Ausgewählte Artikel aus:
650 Jahre Stadt Euskirchen
1302 - 1952
Festschrift zum Stadtjubiläum



Zur Erklärung der Frühgeschichte um Woengede

Kurt Böhner, Bonn
Aus der Vor- und Frühgeschichte des Euskirchener Landes



Die bisher betrachteten Funde geben alle von einer nur verhältnismäßig kurzwährenden Besiedlung der einzelnen Wohnplätze Kunde. Wenngleich man wohl sagen darf, daß das fruchtbare Euskirchener Land seit der jüngeren Steinzeit von Ackerbauern besiedelt war, so hat sich bis jetzt doch keine Stelle gefunden, die durch mehrere Epochen hintereinander besiedelt geblieben wäre. Die verhältnismäßig schnell Ermüdung des Bodens, die geringe Lebensdauer der Häuser und das Vorhandensein noch unbebauten Landes erfordern und ermöglichen eine so wechselnde Wohnweise, wie sei etwa für das Wanderbauernleben der Bandkeramiker oben angedeutet wurde. All diese Verhältnisse änderten sich nun aber von Grund auf mit dem Augenblick, als das Vordringen der Germanen das römische Imperium veranlaßte, zur Abwehr der drohenden Gefahr seine Verteidigungsgrenzen zum Rhein und über denselben hinaus vorzuschieben. Hierbei erhielt das Gebiet der Voreifel zum erstenmal unabhängig von der Qualität seines Bodens allein wegen seiner Lage in einer politischen Grenzzone eine neue Bedeutung.

Bei Cäsars Ankunft wird auch das Euskirchener Gebiet großenteils von Germanen besiedelt gewesen sein, welche dem großen Verband der Eburonen angehörten, der beiderseits der Maas saß. Cäsar vernichtete diesen ihm sehr gefährlichen Stammesbund, und man hat vermutet, daß er die damit wohl verbundene, weitgehende Entvölkerung der niederrheinischen Bucht deshalb so erstrebt habe, weil er die ihm geneigten germanischen Ubier von der rechten Rheinseite hier als Grenzwehr gegen andere rechtsrheinische Germanenstämme ansiedeln wollte 7). Ob dies Deutung der historischen Vorgänge nun den Tatsachen entspricht oder ob die Übersiedlung der Ubier erst von Agrippa 38. v. Chr. eingeleitet worden ist - jedenfalls ist unser Gebiet von diesen Bevölkeurngsveränderungen unmittelbar betroffen worden. Wenn auch die Südgrenze der Ubier in ihrem neuen linksrheinischen Wohnraum nicht genau festzulegen ist, so ist doch mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Gegend von Euskirchen noch zu ihrem Gebiet zu rechnen.

Das Hauptbestreben des Imperiums muße nun dahin gerichtet sein, in dem okkupierten Lande möglichst feste, jederzeit übersehbare und lenkbare Verhältnisse zu schaffen. So ist zunächst das den Ubiern zugeteilte Land genau vermessen worden, und als Verwaltungsmittelpunkt wurde das Oppidum Ubiorum, das heutige Köln, geschaffen. Um die Bedürfnisse der Rheinarmee jederzeit befriedigen zu können, wurden feste, nach Möglichkeit gerade geführte Straßen angelegt, die in Zeiten der Ruhe freilich ebenso den Bedürfnissen des friedlichen Handels diente, wie denen des Militärs. Unweit östlich von Euskirchen zieht eine solche Römerstraße vorbei, die von Marmagen nach Wesseling führt. Südlich von Wüschheim soll ein Stück einer weiteren nach Köln führenden Straße angetroffen worden sein. Von beiden Straßen sind in unmittelbarer Nähe des Stadtgebietes keine Spuren mehr sichtbar. An der erstgenannten Straße lag nun die Marktsiedlung Belgica, deren Name in dem heutigen etwas weiter westlich gelegenen Dorf Billig weiterlebt. Wir kennen sie sowohl durch Ausgrabungen, als auch durch die Erwähnung in einem römischen Reisehandbuch. Beiderseits der Straße standen - mit den Schmalseiten ihr zugekehrt - die eng nebeneinander gebauten Häuser, in denen sich Kaufläden, Wirtschaften usw. befanden.

Auf dem Lande ringsum aber wohnte man nicht in Dörfern, sondern in einzelnen Gehöften. Sowohl die römische wie auch die germanische Agrarwirtschaft jener Tage war ganz durch den Großgrundbesitz bestimmt, welchem viele Pächter, Halb- und Unfreie, dienstbar waren. Von den luxuriös ausgestatteten Häusern solcher Gutsbesitzer, die sich ebensosehr aus Italikern oder älterer römischer Provinzialbevölkerung wie aus Ubiern zusammensetzten, kennen wir nahe Euskirchen die Villen von Kreuzweingarten und Lessenich-Rißdorf bei Haus Zievel. Beide lagen am Hang eines lieblichen Bachtales. Die ganze Hofanlage war wohl wie andernorts von einer Mauer umzogen, innerhalb derer das Herrenhaus und die Wirtschaftsgebäude standen. Von dem Kreuzweingartener Herrenhaus kennen wir durch Ausgrabungen einen Teil des Grundrisses 8). Er zeigt eine Anzahl rechteckiger Räume, z.T. mit Kanal und Heizungsanlagen. Das Prachtzimmer hatte einen kostbaren Mosaikfußboden. Das ganze Haus war aus Stein erbaut und mit seinem Ziegeldach bedeckt. Die Villa von Lessenich ist nur zu einem sehr geringen Teil erforscht, doch weist ein gewaltiges Steinkapitell immerhin auf ihre einstige Pracht hin.

Außer solchen großen Gutshöfen finden sich kleinere Hausanlagen über das ganze Land verstreut. Ihre Reste bieten sich heute noch als Trümmerfelder von Ziegeln, steinen, Münzen und Scherben dar, in denen sich zuweilen auch Reste von Kanälen und anderes finden. Solche noch nicht näher untersuchten Trümmerstätten ehemaliger römischer Gutshöfe fanden sich in den Gemarkungen von Groß- und Klein-Büllesheim, Kessenich, Kreuzweingarten, Kuchenheim, Roitzheim, Schweinheim, Wißkirchen, und Wüschheim. Im Euskirchener Stadtgebiet stand ein solcher Hof im Dachsbusch am Ostrand des Billiger Waldes. Die Tatsache, daß diese Gutshöfe oft 200 bis 300 Jahre an einer Stelle bestehen bleiben konnten, setzt voraus, daß das Ackerland jetzt durch die Düngung des Bodens weit besser ausgenützt wurde als in den früheren Epochen. Ebenso, wie man nun allgemein nicht mehr in „prähistorischer“ Technik aus Holzpfosten und lehmbeworfenen Flechtwerkwänden, sondern aus Steinen sein Haus baute, so übernahm man auch gern die ganze Lebensweise, die die römische Zivilisation mitbrachte.

Man bediente sich des Tongeschirres, der Gläser, der mannigfachen Erzeugnisse des Kunsthandwerkes und all der anderen Gebrauchsgegenstände, die der Handel von den stadtartigen Siedlungen auf das Land herausbrachte. Bezahlt wurde nun im allgemeinen nicht mehr durch den Austausch von Naturalien, sondern mit Geld. Ebenso, wie man auf der einen Seite durch Steuern zum Funktionieren des Staatswesens beitrug, konnte man auf der anderen Seite die Vorteile eines weltweiten Handels und die damit verbundenen Möglichkeiten wirtschaftlicher Spezialisierung ausnützen.

Aber auch Tempel, Götterbilder und Grabmale wurden jetzt ganz nach römischer Sitte errichtet. Gerade solche Denkmäler sind für uns von größter Wichtigkeit, weil wir auf ihnen oft nur einheimischen, in römische Formen gekleideten Anschauungen begegnen, die uns zuweilen Aufschluß geben über das religiöse Leben jener Menschen. Wenn uns in der engeren Umgebung der Stadt keine Tempelanlage römischer Zeit mehr erhalten ist, wie etwa der Heidentempel bei Pesch, so besitzen wir doch noch eine Anzahl von Götterdenkmälern, die aus ehemaligen Heiligtümern stammen. Aus dem Straßendorf bei Billig sind uns Weihedenkmäler des Jupiter, des Bacchus und der Diana erhalten, aus Kreuzweingarten sind solche des Jupiter und Mercurius sowie des persischen Gottes Mithras bekannt. In der Einfassung eines fränkischen Grabes an der Kommerner Landstraße zu Euskirchen fand sich ein Stein wiederverwendet, der vier römischen Göttern geweiht war, von welchen Minerva und Hercules noch zu erkennen sind. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich in einigen dieser Göttergestalten römische und einheimische Vorstellungen verschmolzen haben. Auch die Weihe eines Denkmals aus Kreuzweingarten an den Genius Loki, das göttliche Wesen, dessen Wirken jeweils auf einen bestimmten Ort beschränkt ist, zeigt die Verehrung einheimischer Gottheiten.

Außerdem besitzen wir aber gerade aus der Umgebung von Euskirchen eine Anzahl von Altären, deren Gottheiten ganz und gar einheimisch sind - die Matronen. Die Matronen sind Mütter, wohl die Mütter der einzelnen Sippe, nach denen sie ihren Namen tragen, etwa die vacallinehischen Matronen oder die romanehischen Matronen. Soweit solche Matronenaltäre Bilder tragen, ist auf ihnen meist eine junge Frau mit offenem Haar dargestellt, welche inmitten zweier älterer Mütter sitzt, die im Gegensatz zu ihr große Hauben tragen. Möglicherweise stellen sie Ahnmütter jener jungen Frau dar, da sie ja zusammen „die Mütter“ genannt werden. Alle drei halten al ihre Gaben Feldfrüchte oder Obst in den Händen, zuweilen auch ein Kind oder ein Tier. Es ist der Segen des Hauses und des Feldes, den die bäuerliche Bevölkerung von diesen ihren mütterlichen gottheiten erbat. Solche Altäre sind bekannt aus Billig (Chandrumanehae), Enzen (Hiheraiae), Euskirchen (Fahineihae), Lessenich-Rißdorf (Vacallinehae), Lommersum (Romanehae) und Satzvey (Vacallinehae). '

Auch die Bestattungssitte dieser Provinzialbevölkerung glich sich ganz der im römischen Reich allgemein herrschenden an. Man verbrannte den Toten, sammelte die Asche in einer Urne aus Glas oder Ton oder in einer steinernen Aschenkiste und setzte dies - meist mit einigen kleinen Gefäßen, Lampen und Münzen zusammen - in der Nähe des Hofes auf dem Familienfriedhof bei. Solche kleinen Friedhöfe sind in Euskirchen an der Münstereifeler Straße, an der Straße nach Kommern und an der Alleestraße zutage getreten. Aus der Umgebung der Stadt kenne wir sie von Enzen, Flamersheim, Groß-Vernich, Kessenich (nahe bei der Trümmerstelle der römischen Villa), Lommersum, Nemmenich, Rheder und Satzvey. Zuweilen schmückte man die Gräber auch mit Denkmälern aus Stein. Aus der Marktsiedlung bei Billig besitzen wir ein solches, das dem Soldaten Quintus Petronius Rufus gewidmet war, der nach der Inschrift „wenig glücklich im Kriege“ war. Aus religiösen Ursachen, die wir im einzelnen noch nicht kennen, änderte sich im Laufe des dritten Jahrhunderts die allgemeine Bestattungssitte. Man setzt die Toten jetzt unverbrannt in Sarkophagen oder in Erdgräbern bei, die zuweilen mit Steinplatten eingefaßt sind.

Da zu dieser Zeit die Einfälle rechtsrheinischer Germanenstämme oft Unruhe über das Land brachten, scheinen viele Grundbesitzer abgewandert zu sein. So sind denn Gräber dieser Zeit bei weitem nicht mehr so häufig anzutreffen, wie solche aus den Jahrhunderten vorher. Eine spätrömische Bestattung enthielt der berühmte Sarkophag, der schon 1663 auf dem Bungerthofe in Enzen gefunden wurde 9) und heute noch bei der dortigen Kirche steht. Von seinem prächtigen einstigen Inhalt sind leider nur noch einige kostbare Schmuckstücke aus Gold bis heute erhalten geblieben: Ein geflochtener Armring und ein aus feinen Ketten zusammengesetztes und mit Edelsteinen verziertes Schmuckstück, das die Inschrift trägt „UTERE FELIX“ d.h. trage mich mit Glück (vergl. Abb. 7a u. b). Außerdem soll das Grab noch einen Panzer, eine Krone, ein Zepter, einen Schwertgriff, 2 Beinschienen, 27 Ringe und eine Schüssel enthalten haben, in welcher das Haupt des Toten ruhte. Die Ausstattung war so reich, daß man glaubte, das Grab eines fränkischen Königs hier gefunden zu haben, was freilich nicht möglich ist. Es handelt sich offenbar um ein sehr reich ausgestattetes Frauengrab. Die richtige Erklärung der phantastisch al Königsschmuck gedeuteten Grabbeigaben ist leider nicht mehr möglich.

Aus der Frankenzeit




© Copyright 2001, wingarden.de