das Aduatuca der Eburonen (Euskirchener Volksblatt Nr. 139 vom 19. Juni 1937) habe ich mitgeteilt, daß auf dem „Burgberg“ keine Burg, auch keine „Felsenburg“ gestanden hat. Nicht einmal für eine keltische oder germanische Wall- oder Fliehburg war er geeignet.

Mein folkloristischer Beitrag zu „Badua-Niteka“ soll für heute schließen mit der Feststellung, daß der nationale Freiheitsheld Ambiorix, der große Eburonenkönig eine Persönlichkeit ist, die den „starken Helmes“ an Bedeutung weit überragt. Möge sein Andenken im Dürener und Euskirchener Lande wieder neu aufleben.





Quelle: Euskirchener Volksblatt Nr. 135 vom 13. Juni 1938
Sammlung Michael Peter Greven, Nideggen, Sammlung wingarden.de H. Klein
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