Caesars Atuatuca
Das Problem der Lokalisierung - Versuch einer Lösung
von Ludwig Drees
in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 84/85, 1977/78; S.13-64





Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Auf der Suche nach Atuatuca

I. Die Entfernung von Cäsars Hauptquartier in Amiens zum Winterlager in Atuatuca
1.
Die Interpretation von Cäsars Entfernungsangaben
2.
Das Lager des Cicero auf dem Felsenplatau von Binche im Lande der Nervier
3.
Das Lager des Labienus in der Maasschleife bei Sedan im Lande der Remer an der Grenze der Treverer
4.
Die Entfernungsangaben des Ambiorix
5.
Cäsars strategischer Fehler und dessen Verschleierung
6.
Der Flur- und Ortsname „Atsch“ im Stolberger Tal als Zeugnis für den Namen „Atuatuca“?

II. Die Lage Atuatucas innerhalb des Eburonenlandes
1.
Die Lage im Aachener Raum zum Rhein hin
2.
Die Lage als Operationsbasis für den Ausrottungsfeldzug
a)
Der Marsch vom Rhein nach Atuatuca
b)
Die strategische Planung des Ausrottungsfeldzuges
c)
Das Problem der Schelde als Marschziel Cäsars
d)
Die Ausläufer der Ardennen als Marschziel Cäsars
e)
Die Ausrottung im eburonischen Rheinland

Ergebnis und Karten


Einleitung: Auf der Suche nach Atuatuca

Im Laufe des Jahres 54 v. Chr. kam es in Nordgallien zu einer Reihe von Aufständen gegen den Eroberer Gaius Julius Cäsar. So vernichteten die zu den linksrheinischen Germanen zählenden Eburonen unter der Führung ihres Königs Ambiorix anderthalb Legionen in der Nähe ihrer Festung Atuatuca, bei der die Römer ein Winterlager angelegt hatten. Die Sollstärke von anderthalb Legionen betrug ohne Hilfstruppen und Troßknechte 9000 Mann 1). Das war die Hälfte der Verluste, welche das römische Heer bei der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. erlitt. Doch vermochten die Eburonen ihr Schicksal nicht zu wenden. Im Gegenteil, sie büßten ihren Sieg über die beiden Legaten Sabinus und Cotta mit ihrer Ausrottung in dem Rachefeldzug, den Cäsar ein Jahr später von Atuatuca aus gegen sie unternahm und dem sich noch ein zweiter im Jahre 51 v. Chr. anschloß, ohne daß es dem Prokonsul gelungen wäre, seines Todfeindes Ambiorix habhaft zu werden.

Das tragische Schicksal dieses durch „Völkermord“ vernichteten Stammes hat stets eine warme Anteilnahme in Belgien, in den Niederlanden und im Rheinland gefunden, da hier die Eburonen ansässig waren und ihr Kampf der Behauptung ihrer Freiheit gegen fremde Eroberung galt. Seit eh und je haben sich Philologen, Historiker und Archäologen bemüht, Atuatuca zu entdecken, das dann der älteste, mit Namen bekannte, lokalisierte Schauplatz der Geschichte eines dieser Länder wäre. Die Suche nach dieser berühmten Stätte setzte schon im 15. Jh. ein 2), ohne daß sie bisher zu einem Erfolg geführt hätte, so daß das „Problem Atuatuca“ immer noch offen ist.
Die kürzlich erschienene archäologische Bibliographie Tongerens von Monique Lesenne zählt dreißig Lokalisierungen Atuatucas auf 3):

1. Tongeren, belg. Provinz Limburg;

2. Aachen bzw. Vetschau, Ortsteil der Stadt Aachen;

3. Atsch, Ortsteil der Stadt Stolberg/Rheinland;

4. Balmoral, Gemeinde Spa, Prov. Lüttlich;

5. Berg bei Tongeren, belg. Prov. Limburg;

6. Caster, Gemeinde Kanne, belg. Prov. Limburg;

7. Das Plateau von Embourg, Prov. Lüttich, auf dem Gelände „La Hazette“;

8. Esneux an der Ourthe, Prov. Lüttich;

9. Das Plateau von Ferschweiler bei Bollendorf, Kreis Bitburg, Rheinland-Pfalz;

10. Die Umgebung von Gemblourx, Prov. Namur;

11. Gressenich, Kreis Aachen;

12. Der Ausläufer der „Forêt de Feyr“, Gemeinde Tenneville, belg. Prov. Luxemburg;

13. Fouron-le-Comte: 's Gravenvoeren, belg. Provinz Limburg;

14. Herve, Prov. Lüttich;

15. Herzogenrath, Kreis Aachen;

16. Hontem, Gemeinde Gronsveld, niederl. Prov. Limburg;

17. Julémont, Prov. Lüttich;

18. Jülich, Kreis Düren;

19. Limbourg bei Verviers, Prov. Lüttich;

20. Lüttich;

21. Mont-Falhize, Gemeinde Huy, Prov. Lüttich;

22. Nideggen, Kreis Düren;

23. Sittard, niederl. Prov. Limburg;

24. Theux, Prov. Lüttich;

25. Valkenburg, niederl. Prov. Limburg;

26. Vieux-Virton, Gemeinde Saint-Mard, belg. Prov. Luxemburg;

27. Wandre, Prov. Lüttich;

28. Waroux, Bemeinde Alleur, Prov. Lüttich;

29. Wittem, niederl. Prov. Limburg;

30. Wollersheim bei Nideggen, Kreis Düren.


Die vorliegende Liste muß wie folgt ergänzt werden:

31. Geilenkirchen, nördlich von Aachen, Kreis Heinsberg;

32. Billig, Kreis Euskirchen;

33. Rheinbach, südwestlich von Bonn, Rhein-Sieg-Kreis;

34. Huy, das Gelände der Zitadelle, Prov. Lüttich;

35. Wiedenfeld, Kreis Bergheim 4).

Da das Problem Atuatuca noch nicht gelöst ist, hält die Suche nach der von Cäsar genannten Stätte unvermindert an und fand zuletzt ihren Ausdruck in dem am 7. 12. 1974 von dem Gallo-Romeins-Museum Tongeren veranstalteten Atuatuca-Kolloquium 5), das jedoch keine Einigung über die Ortsbestimmung herbeizuführen vermochte.

Wenn wir dieses ungelöste Problem dennoch wieder aufgreifen in der Hoffnung, das Irrlicht Atuatuca einzufangen, so deshalb, weil wir unsere Quelle, Cäsars Commentarii de bello Gallico, seinen „Bericht über den Gallischen Krieg“, neu interpretieren sowie methodisch einen bisher nicht beschrittenen Weg zur Lokalisierung einschlagen. Statt wie üblich von der vermuteten Atuatuca-Stätte deduktiv auszugehen und zu versuchen, sie mit Cäsars Angaben in Einklang zu bringen, was zu keiner allgemein anerkannten Lösung geführt hat 6), gehen wir den umgekehrten Weg, nämlich von Cäsars Hauptquartier in Amiens an der Somme (Nordwestfrankreich) auf das Lager Atuatuca zu. Bei diesem induktiven Verfahren gelangen wir zu neuen Ergebnissen. Mit Hilfe der historisch-philologischen Methode gelingt es uns, wie wir meinen, den Bereich der Lokalisieurng Atuatucas auf den Raum nordöstlich von Aachen einzugrenzen.


Anmerkungen

1) Die Sollstärke einer Legion betrug auch zur Zeit Cäsars etwa 6000 Mann, doch war die Ist-Stärke oft wesentlich geringer. Vgl. T. Rice HOLMES, Caesar's Conquest of Gaul, Oxford 2 1911, Nachdruck New York 1971, S. 559-563, besonders S. 562 f. So eilt Cäsar mit zwei Legionen von insgesamt knapp 7000 Mann dem belagerten Q. Cicero zur Hilfe. (Bell. Gall. V 49, 7).

2) „Le jeu des hypothèses commence vers 1470, déjà, alors que Marlianus, professeur de droit canon à Louvain, plaçait le castellum à Fauquemont (Valkenburg, ndl. Prov. Limburg), tout en ne rejatant pas absolument l'opinion de ceux qui le situaient à Juliers (Jülich).“ J. VANNÉRUS, in: Revue belge des philologie et d'histoire 26, 1948, S. 873 f.

3) Monique LESENNE, Bibliografisch repertorium van de oudheidkundige overblijfselen te Tongeren = Oudheidkundige repertoria - Répertoires archèologiques, Reeks A: Bibliografische Repertoria - Série A: Rèpertoires bibliographiques, Brüssel 1975, S. 57-60. Die Verfasserin hat uns vor Erscheinen ihres Buches eine Übersicht über die verschiedenen Lokalisierungen von Autatuca mit den zugehörigen bibliographischen Angaben zugeschickt. Dafür sei ihr an dieser Stelle herzlich gedankt. - Zur Bibliographie von Atuatuca vgl. auch HOLMES (Anm 1), S. 371-384, und J. MERTENS, Enkele beschouvingen over Limburg in de Romeinse tijd, in: Archaeologia Belgica 75, 1964, S. 1-10.

4) Für 31, 32, 33 vgl. Richard SPESSART; Wo lag Atuatuca?, in: Die Eifel 37, August 1936, S. 103, Spalte 1. - Für 34 vgl. R. SCHMITTLEIN, Peut-on indentifier Atuatuca et les trois camps césariens de Belgique en 54? in: Revue internationale d'Onomastique 26 (1974), S. 243-257, bes. S. 253 ff. - Für 35 vgl. Erich HERMANN, Ambiorix - Schauspiel in drei Aufzügen, D-4049 Gubberath o. J. (1974), (S. 2-3).

5) Auf Einladung von Dr. J. Smeesters, Direktor dieses Museums, und von Prof. Dr. A. Wankenne, S. J., Professor an der Facultés Universitaires Notre-Dame de la Paix, Namur, Präsident des Nationalen Zentrums für archäologische Forschungen in Belgien. Vgl. den Bericht von Y. G. in der Tageszeitung „La Libre Belgique“ vom 14.-15. Dezember 1974 „Où situer Atuatuca?“.

6) So haben wir im Sinne der deduktiven Methode den Hohenstein-Ichenberg bei Eschweiler als Lokalisierungsstätte vorgeschlagen (vgl. Aachener Volkszeitung Nr. 146 und 152 mit ihren Regionalausgaben, Wochenendbeilage Magazin vom 29. Juni und 6. Juli 1974) und diesen Vorschlag auch auf dem Atuatuca-Kolloquium in Tongeren (vgl. Anm. 5) vorgetragen. Dort äußerte Prof. Wankenne die Meinung, der Hohenstein-Ichenberg sei zu weit von Cäsars Hauptquartier in Amiens entfernt. - Mit Hilfe der induktiven Methode gelangen wir jedoch auf viel überzeugendere Weise, wo meinen wir, zu derselben Lokalilsierung. Die vorliegende ausführliche Darstellung korrigiert den zweiten Teil des Zeitungsberichts in mehreren Punkten.

1.
Die Interpretation von Cäsars Entfernungsangaben





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