Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees





5. Cäsars strategischer Fehler und dessen Verschleierung

Könnte die Halbierung der tatsächlichen Entfernung eine Kriegslist des Ambiorix sein, um die Römer aus dem Lager zu locken 45)? Es ist nicht anzunehmen, daß die beiden Feldherren Sabinus und Cotta die Distanz ihres Lagers in Atuatuca zu den beiden nächstgelegenen nicht gekannt hätten.

Cäsar stellt seinen Legaten Sabinus, den er zu belasten sucht, in einem ungünstigen Licht dar. Er ist furchtsam, da das angekündigte Nahen der rechtsrheinischen Germanen ihn mit Panik erfüllt. Außerdem ist er unvorsichtig, denn er läßt sich von Ambiorix keine Geiseln stellen, welche die Einhaltung von dessen eidlicher Zusicherung eines freien Abzugs garantiert hätten. Er ist so vertrauensselig, daß er während der Schlacht, die eine unheilvolle Wendung nimmt, um eine Unterredung mit Ambiorix bittet, bei der er nach Ablegung der Waffen wehrlos getötet wird. Am schlimmsten aber ist, daß er „ohne Cäsars Befehl“ (iniussu Caesaris V 28,3) abmarschiert. Damit wälzt Cäsar die Verantwortung für die Katastrophe von Atuatuca von sich ab. Schuldig ist Sabinus.

Hier stellt sich die Frage, wieso Cäsar einen unfähigen General mit dem Kommando über das am weitesten zum Rhein hin vorgeschobene und daher am meisten gefährdete Lager betrauen konnte, wo die Besatzungsmannschaften „verstoßen und verbannt weitab von den anderen“ (reiecti et relegati longe a ceteris V 30,3) lagen. Dabei war Cotta, der eine halbe Legion befehligte, dem Sabinus, der den Oberbefehl über eine ganze Legion führte, untergeordnet. 46), so daß er im Kriegsrat seinen Widerstand gegen den Abzug schließlich aufgabe. Jene Legion des Sabinus war die XIIII., von der Cäsar sagt, „er habe sei erst kürzlich jenseits des Po ausgehoben“ (quam proxime trans Padum conscripserat V 24,4). Damit will er den Anschein erwecken, als handele es sich um Rekruten, was dann deren Angst vor den Germanen und Versagen im Kampf erklären soll. Doch standen sie schon mehr als drei Jahre im Feld, so daß sie keine unerfahrenen Soldaten mehr waren 47). Auch Sabinus war ein erprobter Feldherr. Seit 57 v. Chr. hatte er ein Kommando im Heere Cäsars: 57 war er an dem Feldzug gegen die Belger, 56 an dem gegen die Veneter beteiligt gewesen, 55 hatte er zusammen mit Cotta die Expedition gegen die Moriner und Menapier geleitet 48), all dies offenbar zur vollen Zufriedenheit Cäsars, der ihn dann 54 mit Cotta ins Winterlager zu den Eburonen schickt. Wenn wir Cäsars Worten Glauben schenken, dann hätte er den gefährlichen Auftrag, vom fernen Atuatuca aus zugleich den Rhein und die Treverer zu überwachen, einem unfähigen General und unerfahrenen Truppen anvertraut 49). Offenbar war dem nicht so, zumindest nicht uneingeschränkt so.

Cäsars wirkliche Schuld lag auf einem anderen Gebiet. Das tatsächliche weite Auseinanderziehen der Winterlager war ein strategischer Fehler gewesen, der den Untergang von 1 ½ Legionen gekostet hatte und den er deshalb zu verschleiern suchte. Wenn nun Ambiorix erklärt, das Lager des Cicero sei etwa 50 Meilen von Atuatuca entfernt und das des Labienus nicht viel weiter, dann liegen beide relativ nahe, womit der strategische Gesamtplan Cäsars gerechtfertigt wird 50). Im übrigen behauptet Cäsar, er sei „gezwungen“ gewesen (coactus V 24,1), die Verteilung der Winterlager auf mehrere Stämme vorzunehmen, weil die Getreideernte in Gallien infolge anhaltender Dürre nur spärlich ausgefallen war (V 24,1).

Die Anweisung der Winterquartiere im Herbst 54, v. Chr. erfolgte nach Cäsars Rückkehr aus Britannien. Nach seinen eigenen Angaben war die Überfahrt dorthin wegen andauernden Nordwestwindes um 25 Tage verzögert worden (V 7,3) 51). da diese Wind in unseren Gegenden meist auch Regen bringt, dürfte die Dürre (siccitates, V 24,1) nicht so katastrophal gewesen sein 52). „Diese Erklärung ist als Rechtfertigung post factum eingeschoben worden“ 53).

Der Hauptbeweis in der Selbstverteidigung Cäsars ist, daß der Abstand Atuatucas zu den nächstgelegenen Lagern nicht zu groß gewesen sei. Daher läßt er Ambiorix mit der Hälfte der tatsächlichen Entfernungen argumentieren. Wer kannte in Rom schon den fernen Kriegsschauplatz in Nordgallien genau, und wer hätte dort Cäsars feines Lügengespinst durchschauen können? Die beiden Legaten waren gefallen, desgleichen der größte Teil der Legionäre, die Überlebenden hatten sich, ins Lager zurückgekehrt, das Leben genommen, nur wenige Soldaten waren dem Gemetzel entronnen und meldeten dem Labienus die Katastophe von Atuatuca (V 37,7). Sollte dieser, der nach dem Gallischen Krieg zu den Pompeianern überging, seinen früheren Oberkommandierenden bloßstellen wollen, so konnte Cäsar entgegnen, nicht er, sondern der verlogene Feind und Barbar Ambiorix habe die Unwahrheit gesagt.

Anmerkungen

45) Eine scharfsinnige Analyse der Rede des Ambiorix für den Schulgebrauch bringt Guillaume STÉGEN. Le disours d'Ambiorix (Caes., De Bell. Gall., V, 27), in Bulletin de l'Association des classiques de l'Université des Liège 6, 1958, Nr. 1, S. 1-11.

46) Vgl. HOLMES (Anm. 1), S. 726, der Mommsens Meinung referiert, und F. MÜNZER, Art. Titurius 3 in RE, 2. Reihe, 6. Band, Stuttgart 1937, Sp. 1577.

47) Cäsar hatte sie Anfang 57 zusammen mit einer anderen Legion im diesseitigen Gallien ausgehoben (II 2,1), und zwar ohne Ermächtigung durch den Senat. Ende März 57 marschieren diese Rekruten über die Alpen. Vgl. GELZER (Anm. 26), S. 103.

48) Vgl. MÜNZER (Anm. 46). Sp. 1575 ff.

49) Vgl. Herman VAN LOOY, De historische figuur Ambiorix, in: Limburg. Tijdschrift voor geschiedenis, oudheidkunde en volkskunde 45, 1966, S. 13.

50) Vgl. R. RAMBAUD, L'art des la déformation historique dans les commentaires de Cèsar, Paris 1953, S. 235. - Zur Kritik an Rambaud vgl. JEAN BEAUJEU, Les soulèvements de 54 dans le nord de la Gaule et la véracité de César, in: REVUE du Nord 40, 1958 (Lille), S. 459-466, der Rambauds Rekonstruktion der Ereignisse des Jahres 54 nicht gelten läßt, doch unser Problem nicht behandelt. Letzteres gilt auch für J. H. COLLINS, Caesar as Political Propagandist, in: Hildegard TEMPORINI (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. I. Von den Anfängen Roms bis zum Ausgang der Republik. 1. Band, Berlin - New York 1972, S. 922-966.

51) Dieses für die Überfahrt ungünstige Wetter währte nach Camille JULLIAN vom 25. Juni bis zum 21. Juli, nach Rice HOLMES vom 11. Juni bis zum 6. Juli. Vgl. VAN LOOY (Anm. 49), S. 11 mit Anm. 26.

52) Vgl. VAN LOOY (Anm. 49), S. 11.

53) VON LOOY, ebd.


6. Der Flur- und Ortsname „Atsch“ im Stolberger Tal als Zeugnis für den Namen „Atuatuca“?





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