Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees





d) Die Ausläufer der Ardennen als Marschziel Cäsars

Cäsar will nur die Eburonen als Feinde behandeln und daher ihr Land verwüsten. Ein gleiches Schicksal würde auch die Nachbarstämme treffen (Menapier, Condruser, Segner), falls diese dem Ambiorix Zuflucht gewährten. Der verfolgte König verläßt sein Land daher nicht, sondern irrt dort auf der ständigen Flucht vor seinen Häschern unstet umher (VI 43,4-5). „Aber Ambiorix rettete sich in Schlupfwinkel, Wälder und Gebirgsschluchten und suchte im Dunkel der Nach andere Gegenden und Gebiete zu erreichen, und dies unter der Bedeckung von nur vier Reitern, denen allein er sein Leben anzuvertrauen wagte“ (VI 43,6). Die extremae Arduennae partes, wohin Ambiorix bei Cäsars Anmarsch geflohen war und welche dieser sich daher vorbehält, müssen also auf eburonischem Gebiet gesucht werden. Welche Teile des Ardennerwaldes im Sinne Cäsars, d. h. unter Einschluß der Eifel, gehören nun zum Land der Eburonen? Die südlichen Nachbarn der Eburonen in den Ardennen waren von Ost nach West die Treverer, Segner und Condruser. Den an die Treverer grenzenden Teil hatte Cäsar bei seinem Anmarsch vom Rhein her bereits weitgehend verwüstet. Es ist anzunehmen, daß Ambiorix, dem der Fluchtweg über den Rhein versperrt war, nach Westen geflohen ist.

Der Name der Condrusi ist erhalten im Namen der Landschaft „Pays de Condroz“ westlich der Ourthe entlang des Süd- und Ostufers der Maas bis etwa Dinant. Der frühmittelalterliche Gau Condroz „ist im Norden und Westen von der Maas begrenzt, im Süden und an der NO-SW-Flanke vom Ardennengau durch eine breite, heute noch existierende Waldzone. Die Vesdre wird nicht erreicht 113). Der Archidiakonat Condroz des alten Bistums Lüttich, der das vorgenannte Gebiet umfaßte und sich außerdem östlich der Ourthe entlang der Vesdre (Weser) über Verviers, Eupen bis kurz vor Aachen ausdehnte 114), „stimmt nicht mit dem Condrozgau überein“ 115). Um das römerzeitliche Siedlungsgebiet der Condruser zu bestimmen, scheidet der Archidiakonat Condroz also aus. Es bleibt der Pagus Condroz, doch unter Abzug des südlichen Teils (altes Dekanat Rochefort), der in die Landschaft „la Famenne“ hineinreicht, welche vermutlich das Gebiet der Paemani darstellt 116). Der verbleibende Teil des Pagus deckt sich dann mit der heutigen Landschaft Condroz, welche das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Condruser gewesen sein dürfte. Deren Grenze südwestlich von Lüttich wäre dann zwischen Neuville-en-Condroz und Boncelles verlaufen 117).

Die Segner haben anscheinend keiner Landschaft ihren Namen hinterlassen. Ihr Siedlungsgebiet dürfte sich mit dem Archidiakonat Ardennen des alten Bistums Lüttich decken und nach Norden bis zur Wasserscheide Amblève-Vesdre (Amel-Weser) bis hin zum hohen Venn gereicht haben. Vielleicht gehörte zu ihrem Gebiet noch ganz oder teilweise der Öslinger Distrikt des alten Erzbistums Köln (Malmedy-Monschau). Jedenfalls bildete die siedlungsfeindliche Barriere des Hohen Venn die nördliche Grenze des Segnerlandes.

Zum Land der Eburonen in den nördlichen Ardennen gehörten also von Ost nach West das Gebiet zwischen Rein und Rur (Roer) bis zur Nordgrenze der Treverer südlich der Ahr, anschließend das Gebiet nördlich der Segner, d. h. die Voreifel südlich von Aachen bis zum Quellgebiet von Vicht und Weser, ferner alles Land nördlich des Hohen Venns sowie das gesamte Entwässerungsgebiet der Vesdre (Weser) bis zu ihrer Einmündung in die Ourthe bei Lüttich und über die Ourthe hinaus bis zur Ostgrenze der Condruser südwestlich von Lüttich. Die genannten Gebiete gehören zu den nördlichen Ausläufern des gewaltigen Waldgebirges zwischen Rhein und Maas und darüber hinaus und können daher als extremae Arduennae partes bezeichnet. Sie boten dem flüchtigen Ambiorix ideale Schlupfwinkel bis hinauf ins Niemandsland des Hohen Venns.


Abb. 1: Ambiorix in Malmedy (Quelle)

Zwischen den Jahren 53 und 51 v. Chr. scheint Ambiorix jedoch sein Land verlassen zu haben, da Cäsar die Hoffnung aufgegeben hat, den flüchtigen König beim Ausrottungsfeldzug des Jahres 51 v. Chr. noch in seine Gewalt zu bekommen (VIII 24,4). „Er hielt es daher für die nächste seiner Ehre schuldige Aufgabe, dessen Land durch die Vernichtung der Bewohner, der Gehöfte und des Viehs derart zu verheeren, daß Ambiorix durch den Haß seiner Untertanen, sollten noch einige den Verfolgungen glücklich entgangen sein, keine Möglichkeit der Rückkehr in seinen Stamm mehr haben infolge des so großen [von ihm heraufbeschworenen] Unheils“ [VIII 24,4).

Bei einer Lokalisierung des Lagers Atuatuca etwa auf dem Ichenberg bei Eschweiler lassen sich Cäsars Marschzeile ad flumen Scaldim extremasque Arduennae partes miteinander in Einklang bringen. Während Labienus nach Nordwesten und Trebonius nach Südwesten marschieren, überquert er die Maas in Richtung Schelde, wobei wir nicht wissen, wie weit er nach Westen vordringt, und verheert alles Land zwischen den Operationsgebieten der beiden anderen Armeen. Alsdann wendet er sich in einem Bogen nach Südosten zurück, überschreitet wieder die Maas und durchquert die nördlichen Ausläufer der Ardennen auf der Jagd nach Ambiorix. Bei einer Lokalisierung in Tongeren hätten beide Marschziele in entgegengesetzter Richtung gelegen.

Auch entfernungsmäßig war dieser Feldzug etwa vom Ichenberg aus zu bewältigen, da in Luftlinie die Maas in Maastricht 40 km und in Lüttich 50 km von ihm entfernt ist, so daß auch der kleinere Teil des Eburonenlandes westlich der Maas in die Operationen miteinbezogen werden konnte. Cäsars Expedition war offenbar auch kürzer als die der beiden anderen, da er unbedingt schon nach dem siebten Tage in Atuatuca zurücksein wollte (VI 33,4), während Labienus und Trebonius dies auch tun sollten, doch nur dann, wenn es das Interesse des Staates, d. h. der Kriegsführung, erlaubte: si rei publicae commodo facere possint (VI 33,5).

Anmerkungen

113) Brief vom 26. 1. 1976 von Dr. Manfred van Rey, Verfasser der Bonner Dissertation „Die Lütticher Pagi Condroz und Ardennen“: Rheinisches Archiv 102/1977. In diesem Brief an uns heißt es weiter: „Wenn man jedoch die Dekanate Rochefort, Ciney, Ouffet, und den nördlichen Teil des Dekanats Graide, ferner den Kleinarchidiakonat Huy und den südlich der Maas gelegenen Teil des Dekanats Andenne zusammengelegt, erhält man fast genau den Condrozgau.“

114) Vgl. DE MOREAU (Anm. 14), Karte III; Diocèse de Liège, Archidiocèses de Trèves, de Cologne et de Reims.

115) Van Rey (Anm. 113), ebd. In diesem Brief, für den wir herzlich danken, heißt es weiter: „Die ja erst 1497 vollständig bekannte Ausdehnung des Archidiakonats Condroz ist m. E. erst infolge spätmittelalterlicher territorialer Veränderungen entstanden, und zwar durch einfache Umgruppierung der Dekanate.“

116) Vgl. Leo WEISGERBER, Erläuterungen zur Karte der römerzeitlich bezeugten rheinischen Namen, in: Rheinische Vierteljahresblätter 23, 1958, S. 20.

117) Vgl. PIERRET (Anm. 101), S. 898.


e) Die Ausrottung im eburonischen Rheinland





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