Die bisher betrachteten Funde
geben alle von einer nur verhältnismäßig
kurzwährenden Besiedlung der einzelnen Wohnplätze Kunde.
Wenngleich man wohl sagen darf, daß das fruchtbare
Euskirchener Land seit der jüngeren Steinzeit von Ackerbauern
besiedelt war, so hat sich bis jetzt doch keine Stelle gefunden,
die durch mehrere Epochen hintereinander besiedelt geblieben wäre.
Die verhältnismäßig schnell Ermüdung des
Bodens, die geringe Lebensdauer der Häuser und das
Vorhandensein noch unbebauten Landes erfordern und ermöglichen
eine so wechselnde Wohnweise, wie sei etwa für das
Wanderbauernleben der Bandkeramiker oben angedeutet wurde. All
diese Verhältnisse änderten sich nun aber von Grund auf
mit dem Augenblick, als das Vordringen der Germanen das römische
Imperium veranlaßte, zur Abwehr der drohenden Gefahr seine
Verteidigungsgrenzen zum Rhein und über denselben hinaus
vorzuschieben. Hierbei erhielt das Gebiet der Voreifel zum
erstenmal unabhängig von der Qualität seines Bodens
allein wegen seiner Lage in einer politischen Grenzzone eine neue
Bedeutung.
Bei Cäsars Ankunft wird auch das
Euskirchener Gebiet großenteils von Germanen besiedelt
gewesen sein, welche dem großen Verband der Eburonen
angehörten, der beiderseits der Maas saß. Cäsar
vernichtete diesen ihm sehr gefährlichen Stammesbund, und man
hat vermutet, daß er die damit wohl verbundene, weitgehende
Entvölkerung der niederrheinischen Bucht deshalb so erstrebt
habe, weil er die ihm geneigten germanischen Ubier von der rechten
Rheinseite hier als Grenzwehr gegen andere rechtsrheinische
Germanenstämme ansiedeln wollte 7). Ob dies Deutung der
historischen Vorgänge nun den Tatsachen entspricht oder ob
die Übersiedlung der Ubier erst von Agrippa 38. v. Chr.
eingeleitet worden ist - jedenfalls ist unser Gebiet von diesen
Bevölkeurngsveränderungen unmittelbar betroffen worden.
Wenn auch die Südgrenze der Ubier in ihrem neuen
linksrheinischen Wohnraum nicht genau festzulegen ist, so ist doch
mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Gegend von Euskirchen
noch zu ihrem Gebiet zu rechnen.
Das Hauptbestreben des
Imperiums muße nun dahin gerichtet sein, in dem okkupierten
Lande möglichst feste, jederzeit übersehbare und
lenkbare Verhältnisse zu schaffen. So ist zunächst das
den Ubiern zugeteilte Land genau vermessen worden, und als
Verwaltungsmittelpunkt wurde das Oppidum Ubiorum, das heutige
Köln, geschaffen. Um die Bedürfnisse der Rheinarmee
jederzeit befriedigen zu können, wurden feste, nach
Möglichkeit gerade geführte Straßen angelegt, die
in Zeiten der Ruhe freilich ebenso den Bedürfnissen des
friedlichen Handels diente, wie denen des Militärs. Unweit
östlich von Euskirchen zieht eine solche Römerstraße
vorbei, die von Marmagen nach Wesseling führt. Südlich
von Wüschheim soll ein Stück einer weiteren nach Köln
führenden Straße angetroffen worden sein. Von beiden
Straßen sind in unmittelbarer Nähe des Stadtgebietes
keine Spuren mehr sichtbar. An der erstgenannten Straße lag
nun die Marktsiedlung Belgica, deren Name in dem heutigen etwas
weiter westlich gelegenen Dorf Billig weiterlebt. Wir kennen sie
sowohl durch Ausgrabungen, als auch durch die Erwähnung in
einem römischen Reisehandbuch. Beiderseits der Straße
standen - mit den Schmalseiten ihr zugekehrt - die eng
nebeneinander gebauten Häuser, in denen sich Kaufläden,
Wirtschaften usw. befanden.
Auf dem Lande ringsum aber
wohnte man nicht in Dörfern, sondern in einzelnen Gehöften.
Sowohl die römische wie auch die germanische Agrarwirtschaft
jener Tage war ganz durch den Großgrundbesitz bestimmt,
welchem viele Pächter, Halb- und Unfreie, dienstbar waren.
Von den luxuriös ausgestatteten Häusern solcher
Gutsbesitzer, die sich ebensosehr aus Italikern oder älterer
römischer Provinzialbevölkerung wie aus Ubiern
zusammensetzten, kennen wir nahe Euskirchen die Villen von
Kreuzweingarten und Lessenich-Rißdorf bei Haus Zievel. Beide
lagen am Hang eines lieblichen Bachtales. Die ganze Hofanlage war
wohl wie andernorts von einer Mauer umzogen, innerhalb derer das
Herrenhaus und die Wirtschaftsgebäude standen. Von dem
Kreuzweingartener Herrenhaus kennen wir durch Ausgrabungen einen
Teil des Grundrisses 8). Er zeigt eine Anzahl rechteckiger Räume,
z.T. mit Kanal und Heizungsanlagen. Das Prachtzimmer hatte einen
kostbaren Mosaikfußboden. Das ganze Haus war aus Stein
erbaut und mit seinem Ziegeldach bedeckt. Die Villa von Lessenich
ist nur zu einem sehr geringen Teil erforscht, doch weist ein
gewaltiges Steinkapitell immerhin auf ihre einstige Pracht hin.
Außer solchen großen Gutshöfen finden
sich kleinere Hausanlagen über das ganze Land verstreut. Ihre
Reste bieten sich heute noch als Trümmerfelder von Ziegeln,
steinen, Münzen und Scherben dar, in denen sich zuweilen auch
Reste von Kanälen und anderes finden. Solche noch nicht näher
untersuchten Trümmerstätten ehemaliger römischer
Gutshöfe fanden sich in den Gemarkungen von Groß- und
Klein-Büllesheim, Kessenich, Kreuzweingarten, Kuchenheim,
Roitzheim, Schweinheim, Wißkirchen, und Wüschheim. Im
Euskirchener Stadtgebiet stand ein solcher Hof im Dachsbusch am
Ostrand des Billiger Waldes. Die Tatsache, daß diese
Gutshöfe oft 200 bis 300 Jahre an einer Stelle bestehen
bleiben konnten, setzt voraus, daß das Ackerland jetzt durch
die Düngung des Bodens weit besser ausgenützt wurde als
in den früheren Epochen. Ebenso, wie man nun allgemein nicht
mehr in prähistorischer Technik aus Holzpfosten
und lehmbeworfenen Flechtwerkwänden, sondern aus Steinen sein
Haus baute, so übernahm man auch gern die ganze Lebensweise,
die die römische Zivilisation mitbrachte.
Man
bediente sich des Tongeschirres, der Gläser, der mannigfachen
Erzeugnisse des Kunsthandwerkes und all der anderen
Gebrauchsgegenstände, die der Handel von den stadtartigen
Siedlungen auf das Land herausbrachte. Bezahlt wurde nun im
allgemeinen nicht mehr durch den Austausch von Naturalien, sondern
mit Geld. Ebenso, wie man auf der einen Seite durch Steuern zum
Funktionieren des Staatswesens beitrug, konnte man auf der anderen
Seite die Vorteile eines weltweiten Handels und die damit
verbundenen Möglichkeiten wirtschaftlicher Spezialisierung
ausnützen.
Aber auch Tempel, Götterbilder und
Grabmale wurden jetzt ganz nach römischer Sitte errichtet.
Gerade solche Denkmäler sind für uns von größter
Wichtigkeit, weil wir auf ihnen oft nur einheimischen, in römische
Formen gekleideten Anschauungen begegnen, die uns zuweilen
Aufschluß geben über das religiöse Leben jener
Menschen. Wenn uns in der engeren Umgebung der Stadt keine
Tempelanlage römischer Zeit mehr erhalten ist, wie etwa der
Heidentempel bei Pesch, so besitzen wir doch noch eine Anzahl von
Götterdenkmälern, die aus ehemaligen Heiligtümern
stammen. Aus dem Straßendorf bei Billig sind uns
Weihedenkmäler des Jupiter, des Bacchus und der Diana
erhalten, aus Kreuzweingarten sind solche des Jupiter und
Mercurius sowie des persischen Gottes Mithras bekannt. In der
Einfassung eines fränkischen Grabes an der Kommerner
Landstraße zu Euskirchen fand sich ein Stein
wiederverwendet, der vier römischen Göttern geweiht war,
von welchen Minerva und Hercules noch zu erkennen sind. Es ist
sehr wahrscheinlich, daß sich in einigen dieser
Göttergestalten römische und einheimische Vorstellungen
verschmolzen haben. Auch die Weihe eines Denkmals aus
Kreuzweingarten an den Genius Loki, das göttliche Wesen,
dessen Wirken jeweils auf einen bestimmten Ort beschränkt
ist, zeigt die Verehrung einheimischer Gottheiten.
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Außerdem besitzen wir
aber gerade aus der Umgebung von Euskirchen eine Anzahl von
Altären, deren Gottheiten ganz und gar einheimisch sind - die
Matronen. Die Matronen sind Mütter, wohl die Mütter der
einzelnen Sippe, nach denen sie ihren Namen tragen, etwa die
vacallinehischen Matronen oder die romanehischen Matronen. Soweit
solche Matronenaltäre Bilder tragen, ist auf ihnen meist eine
junge Frau mit offenem Haar dargestellt, welche inmitten zweier
älterer Mütter sitzt, die im Gegensatz zu ihr große
Hauben tragen. Möglicherweise stellen sie Ahnmütter
jener jungen Frau dar, da sie ja zusammen die Mütter
genannt werden. Alle drei halten al ihre Gaben Feldfrüchte
oder Obst in den Händen, zuweilen auch ein Kind oder ein
Tier. Es ist der Segen des Hauses und des Feldes, den die
bäuerliche Bevölkerung von diesen ihren mütterlichen
gottheiten erbat. Solche Altäre sind bekannt aus Billig
(Chandrumanehae), Enzen (Hiheraiae), Euskirchen (Fahineihae),
Lessenich-Rißdorf (Vacallinehae), Lommersum (Romanehae) und
Satzvey (Vacallinehae). '
Auch die Bestattungssitte dieser
Provinzialbevölkerung glich sich ganz der im römischen
Reich allgemein herrschenden an. Man verbrannte den Toten,
sammelte die Asche in einer Urne aus Glas oder Ton oder in einer
steinernen Aschenkiste und setzte dies - meist mit einigen kleinen
Gefäßen, Lampen und Münzen zusammen - in der Nähe
des Hofes auf dem Familienfriedhof bei. Solche kleinen Friedhöfe
sind in Euskirchen an der Münstereifeler Straße, an der
Straße nach Kommern und an der Alleestraße zutage
getreten. Aus der Umgebung der Stadt kenne wir sie von Enzen,
Flamersheim, Groß-Vernich, Kessenich (nahe bei der
Trümmerstelle der römischen Villa), Lommersum,
Nemmenich, Rheder und Satzvey. Zuweilen schmückte man die
Gräber auch mit Denkmälern aus Stein. Aus der
Marktsiedlung bei Billig besitzen wir ein solches, das dem
Soldaten Quintus Petronius Rufus gewidmet war, der nach der
Inschrift wenig glücklich im Kriege war. Aus
religiösen Ursachen, die wir im einzelnen noch nicht kennen,
änderte sich im Laufe des dritten Jahrhunderts die allgemeine
Bestattungssitte. Man setzt die Toten jetzt unverbrannt in
Sarkophagen oder in Erdgräbern bei, die zuweilen mit
Steinplatten eingefaßt sind.
Da zu dieser Zeit die
Einfälle rechtsrheinischer Germanenstämme oft Unruhe
über das Land brachten, scheinen viele Grundbesitzer
abgewandert zu sein. So sind denn Gräber dieser Zeit bei
weitem nicht mehr so häufig anzutreffen, wie solche aus den
Jahrhunderten vorher. Eine spätrömische Bestattung
enthielt der berühmte Sarkophag, der schon 1663 auf dem
Bungerthofe in Enzen gefunden wurde 9) und heute noch bei der
dortigen Kirche steht. Von seinem prächtigen einstigen Inhalt
sind leider nur noch einige kostbare Schmuckstücke aus Gold
bis heute erhalten geblieben: Ein geflochtener Armring und ein aus
feinen Ketten zusammengesetztes und mit Edelsteinen verziertes
Schmuckstück, das die Inschrift trägt UTERE FELIX
d.h. trage mich mit Glück (vergl. Abb. 7a u. b). Außerdem
soll das Grab noch einen Panzer, eine Krone, ein Zepter, einen
Schwertgriff, 2 Beinschienen, 27 Ringe und eine Schüssel
enthalten haben, in welcher das Haupt des Toten ruhte. Die
Ausstattung war so reich, daß man glaubte, das Grab eines
fränkischen Königs hier gefunden zu haben, was freilich
nicht möglich ist. Es handelt sich offenbar um ein sehr reich
ausgestattetes Frauengrab. Die richtige Erklärung der
phantastisch al Königsschmuck gedeuteten Grabbeigaben ist
leider nicht mehr möglich.
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