Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees





3. Das Lager des Labienus in der Maasschleife bei Sedan im Lande der Remer an der Grenze der Treverer

Die Nachricht von dem Entsatz des Lagers Ciceros erreicht das Lager des Titus Labienus, das ca. 60 römische Meilen (etwa 89 km) von jenem entfernt war, in neuen Stunden (V 53,1), Es lag im Lande der Remer an der Grenze der Treverer (V 24,2) 23).


Karte 3: Die Maasschleife bei Sedan mit Römerstraße (Quelle)

Zieht man von Binche aus eine Kreislinie von 89 km Radius, so berührt diese beinahe den nördlichen Bogen der großen Maasschleife bei Sedan im Lande der Remer. Von hier bis zur Grenze der Treverer im Osten waren es noch gut 15 km 24). Während Camille Jullian das Lager des Labienus weiter maasaufwärts in Mouzon im Gebiet der Remer an der Straße Reims - Arlon - Trier lokalisiert 25), obgleich es dann nicht 90 km, sondern 110 km von Binche entfernt gewesen wäre 26), suchen wir es in dieser Maasschleife selbst, weil dieser Standort den Entfernungsangaben Cäsars genau entspricht. Auch war die topographische Beschaffenheit des eingefaßten Geländes für die Anlage eines Lagers äußerst vorteilhaft. Man könnte allerdings erwarten, daß Cäsar die Maas nennen würde, die er auch sonst erwähnt. Doch kann das Lager nicht nördlich von Sedan bei Bouillon gelegen haben, da dieser Ort schon nicht mehr auf dem Gebiet der Remer, auch nicht auf dem der Treverer liegt, sondern in der späteren Civitas Tungrorum, vermutlich im Gau der Paemani 26a).

Unmittelbar nordwestlich von Sedan bildet die Maas ein beinahe rechteckige Schleife von etwa 2,5 km Länge und 1 - 1,5 km Breite. Sie umfließt ein Gelände, das zur Mitte hin von den Ufern her bis zu einer Höhe von 57 m ansteigt (Mont d'Iges) und einen breiten, gewellten Höhenrücken mit z. T. steil abfallenden Rändern heraussondert, der für die Anlage eines Legionslagers vorzüglich geeignet gewesen wäre, war dieses doch nach drei Seiten durch die etwa 50 m breite Maas geschützt. Die Entfernung dieser Maasschleife bei Binche beträgt 91 bis 93,5 km, also rund 60 Meilen.

Cäsar sagt, daß „Labienus in einem durch die Natur des Ortes und durch Menschenhand äußerst stark befestigten Lager stand“ (Labienus, cum et loci natura et manu munitissimis castris sese teneret V 57,1), so daß er „für sich und die Legion keine Gefahr zu fürchten hatte“. Im Gegenteil, diese vortreffliche Lage veranlaßte ihn zu überlegen, „wie er die Gelegenheit zu einem günstigen Unternehmen nicht ungenutzt lasse“ (V 57,1). Er fand sie, als sein Gegner, der Trevererfürst Indutiomarus, mit seiner gesamten Reiterei beinahe täglich vor dem Lager erschien und dort umherschweifte, Labienus setzte einen Preis auf dessen Kopf und ließ dann gegen Abend, als der Feind sich zurückzog, plötzlich seine ganze Reiterei aus zwei Toren ausfallen, wobei Kohorten sie unterstützten. Die Reiter konnten den Indutiomarus gerade noch „in der Furt eines Flusses“ (in ipso fluminis vado V 58,6) stellen. Dort wurde er niedergemacht und sein Haupt ins Lager gebracht (V 58,6).

Bei der Lokalisierung des Lagers in der Maasschleife bei Sedan müßte diese Furt in Sedan selbst gesucht werden, das 2,5 km südöstlich von der Schleife auf dem Ostufer der Maas liegt. Dort gabe es eine Furt, desgleichen zwei weitere stromabwärts, u. a. eine zur Römerzeit beim heutigen Dorf Iges selbst 27). Eine dieser Furten durch die Maas mußten die flüchtenden Treverer durchqueren, wenn sie in ihr Land zurückkehren wollten.

Dies alles paßt sehr gut zu einer Lokalisierung des Lagers des Labienus in der Maasschleife bei Sedan. Archäologisch ist ein Römerlager an dieser Stelle bisher jedoch nicht nachgewiesen worden 28).

Auch verkehrsmäßig lag Sedan günstig. Eine bis kurz vor Sedan gesicherte Römerstraße führte, von Reims kommend, ganz in der Nähe in einem Abstand von 1,5 bis 2 km an der Öffnung der Schleife vorbei und überquerte die Maas im heutigen Sedan auf der vorgenannten Furt 29). Eine alte Straße, vermutlich diese Römerstraße, verlief, im Gelände gut markiert, beinahe in gerader Richtung weiter über Bouillon an der Semois 30), von wo sie nach Osten hin über eine vermutete Nebenstraße Anschluß fand an die gesicherte, durch die Ardennen führende Heerstraße Reims - Mouzon - Bastogne - St. Vith - Zülpich - Köln 31). Über die Verbindung des Labienus in Sedan mit Cicero in Binche vermögen wir nichts auszusagen. Die Römerstraße Sedan - Bouillon gabelt sich nördlich von Bouillon in jene, nach Nordosten führende Nebenstrecke, während die Hauptstrecke nach Nordwesten zieht, doch nur über ein Stück von 15 km, wonach sie abbricht, da ihr weiterer Verlauf weder gesichert ist, noch mit einiger Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann 32). Da ihre Richtung aber nach Nordwesten weist, könnte sie Anschluß nach Binche gegeben haben 33).

Einen Punkt gilt es in diesem Zusammenhang noch zu klären: es ist die Schlacht des Labienus gegen die Treverer an einem Fluß mit steilen Ufern im Frühjahr 53 v. Chr. Die Treverer marschieren mit einer großen Streitmacht auf das Lager des Labienus zu, doch als sie erfahren, es seien zwei Legionen Cäsars eingetroffen, machen sie halt, um die Ankunft ihrer rechtsrheinischen germanischen Bundesgenossen abzuwarten, und schlagen ein Lager auf in einer Entfernung von 15 Meilen (ca. 23 km) von ihrem Ziel. Doch Labienus zieht ihnen bis auf einen Abstand von 1 Meile (1,5 km) entgegen und schlägt hier sein Lager auf: „Zwischen Labienus und dem Feind befand sich ein schwer zu überschreitender Fluß mit steil abfallenden Ufern“ (erat inter Labienum atque hostem difficili transitu flumen ripisque praeruptis VI 7,5). In dieser Entfernung von der Maasschleife liegt Carignan (Yvois) an der Chiers, einem rechten Nebenfluß der Maas, auf dem Gebiet der Treverer. Diese könnten also die Straße Trier - Arlon - Carignan - Mouzon - Reims eingeschlagen haben, um von Carignan aus nach Sedan zu gelangen. Doch in der Umgebung von Carignan gibt es, wie wir uns überzeugt haben, keinen Fluß mit steilen Hängen. Folglich kann es sich nur um das Tal des Semois nördlich der Maas handeln, das tief im Gelände eingeschnitten ist und der Beschreibung Cäsars entspricht. Die Treverer müßten also den Weg nach Bouillon eingeschlagen haben, wo auch das Treffen stattgefunden haben dürfte. Von der Öffnung der Maasschleife bei Sedan bis zum Scheitel der Semoisschleife in Bouillon sind es 19 km (Bei Benutzung der Furt bei Iges am äußersten Ende der Maasschleife wären es etwa 21 km!).

Die Beschaffenheit der Maasschleife bei Sedan, ihre Lage auf remischem Gebiet in der Nähe der Grenze zu den Treverern, ihre den Textangaben entsprechende Entfernung zu dem Lager in Binche (60 Meilen), die Furt durch die Maas bei Sedan, das Kampfgelände an der nahen Semois und nicht zuletzt die Verkehrslage, erlauben eine Lokalisierung des Lagers des Labienus in dieser Maasschleife.

Anmerkungen

23) Cäsars Aussage VI 5, 6 und VI 7, 1, das Lager des Labienus habe im Land der Treverer gelegen, muß als eine Abkürzung für die genauere Angabe V 24, 2 verstanden werden. Vgl. dazu HOLMES (Anm. 1), S. 732-4. „The explanation of Caesar's apparent inconsistency lies in the fact that Labienus's camp was very near the common frontier of the Treveri and the Remi.“ Ebd., S. 734.

24) Vgl. MERTENS (Anm. 14), Karte 2.

25) JULLIAN (Anm. 10), III, S. 394, Anm. 6. - Zur Diskussion über die Lokalisierung des Lagers des Labienus vgl. außerdem HOLMES (Anm. 1), S. 383 f. und S. 732 bis 734 sowie MERTENS, Aspects, (Anm. 13), S. 207.

26) JULLIAN weist selber auf diese Unstimmigkeit hin, EBD. Er erwähnt jedoch, EBD., DES ROCHES, der schon viel früher Sedan für diese Lokalisierung vorgeschlagen hatte. Für Matthias GELZER, Caesar - Der Politiker und Staatsmann, Wiesbaden 6 1960, S. 130, steht Labienus in der Gegend von Sedan.

26a) Vgl. MERTENS (Anm. 14), Karte 2.

27) In einem Brief des Herrn Pierre Congar, Präsident der „Société d'Histoire et d'Archéologie du Sedanais“, Sedan, vom 29.12.1976, für den wir ihm an dieser Stelle herzlich danken, heißt es u. a.: „Die Furten durch die Maas und ihre Nebenflüsse (die Chiers) sind immer sehr zahlreich gewesen. Es gab einen Übergang (Furt oder Ponton) in Sedan selbst (das damals nur ein Weiler war) ... Es gab zwei Übergänge mehr stromabwärts ... in Glaire ... und in Iges selbst, am Fuß des heutigen Dorfes. Letzterer wurde mit Sicherheit in der gallo-römischen Zeit benutzt ... Diese ,Furt' soll zur Römerzeit gepflastert gewesen und vor etwa 80 Jahren durch ein Ausbaggerungsunternehmen abgetragen worden sein. Stromaufwärts waren eine Menge Übergänge über die Maas und die Chiers möglich.“

28) Maurice TOUSSAINT, Répertoire archéologique du départment des Ardennes (Période gallo-romaine et époque franque), Paris 1955, erwähnt kein Römerlager bei Sedan, auch nicht bei Mouzon oder Carignan.

29) Vgl. Karte 1 und 2 von MERTENS (Anm. 14). - In dem Schreiben von CONGAR (Anm. 27), heißt es: „Die Römerstraße, welche die Maas in Sedan überquerte war keine große „via“, sondern ein „diverticule“ [Nebenstraße]; sie ist mit Sicherheit die Nachfolgerin eines älteren Weges.“

4. Die Entfernungsangaben des Ambiorix





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